Donnerstag, 23. Juli 2009

Creative Losing


Take 1

Peter, Paul und Mario sitzen um einen Tisch voller leerer Bierflaschen.
Mario, ein abgehalfterter Ex-Bundeswehroffizier, dessen Getränkehandel mehr als schlecht läuft, und der sein Haar so kurz trägt, dass ein US-Soldat gegen ihn wie ein Hippie wirkt, fragt: "Und Paul, was hast du vor? Willst du es dieses Jahr schaffen, von der Stütze weg zu kommen?" Er ist stolz, wenigstens einer Arbeit nachzugehen, aber in Wirklichkeit lebt er vom Übergangsgeld, das ihm nach zwölf Jahren Brüllen und Scheiße-Fressen zusteht. Erst vor kurzem ist er aus seinem großen Dorf in die kleine Stadt gezogen.
Paul, ein arbeitsloser Akademiker, der nach ein paar Jahren als Doktorand an der Uni weder die Promotion noch den Absprung in einen seriösen Beruf geschafft hat und der immer noch die selben Jeansjacken und Sweat-Shirts wie in der 8. Klasse trägt, antwortet: "Ich habe da eine Idee. Ich will einen Krimi schreiben. Krimis werden immer gelesen und ein alter Freund von mir möchte einen kleinen Verlag aufziehen."
Peter, der eine illegale Autowerkstatt in einem Hinterhof am Rande ihrer kleinen Stadt betreibt und der Metall nicht nur in Werkzeugform, sondern auch als Piercing an seinem gesamten Körper nutzt, fragt: "Und wie kommt man da auf eine Idee? Du hast doch keine Ahnung von Verbrechen."
Paul: "Creative Writing."
Mario: "Was soll das denn sein?"
Paul: "Das ist aus Amerika. Ich habe ein Buch darüber gelesen. Du verwandelst die Realität, deinen Alltag in eine Geschichte. Du machst einen Plot daraus und für den Ablauf der Handlung gibt es bestimmte Schemata, nach denen du diesen Plot entwickelst." Paul benutzt gerne Worte wie "Schemata", die Mario und Peter nicht mögen. Sie hätten "Schemas" gesagt.
Peter kratzt sich nachdenklich an seinem Augenbrauenpiercing: "Dann zeig uns doch mal, wie das geht!"
Paul: "Nichts leichter als das. Nehmen wir mal die Protagonisten ..."
Mario: "Red deutsch, du elender Sohn einer neunbrüstigen Hyäne und eines defekten Tankrüssels."
Paul: "Die Hauptdarsteller, du viertklassiger mongoloider Tierversuchs-Ersatz!"
Peter: "Jetzt kommt endlich auf den Punkt, ihr Jauche saufenden Schweine." Die drei lieben es, sich die übelsten Beschimpfungen um die Ohren zu hauen.
Paul: "O du eiternde Geissel der Karpaten, du leichtfertig ausgeschissene Schmach des Rheinlands, du philippinischer Hartgeld-Stricher! Pass auf, nehmen wir mal drei Personen. Sagen wir, der eine ist ein abgehalfterter Bundeswehroffizier, dessen Frau ihn betrügt ..."
Mario: "Du hast sie ja wohl nicht alle, du schleimgeborener Sohn päderastischer Molusken, der du aus dem verfaulten Leib einer armenischen Zigeneunernutte gekrochen bist, die beim Anblick deiner räudigen Zombiefresse vor Schreck verreckt ist!"
Paul: "He, es ist doch nur eine Geschichte. Sie hat nicht wirklich mit euch zu tun, verstehst du? Was ich hier sehe, ist nur der Rohstoff, und ich mache daraus Literatur. Ihr seid wie Hopfen und Malz, ich bin der Braumeister. Also: Die zweite Person ist ein zugepiercter Mechaniker, der schwarz alle möglichen Autos repariert, und über dessen Werkstatt der einzige Swinger-Club einer Kleinstadt ist."
Peter: "Möge der kotzefressende Beelzebub, der den üblen Samen auf einen von Schmeissfliegen umschwirrten Misthaufen fallen ließ, aus dem du hervor gekrochen bist, dir auf ewig Chilipulver unter die Vorhaut und die Augenlider reiben, bis das du bereuest deinen Frevel gegen mich."
Paul: "Halt endlich dein vor Dummheit aufgeschwollenes Maul, damit ich weitermachen kann, du asoziales Stück Rattenscheiße aus der übelsten Gosse einer hinterindischen Leprastation! Die dritte Person ist ein arbeitsloser Akademiker. Die drei sitzen in einer Wohnung und überlegen, wie sie zu Geld kommen können. Da tritt einer von den drei Pro ... von den Hauptdarstellern ans Fenster. Mario, würdest du mal ans Fenster gehen!"
Mario: "Was soll die Scheiße?"
Paul: "Bitte, mach es einfach."
Mario steht auf und geht ans Fenster. "Ungeziefer wie dich, das im Rinnstein darauf wartet, von seinem erbärmlichen Dasein als Kotzbrocken erlöst zu werden, sollte man eigentlich mit Schimpansenauswurf bepinseln und den Wespen überlassen."
Paul: "Jetzt sag mir einfach mal, was du da siehst, du menschliche Variante eines gebrauchten Tampons."
Mario: "Ich sehe die Straße und dahinter die Wiese am Kanal."
Paul: Weiter!"
Mario: "Dann kommen ein paar Bäume und dahinter die Mauer vom Grundstück der alten Gomolke." Die alte Gomolke ist eine reiche Industriellenwitwe. Niemand in der Stadt hat soviel Geld wie sie, über die Höhe des Vermögens wird gerne in den umliegenden Spelunken spekuliert.
Paul wendet sich an Peter: "Willst du die Geschichte weiter erzählen?"
Peter grinst: "Die drei Jungs planen eine Entführung."
Paul: "Genau. Der erste hat eine solide Armeeausbildung und kann mit Waffen, Sprengstoff usw. umgehen. Der zweite kennt sich mit Autos aus und hat ein gutes Versteck. Und der dritte hat Erfahrung in Projektplanung und kann reden, also über das Lösegeld verhandeln. Kapiert?"
Mario und Peter nicken schweigend.
Paul: "Und was haltet ihr von dem Plan?"
Mario: "Das ist besser als meine Idee, den Swinger-Club zu beobachten und irgendwelche verheirateten Hausfrauen zu erpressen."

