Montag, 2. Dezember 2019

Warum große Künstler nicht verheiratet sind


Er nennt sich selbst „König von Kreuzberg“: Dieter König. Eine Visage wie Sichtbeton und eine Laune wie die SPD-Ortsgruppe Altötting. Chef von König Marketing & Design. Eine Werbeagentur, die sich auf Gebrauchtwagenhändler, Matratzen-Outlets und die legendäre Mieder&Trikotagen-Branche spezialisiert hat. König hat vom Geschäft im Internet eigentlich keine Ahnung, deswegen braucht er Walter Nachtweih, der das Online-Geschäft erledigt.
Nachtweih spielt eigentlich nur den Nerd, in Wirklichkeit hat er außer einem abgebrochenen Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaften nichts zu bieten. Aber für den alten König, den er auf mindestens siebzig Jahre schätzt, reicht die Show. Einmal am Tag kommt der Chef in sein Büro, Nachtweih wirft mit ein paar Fachausdrücken um sich und präsentiert ihm bunte Grafiken. Der König von Kreuzberg glotzt mit seinen tischtennisballgroßen Basedowaugen verständnislos auf den Bildschirm und kratzt sich dabei am Kopf. In großen Brocken geht eine Grindlawine ab, dann geht er wieder.
Ein gottverdammter Scheißjob. Aber nach 18 Uhr dreht Nachtweih richtig auf. Alle anderen Angestellten sind schon gegangen und er simuliert Überstunden, weil er angeblich nur „am System“ arbeiten kann, wenn alle anderen Computer runtergefahren sind. Dann arbeitet er an seinem großen Roman „Lubowitsch – Schicksalsjahre eines echten Kerls“. Es geht um einen Duschvorhangvertreter zwischen zwei Frauen, das ist aber nur der Basis-Plot. Eigentlich geht es um viel mehr: das Berlin des frühen 21. Jahrhunderts, Klimawandel, Sterbehilfe, Bankenskandale und korrupte Politiker. Es hängt ja doch im großen Reich des Irgendwie alles mit allem zusammen.
Jetzt fliegen seine Finger über die Tastatur. Jedem Pianisten würde bei diesem Anblick schwindlig werden. Walter Nachtweih ist jetzt Valentino De La Notte, der große Schriftsteller. Unter diesem Künstlernamen möchte er sein Manuskript den großen Verlagen anbieten. Er hat eine geniale Idee. Höhe- und Wendepunkt des Romans. Die Dramatik und die Dialoge strömen ungebändigt aus ihm heraus, er spürt, dass es gut wird. Er wird es schaffen. Das ist der Jahrhundertroman. Das ist das Ticket, das ihn von hier fortbringen wird.
Dann klingelt das Telefon. Er beachtet es zunächst gar nicht. Mit der Gelassenheit eines Steins arbeitet er weiter.
Aber es hört nicht auf.
Schließlich hebt er seufzend den Hörer ab. Das prähistorische Festnetz vom alten König kriegst du nicht leise. Unmöglich. Am Apparat ist seine Frau.
„Hallo, Schatz. Brauchst du noch lange?“
„Kann noch eine Weile dauern. Wir haben hier ein Riesen-Problem. Wenn ich es nicht hinkriege, sind wir morgen offline. Dann rastet König komplett aus.“
„Es ist schon acht Uhr.“
„Ich weiß. Ich arbeite so schnell ich kann.“
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Ja.“
„Kannst du vom Späti noch ein Päckchen Kaffee mitbringen?“
„Klar. Mach ich.“
„Versprichst du es?“
„Ja.“
„Du vergisst es nicht wieder wie letztes Mal?“
„Nein. Ich denk dran.“
„Melitta Barista.“
„Ich weiß.“
Letztes Mal hast du aber Melitta Auslese mitgebracht.“
„Ja.“
„Du weißt, dass ich Melitta Auslese nicht mag.“
„Ja.“
„Habe ich noch nie gemocht.“
„Ich weiß.“
„Warum bringst du dann immer den falschen Kaffee mit?“
„Kommt nicht wieder vor.“
„Ganz sicher?“
„Ganz sicher.“
„Kommst du bald nach Hause?“
„Ja.“
Eine Minute nicht zu reden ist für sie wie eine Minute die Luft anhalten: eine Nahtoderfahrung. Es hat keinen Zweck. Er kennt seine Frau. Die Assistenzfußpflegerin Naomi Gimpel-Nachtweih kann jeden Kunden in die Verzweiflung oder ins Koma quatschen. Als er endlich aufgelegt hat, ist er restlos erschöpft. Keine Idee mehr, nichts. Er schließt die Datei und drückt die Aus-Taste des Computers.
Machen wir uns nichts vor. Walter Nachtweih wird für den Rest seines Lebens den Grind vom alten König von seiner Tastatur blasen. Er wird es als Schriftsteller nicht schaffen. Beruf, Ehe und Kunst – das funktioniert nicht zusammen.
Und deswegen bin ich nicht verheiratet.
10cc - Dreadlock Holiday. https://www.youtube.com/watch?v=fUNTk5xsxk4

