Freitag, 6. Juli 2018

Auf hoher See

„Küstenredakteur Pralinski meldet sich an Bord.“
Der Kapitän sah mich lange an und lächelte dann väterlich. „Willkommen auf der AIDA.“
Dann drehte er sich wieder um und nahm das riesige Steuerrad in seine Pranken.
Der Medienoffizier führte mich durch das Schiff. Ein paar ältere Damen sahen mich erwartungsvoll an. Ich sah einfach gut aus in meiner schneeweißen Reporteruniform.
Auf dem Schiff gab es ausgedehnte Speisesäle, Kinos, Schwimmbäder und einen Spa-Bereich. In einem winzigen Kabuff saß Funker Krause, der ständig die neuesten Nachrichten in Morsezeichen zugesandt bekam. Von ihm würde ich regelmäßig Material für die täglich erscheinende Bordzeitung bekommen, die unter meiner Leitung stand.
Meine Kabine war relativ klein, aber ich musste sie mit niemandem teilen.
***
„Rudi Malotzke bricht Kegelrekord der AIDA“. Das war die Schlagzeile der ersten Ausgabe, als wir den Hamburger Hafen verlassen hatten. Der Medienoffizier erteilte mir einen milden Tadel. Das Wort „brechen“ sollte man auf Kreuzfahrten tunlichst vermeiden. Viele der älteren Herrschaften hätten einen empfindlichen Magen. Der Aufmacher von Seite 2 war: „Deutschland erklärt Russland den Krieg“. Krause hatte mich mit den neuesten Nachrichten versorgt, aber wir wollten nicht, dass sich die Urlauber unnötig Sorgen machten.
Den Nachmittag verbrachte ich auf dem Sonnendeck. Schon jetzt nervte mich meine Uniform, denn jeder zweite Rentner wollte einen Martini bei mir bestellen.
***
Nach einer Woche hatte ich das Gefühl, ich würde die Bordzeitung schon seit zwanzig Jahren machen. Die Basisinformationen wie Wettervorhersage, Sonnenaufgang, Sonnenuntergang und das aktuelle Bordprogramm holte ich mir per Copy und Paste aus der Datenbank. Informationen zum nächsten Zielhafen fand ich dort auch. Schließlich lief das Schiff seit langer Zeit immer die gleichen Häfen an. Was ändert sich schon an den Sehenswürdigkeiten von Barcelona?
Nach einigen Longdrinks verfasste ich noch einige schmissige Texte zum Bordleben oder zu den Ländern, die wir ansteuerten. Themen wie Schiffskatastrophen, Kriminalität oder Krankheit waren natürlich tabu. An Bord ist das Leben immer schön. Wir liegen nicht vor Madagaskar und wir haben auch nicht die Pest an Bord. Ein Besuch der Bordbäckerei oder ein Interview mit unserem Bordentertainer Gonzo fiel schon fast unter die Rubrik investigativer Journalismus.
Einmal sah ich in weiter Ferne ein Schlauchboot voller Flüchtlinge. Ich machte den Kapitän auf das Boot aufmerksam und er änderte den Kurs. Diesen Anblick können wir unseren Passagieren wirklich nicht zumuten.
***
So hätte es ewig weitergehen können. Für die tägliche Zeitung benötigte ich nicht einmal zwei Stunden. Ich bekam, nach Jahrzehnten am Schreibtisch, die gesunde Bräune des Erfolgsmenschen. Ich lernte Squash und Bridge, ich besuchte die Häfen dieser Welt. New York, Yokohama, Nairobi.
Aber dann traf ich Gisela. Die relativ gutaussehende Witwe aus Wuppertal. Ihr Mann hatte mit Hosenträgern ein Vermögen gemacht und war dankenswerterweise vor einem Jahr bei einem Hot Dog-Wettessen in San Diego abgetreten. Ich heuerte ab und folgte ihr nach Baden-Baden.
Es ist ein wunderbares Leben. Ich lese ihr meine Geschichten vor und sie hört einfach nur zu.
Frank Zappa - Camarillo Brillo. https://www.youtube.com/watch?v=nllWDc8_9lw

3 Kommentare:

  1. "Es ist ein wunderbares Leben" In Baden-Baden????

    Du hast wirklich keine hohen Ansprüche mehr....

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    1. Pralinski ist eben mit wenig zufrieden. Ich hätte es nicht unter Honolulu gemacht.

      Aber ich hätte mich auch nicht auf die Stellenanzeige als Redakteur für die Bordzeitung eines Kreuzfahrtschiffes beworben, die diese Woche tatsächlich im Netz stand ;o)

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  2. Sachen gibt es in Zeiten von Satelliten-Verbindungen - Bordzeitung.

    Na ja, die Leute im "allerbesten Alter" mit den allerbesten Kontoständen sind eben noch Zeitungen gewohnt. Da machste nix...

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