Take 2

In den folgenden Tagen verbringen sie viel Zeit mit einem Feldstecher am Fenster von Peters Wohnung. Der Haupteingang zum Grundstück der alten Gomolke liegt auf der anderen Seite, schräg gegenüber einem Weingut, das auch eine Straußwirtschaft betreibt. Während die Schoppengläser in der Sonne funkeln, machen sie sich Notizen. Offenbar lebt auf dem Grundstück noch ein Hausverwalter, der für den Garten zuständig ist, und dessen Frau die Villa in Ordnung hält. Bei unauffälligen Spaziergängen durch die umliegenden Straßen und am Kanal können sie sich einen Überblick zum Thema Sicherheitstechnik verschaffen.
Währenddessen im Swinger-Club:
"Na, Susi. Wann kommst du endlich mit der Kohle rüber?" Susi hat sich Geld geliehen, aber irgendwie war alles in den Parfümerien und Modegeschäften der nahen Großstadt geblieben.
"Du kriegst es bald, versprochen."
"Oder dein Mann bekommt dieses nette kleine Videoband zusammen mit unserem Leergut."
"Jetzt bleib mal ganz locker. Mario und ich werden bald eine ganze Menge Kohle haben, verlasst euch drauf!"
"Ach nee, erzähl doch mal."
Susi schweigt. Aber um eine lange und schmutzige Geschichte kurz zu machen: Schließlich erzählt sie den beiden Bulgaren doch alles, wobei einige Tropfen in ihrem Gin-Tonic eine nicht unwesentliche Rolle spielen.
 
