Samstag, 10. September 2016

Der Dorftrottel

Wenn es eines Zeichens für den unaufhaltsamen Fortschritt in der Gleichberechtigungsfrage bedurft hätte – hier ist er:
Schweppenhausen hatte, seit ich denken kann bzw. seit wir 1975 das Grundstück erworben haben, auf das ich gerade blicke, während ich Ihnen diese Zeilen schreibe, immer einen Dorftrottel. Einen männlichen Dorftrottel. Genau einen. Nie zwei, nie keinen. „Der schwarze Mann“, Bernd hieß er, wenn man ihn einmal ansprach, war ein gescheiterter Ingenieur, der in einer abgefuckten Bude an der Hauptkreuzung des Ortes lebte. Neben Hartz IV (in unserem Dorf informell mit der Tätigkeit als „Gemeindediener“ für Botengänge usw. vergolten) war der Handel mit Schallplatten auf Flohmärkten seine Haupteinnahmequelle. Selbst in seinem kaputten Kühlschrank lagerte er Platten.
Irgendwann verließ er das Dorf. Sein Nachfolger war „der Franz“. Ihn habe ich hier verewigt: http://kiezschreiber.blogspot.de/2014/09/weie-wande.html
Jetzt ist es eine Frau Ende fünfzig, hager, mit langen dunkelbraunen Haaren und gruselig grellrot geschminkten Wangen. Sie pöbelt jeden an, der vorbei kommt. Manchmal trägt sie, die hagere Frau jenseits der Wechseljahre, ein Kissen unter dem Kleid, um eine Schwangerschaft zu simulieren. An anderen Tagen schiebt sie einen leeren Kinderwagen vor sich her. Sie hatte nie Kinder, sie wird nie Kinder haben. Sie ist eine Nervensäge. Aber eigentlich möchte man sie in den Arm nehmen.
Wie alle Dorftrottel dieser Welt.
BAP – Lisa. https://www.youtube.com/watch?v=MrR-jNG_XlE

6 Kommentare:

  1. Mikeschs gibt es überall (und durchaus in anderen Variationen), nur dass die in den Städten nicht so auffallen... #rebornpseudo"enkel", du erinnerst dich vielleicht.

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    1. Ich kenne es aus Berlin. Da sind sie nicht zu zählen. Aber im begrenzten Biotop eines 900-Seelen-Dorfs bemerkt man sie gleich.

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    2. Ach, hier bemerkt man sie auch. Es werden immer mehr.

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    3. Und vermutlich nicht nur in Prenzlauerberg? Ich kenne mich bei euch nicht aus, aber meine beste Freundin (Ex-Berlinerin) hat mir das ein oder andere erzählt. Und wenn man hier (Düsseldorfer Umkreis) auf Jungen auf Friedemann oder so ähnlich trifft, weiß man eigentlich bescheid wo die Eltern früher gewohnt haben.

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    4. *die Friedemann oder so ähnlich heißen (meine Tastatur ist mal wieder langsamer als ich)

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    5. Nein, nicht nur im Prenzlauer Berg. Überall. Menschen, die unsichtbare Zuhörer haben, mit denen sie sich streiten. Empört und wild gestikulierend.

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