Dienstag, 31. Dezember 2013

Der Traum als verschlüsselte Botschaft

Es war auf einer Konferenz in einem Landhotel. Zum Thema der Veranstaltung, die Altersvorsorge selbständiger Landwirte in Kleinbetrieben, hatte ich vor einigen Jahren Nachforschungen im Fichtelgebirge angestellt. Während die anderen Konferenzteilnehmer in kleinen Gruppen im Saal verteilt waren, stand ich allein am Fenster und blätterte in meinem Notizbuch. Manche Seiten enthielten kurze Sätze, andere Zeichnungen, wieder andere waren völlig leer. Ich erinnerte mich an einen Bauern, an dessen Tür ich damals geklopft hatte. Als er mir öffnete und ich meinen kaum mit einem Pepitahut bedeckten Kopf in sein Haus gesteckt hatte, war ich überrascht gewesen über die Winzigkeit seiner Stube und die karge Möblierung.
Da die Konferenz in zehn Minuten beginnen sollte, beschloss ich, die Toilette aufzusuchen. Der weiß gekachelte Raum der Herrentoilette war bereits mit vier Männern gefüllt, die vor zwei geschlossenen Kabinen warteten. Offensichtlich hatten wir alle die gleiche Idee gehabt. Ich stellte mich dazu und wagte es ebenso wenig wie die anderen, das Urinal in dem engen Raum zu benutzen. Ein junger Mann blickte mir ins Gesicht und sagte: „Sie sind früher mein Diakon gewesen.“ Dann fing er an zu weinen. Eine Kabinentür öffnete sich und ein beleibter Herr in einem Anzug trat heraus. Er warf mir einen fragenden Blick zu, während er den Raum verließ. Der zweite Wartende sagte zu mir: „Sie haben viel erreicht“. Der dritte schloss die Kabinentür hinter sich, während der vierte mit Tränen in den Augen sagte: „Das war vielleicht der wichtigste Augenblick dieser Konferenz.“ Auch ich kämpfte mit den Tränen, aber ich lächelte freundlich und nickte den hilfsbedürftigen Männern zu.
(Literatur und Kunst waren zu allen Zeiten die besten Mittel, sich unbeschwert zu äußern - Agenten und ihren Computerprogrammen fehlt schlicht die Intelligenz zur Entschlüsselung komplexer Inhalte)

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