Take 3

Am Samstagabend ist es dann soweit. Peter hat einen alten Wartburg an der Hafenmole angezündet, Polizei und Feuerwehr sind also beschäftigt. Der Hausverwalter und seine Frau sitzen, wie jeden Samstagabend, in einem Gasthaus bei Jägerschnitzel und Faßbier.
Mario schleicht sich an die Stelle der Grundstücksmauer, wo ein Sicherungskasten angebracht ist. Das Haus wird über eine Nebenleitung mit Strom versorgt und an dieser Leitung hängt auch die Alarmanlage. Er benutzt eine Ladung Thermit, das zwar brennt, aber nicht explodiert. Kurz darauf ist alles dunkel auf dem Grundstück. Er stellt eine Leiter an die Mauer, klettert hinauf und nimmt die Leiter mit auf die andere Seite. Dann rennt er in seinem schwarzen Kampfanzug und der Sturmhaube hinüber zum Haus und schneidet ein Loch in die große Glasfront der Terrasse, um an den Türgriff zu kommen. Die alte Gomolke denkt wohl, es handele sich um einen normalen Stromausfall, denn er findet sie – nachdem er ninjamäßig durch das Haus geschlichen ist - in der Küche, wo sie gerade eine Kerze anzündet. Sie sieht ihn nur verständnislos an, ihm fällt auf, dass sie Ringe unter den Augen hat wie ein alter Bluthund. Aber sie ist starr vor Schreck. Sie schreit nicht einmal, als er sie mit Chloroform betäubt.
Mit der Gomolke auf dem Rücken geht es keuchend zurück über die Mauer, wo Peter mit dem Fluchtwagen, einem Opel Rekord, wartet. Paul hilft, die reiche Witwe im Kofferraum zu verstauen. Der Geruch von Tosca provoziert seine Nasenschleimhäute.
Dann fahren sie zu Peters Werkstatt am Rand der kleinen Stadt. Als er das Tor öffnet, werden sie von Taschenlampen geblendet. Und damit endet ihre Entführung. Oder besser: Die Entführte wird erneut entführt.

Take 4

Peter, Paul und Mario sitzen um einen Tisch voller leerer Bierflaschen.
Paul: "Verdammte Scheiße. Ich kann es immer noch nicht glauben."
Mario: "Alles geplant bis ins die kleinste Kleinigkeit. Ich würde gerne wissen, wer uns verraten hat, aber wir werden es wohl nie rauskriegen."
Peter: "Dafür sitzen wir wenigstens nicht im Knast wie dieser bescheuerte Dimitri und sein Kumpel. Die haben sich bei der Lösegeldübergabe aber auch wirklich blöd angestellt. Habt ihr die Aufnahmen vom Swinger-Club in der Landesschau gesehen? Zum Glück hat niemand nach meiner Werkstatt gefragt."
Paul sieht die ganze Sache gelassen. Er hat nichts zu verlieren. Weder Frau und Kind, noch Haus oder Vermögen. Kein Gerichtsvollzieher kann ihm etwas nehmen. Er hat nur seinen Körper und dessen Bedürfnisse. Mit der Methode des Creative Writing können sie sich jeden Tag einen neuen Plot ausdenken.
Mario: "Wir bringen die Schweine um. Ich kenne einen abgelegenen Bootsanleger am Fluß, an der DLRG-Station. Wir schaffen diese Hurensöhne mit einem Boot raus aufs Wasser und versenken sie mit Gewichten. Die findet niemand mehr. Irgendwann wird man sie als vermisst melden und einige Zeit später wird man leere Särge beerdigen. Die Leute vom Friedhof werden noch nicht einmal wissen, welches Datum sie auf die Grabsteine schreiben sollen." Er nörgelt immer herum wie ein altes Waschweib.
Peter steht am Fenster und schaut hinaus, aber er sieht nichts.

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