9 Kommentare:

  1. Du willst bloß nicht Deine exorbitanten Tantiemen mit ner Exfrau teilen.

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  2. Wenn du der Alten deine Adresse und Telefonnummer nicht verrätst kannste ja trotzdem heiraten.

    Ausserdem:
    "Seit ich kein Auto mehr habe muss ich auch kein Katzenstreu mehr fahren."
    (Rudi Ratlos, kann zu keiner Ex nein sagen)

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  3. Ich glaube, es st ganz anders: Die großen Künstler widmen sich ihrer Kunst während ihre Frauen einkaufen, kochen, waschen und putzen. Und ihnen noch den Paketbriefträger und die Verwandschaft vom Hals halten.
    Deshalb weniger bekannte Künstlerinnen als Künstler. So, Männer, nun schreit auf!

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    1. Eine Frau schmeißt den ganzen Haushalt und der Mann widmet sich dem Jahrhundertroman? Gibt es solche Beziehungen außerhalb der Fantasy-Literatur? Deswegen wurde rund um den Single-Mann die Möglichkeit einer perfekten Selbstversorgung geschaffen. Essen wird online bestellt, Wäsche selten gewechselt (Waschmaschine und Trockner arbeiten von alleine) und geputzt wird nur im Notfall. Dem Paketboten öffne ich nur, wenn ich selbst was erwarte, und die Verwandtschaft sehe ich an festgelegten Tagen.

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    2. Es ist einer Frau vermutlich einsichtig das ihre Geschlechtsgenossin nicht zu Frau Twain wurde als "Ihr" Mark noch das Handwerk eines Flussschiffers betrieb.

      und finden Sie nicht auch das der alte Spruch
      "Er hat Sie geheiratet weil er Sie liebt,
      Sie liebt ihn weil er Sie geheiratet hat"

      das Geschlechterverhältnis vom Kopf auf die Füße stellt?

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  4. @anonym 12.49

    Das ist ein netter , aber unrealistischer Vorschlag.
    Der Schriftsteller ist bekannt wie ein bunter Hund. Schließlich hat er schon im zweiten Weltkrieg Hitler in Kreuzberg Drogen verkauft.

    Niemand darf wissen, dass Kohle fließt.

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  5. "Beruf, Ehe und Kunst – das funktioniert nicht zusammen.
    Und deswegen bin ich nicht verheiratet."

    Wenn ein Mann sich zum Heiraten entschließt, ist das vielleicht der letzte eigene Entschluß, der ihm gestattet ist.

    Kenneth L. Kirchbaum *tja..kicherndzwinkert*

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  6. Was seid ihr denn für Memmen ?
    Einfach heiraten und trotzdem sein Ding machen.
    Natürlich nicht mehr soooo wie früher.
    Trotzdem, setzt euch durch, seid Männer.
    Und wenn alles nicht mehr hilft einfach eine Freundin, Geliebte, Gespielin nehmen.
    Entweder wird Sie dann nachgiebiger, weil nicht mehr alles verlangt werden kann, plötzlich, oder es gibt Scheidung, dann hätte es eh keinen Wert mehr gehabt, Schwamm drüber.
    Auch wenn es teuer wird, so eine will man nicht.

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