Mittwoch, 16. August 2017

Not guilty

Rückreise von Berlin nach Schweppenhausen. Ich habe das große Glück, mir mit einer sympathischen und lebhaften Familie einen Tisch im Großraumwagen eines ICE teilen zu dürfen. Eine Afro-Belgierin mit zwei kleinen Mädchen und einem Baby auf dem Arm.
Hinter Berlin schreitet das Personal zur Fahrkartenkontrolle. Madame zeigt auf ihr Smartphone. Dort ist ein Foto von einer Fahrkarte zu sehen. Die Kontrolleuse erklärt ihr, dass sie ein Online-Ticket oder einen Ausdruck braucht. Leider versteht die Dame kein Deutsch und die Kontrolleuse kein Englisch.
Ein Kollege wird hinzugezogen, der des Englischen mächtig sein soll. Immer wieder weist er die belgische Mutter darauf hin, dass ihre Fahrkarte ungültig sei. Er erklärt es auf Englisch. In seiner Übersetzung heißt „nicht gültig“ überraschenderweise „not guilty“. Die Diskussion zieht sich in die Länge. Ihr Mann habe die Fahrkarte in Brüssel gebucht. Jedes Mal, wenn der Schaffner „not guilty“ sagt, muss ich mir ein Lachen verkneifen. Es ist nicht einfach, denn er sagt es sehr oft.
Jetzt schaltet die Dame auf Französisch um. Sie könne kein Englisch, erklärt sie resolut, man möge ihr jemanden bringen, der Französisch kann. Der Schaffner ruft über Funk im ganzen Zug die Fahrgäste auf, man möge sich in Wagen 23 begeben, da hier ein Dolmetscher benötigt werde. Mir wird klar, dass sich hier etwas Großes anbahnt. Das wird eine längere Geschichte. Zum Glück habe ich Bier dabei und öffne mir erwartungsvoll die erste Flasche.
Eine junge Frau erscheint, die Englisch und Französisch, aber kein Deutsch kann. Der Schaffner erläutert ihr die Lage auf Englisch. Not guilty. Sie wissen schon. Die Frau übersetzt ins Französische und erläutert der Belgierin, sie müsse in Frankfurt ins Reisecenter und sich eine korrekte Fahrkarte besorgen. Das Foto einer Fahrkarte sei nicht ausreichend.
So in die Ecke gedrängt rastet Madame aus und spielt ihre letzte Karte. Mein Schulfranzösisch reicht aus, um die wesentlichen Punkte zu erfassen. Die ganze Welt sei rassistisch, die Deutschen sowieso und der Schaffner sei einfach nur krank. Weiter geht es auf Englisch, das sie plötzlich wieder fließend kann: sie sei eine stolze Afrikanerin und lasse sich das alles nicht bieten. Überall werde man als Schwarze schlecht behandelt. Das Ende ihrer wütenden Suada ist in einer afrikanischen Sprache, die ich nicht beherrsche. Ich mittendrin, am Fenster, ohne Fluchtmöglichkeit.
Der Schaffner gibt auf, die junge Frau geht. Positiv ist zu vermerken, dass niemand im Zug empört ist, böse blickt oder zischt, wie man es in solchen Szenen öfter erlebt hat. Die Aggression der Belgierin läuft ins Leere, bis sie sich wieder beruhigt hat. Auch von den Müttern, die mit ihren Kindern und gültigen Fahrkarten auf dem Boden zwischen den Großraumabteilen kauern müssen und die Szene beobachtet haben, gibt es keinen Kommentar zum Verhalten der Schwarzfahrerin (das ist nicht rassistisch gemeint, sonst hätte ich BIMBOSCHLAMPE geschrieben).
Als alles vorbei ist, kommt zehn Minuten später ein ahnungsloser deutscher Rentner des Weges und streichelt das Baby auf dem Arm von Madame. Ihr fassungsloser Blick. Was soll sie machen? Ihn auch als Rassisten beschimpfen? Bis Frankfurt herrscht Ruhe.
OMD – Talking Loud And Clear. https://www.youtube.com/watch?v=Piq--jBz8Zc

5 Kommentare:

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  2. Schön, dass Sie wieder da, bzw. hier sind, Herr Eberling.

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    1. Mein aktueller Lieblingssong von den Beatles: If I fell. Mit Grüßen an Ackergirl ;o)

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  4. W I L L K O M M E N zurück, im eigenen BLOG (ړײ) *zwinkerndwinkewunkt*

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