Dienstag, 20. März 2018

Das erste Date

Ich erschrak, als sie plötzlich vor dem Tisch stand, den sie für uns reserviert hatte. Einerseits war es die Frau, deren Bild auf ich Tinder schon so oft gesehen hatte. Andererseits sah sie völlig anders aus. Sie hatte das ausdruckslose, friedliche Gesicht einer Indio-Bäuerin aus dem peruanischen Hochland. Hohe Wangenknochen, schmale Augen und hellbraune Haut. Ihr schokoladenbraunes Haar sah auf dem Foto heller aus.
Ich stand auf und lächelte sie an. Sollte ich um den Tisch herum gehen und sie umarmen? Aber der Augenblick war schon vorüber. Sie gab mir ihre kleine kühle Hand und setzte sich. Wir sprachen über das persische Restaurant, das sie ausgesucht hatte. Ich versicherte ihr, dass ich es sehr schön fände, lobte die Dekoration und versicherte ihr, sehr gerne persisch essen zu gehen. Ich zählte ein paar persische Gerichte auf, die ich angeblich mochte, aber eigentlich nur aus dem Internet kannte.
In Wirklichkeit hatte ich noch nie etwas Persisches gegessen. Sagte man überhaupt „persische Küche“ oder eher „iranisch“? War es ein regimekritisches Statement des Restaurantbesitzers, das Adjektiv „persisch“ zu verwenden? Ich hatte keine Ahnung. Jedenfalls sahen die Kellner alle aus wie Attentäter und ich erwartete nichts weniger als ein Mordkomplott hinter der Küchentür.
Ich schlug Carola, meinem Date, vor, zusammen eine Vorspeisenplatte zu bestellen. Ich wusste von ihrem Tinder-Profil, dass sie Vegetarierin war und einen spanischen Vater hatte. Daher vielleicht meine spontane Assoziation mit Peru. Die Vorspeisenplatte - dankenswerterweise stand die komplette Speisekarte des „Ananda“ im Internet - bestand aus gegrillten Auberginen, Oliven, Joghurt, Schafskäse, gefüllten Weinblättern und Fladenbrot. Als Hauptgang würde ich Lamm wählen, um ihr mit meiner Wahl zu dokumentieren, dass ich mich nicht an ihre Essgewohnheiten anbiedern wollte. Oder sollte ich auf Nummer Sicher gehen und einen Halloumi-Gemüsespieß bestellen?
Nach einer Viertelstunde Smalltalk kamen die Hauptgerichte. Sie hatte einen Salat mit Thunfisch und Ei, ich den Gemüsespieß mit Reis. Dazu tranken wir Wein. Und es kamen die Hauptfragen, vor denen ich mich so gefürchtet hatte.
„Bist du in Berlin geboren?“ Ich übersetze: Lebst du schon immer in dieser coolen Stadt, so wie ich, oder bist du ein Landei, das gerade in die Großstadt gezogen ist? Ich komme aus Sommerloch, einem lächerlichen kleinen Dorf mit einem lächerlichen Namen in der Nähe von Bad Kreuznach, das auch niemand kennt.
„Du arbeitest für eine Tageszeitung?“ Ich übersetze: Hast du einen richtig guten Job in den Medien, verdienst du Geld und kannst du dieses Essen am Ende des Abends überhaupt bezahlen? Ich bin freier Mitarbeiter, aber selbst das ist zu hoch gegriffen. Ich habe zwei Artikel im „Tagesspiegel“ gehabt. Letztes Jahr. Meine Eltern zahlen immer noch meine Miete und ich jobbe in einer Kneipe in Friedrichshain.
„Du bist durch Spanien gereist?“ Ich übersetze: Reisen ist dein Hobby und du kannst dir jedes Jahr eine Reise leisten? Ich war vor zwanzig Jahren ein paar Mal mit meinen Eltern auf einem Camping-Platz in der Nähe von Benidorm. Vor zwei Jahren war ich mit einem Billigflieger für drei Tage in Barcelona. Meine Sprachkenntnisse beschränken sich auf Hola, Gracias und Cerveza.
„Du bist noch ledig und wohnst alleine?“ Ich übersetze: Du warst nie verheiratet und hast auch keine Kinder? Keine Altlasten, keine Ex-Freundin, die Stress machen könnte? Ich bin Ende zwanzig, habe kein abgeschlossenes Studium und keine Ahnung von Frauen.
„Du hast eine Altbauwohnung im Prenzlauer Berg?“ Ich übersetze: Du lebst in einem angesagten Szeneviertel und kannst dir eine Top-Wohnung leisten? Mit anderen Worten: Du hast Geld? Ich lebe in einer 25-Quadratmeter-Kellerwohnung, mein Schreibtisch ist eine alte Tischtennisplatte, meine Matratze liegt auf zwei Euro-Paletten und meine Wäsche bringe ich in den Waschsalon. Ach ja, und von meiner Masterarbeit zum Thema „Kastrationsängste im Frühwerk Heinrich Heines“ steht nur der Titel, dazu gibt es ein vages Exposé von zwei Seiten Länge.
Wir haben uns nie wieder gesehen. Der Abend hat mich sechzig Euro gekostet.
Anita Ward - Ring my Bell. https://www.youtube.com/watch?v=k8zuqsqdCAQ

2 Kommentare:

  1. Passt JA zum heutigen FRÜHLINGSANFANG... vielleicht:

    Es lenzt nicht, ehe es gewintert hat.

    Deutsches Sprichwort

    DER sich heuer - partout - nicht verabschieden möchte (ړײ)

    *Schneeflöckchen...Weißröckchen...singUNDträller*

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  2. Du bist ledig und wohnst allein?Kann auch bedeuten,wollen wir zu dir,Triebabbau betreiben?Nächste Frage an Sie.Wie verhütest Du?Schade für Dich.

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