Freitag, 3. Oktober 2025

35 Jahre neue Kolonien

 

In den späten neunziger Jahren haben wir mal mit ein paar Leuten ein Bauernhaus in einem Eifeldorf gemietet, um dort die Zeit zwischen den Jahren und Silvester zu verbringen. Die Tür am Ende des Flurs führte in eine dunkle Scheune, die voller Gerümpel war. Aber von dort kam man in einen Anbau, ein Zimmer von etwa zwanzig Quadratmeter Größe mit einem Doppelbett und einem offenen Kamin, durch dessen Fenster man das verschneite Dorf sehen konnte. Niemand hätte hier noch einen Raum vermutet, er war ein unerwartetes Anhängsel des Hauses und wir nannten ihn scherzhaft „DDR“. Hier verbrachten meine Freundin und ich die Nächte.

Ich erinnerte mich an meinen ersten Besuch in der DDR 1980. Die BRD war gerade durch zwei Tore von Horst Hrubesch gegen Belgien Fußballeuropameister geworden und hatte die Olympischen Spiele in Moskau boykottiert, weil die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert war, eine Schandtat, die kein westliches Land je begehen würde.

Ich besuchte die Kleinstadt, in der meine Großeltern gelebt hatten. Es war erschütternd. Schon am Ortseingang kamen mir ausgemergelte Kinder barfuß und in Lumpen entgegen und bettelten um Brot. Ich gab ihnen Kinder-Schokolade und erzählte ihnen, dass sich bei uns im Westen die Supermarktregale unter der Last köstlicher Süßigkeiten biegen würden.

Es war sehr kalt im Osten und mir fiel auf, dass die Häuser keine Dächer hatten. Vermutlich in den Westen verkauft, um an die begehrten Devisen oder ein paar Bananen ranzukommen. Durch die verstaubten Fenster sah ich, wie die Menschen in ihren ärmlichen Behausungen Schnee schaufelten, um wenigstens das Wohnzimmer von den weißen Massen zu befreien.

Auf den Straßen sah ich keine Autos, nur ab und zu einen SED-Funktionär in grüner Uniform und mit Mao-Bibel in der Hand, der in einer Rikscha zum nächsten stalinesischen Parteibüro gezogen wurde. Ich ging in einen Blumenladen, weil ich meinen Großeltern einen Strauß aufs Grab legen wollte, aber es gab keine Blumen. Ich fragte die Verkäuferin, warum sie überhaupt im Laden stehen würde, und sie sagte, die Partei wolle in jedem Ort einen Blumenladen, obwohl es in der ganzen DDR nicht eine einzige Blume gäbe. Die DDR hatte nur eine Farbe: grau.

Auf dem Friedhof gab es keinen einzigen Grabstein. Auf einer verwitterten Bank saß ein alter Mann, der Friedhofswärter. Ich fragte ihn nach dem Grab meiner Großeltern. Er erklärte mir, seit dem VII. Parteitag gäbe es keine Beerdigungen und Gräber mehr, weil Walter Ulbricht erklärt habe, der sozialistische Mensch sei unsterblich. Ich ging in einen „Kaffeeschuppen“, das DDR-Wort für Coffeeshop, und bestellte einen Cappuccino. Fassungslose Gesichter beim Personal. Eine Frau warf eine Handvoll Gerstenkörner in eine Mühle, übergoss die Brösel mit lauwarmem Wasser und nannte es Muckefuck.

Zum Glück gibt es dieses furchtbare Land nicht mehr, aber nach der Wiedervereinigung haben die Ossis die Deutsche Bahn und die Verwaltung übernommen und alles ruiniert. Der Osten ist im Westen nicht glücklich geworden und der Westen konnte mit dem Osten nie etwas anfangen. Es erinnert mich an meinen Urgroßvater, der im Kaiserreich als Kolonialoffizier in Afrika war. Er brachte von der Großwildjagd zahlreiche Felle und zwei Elefantenschädel mit, die er neben dem Portal seiner Villa aufstellen ließ. Und Malaria, die in Jahrzehnte später umbrachte.       

BILD: Geteiltes Leid

 

Donnerstag, 2. Oktober 2025

Elektro-Wochen bei Elektro-Jochen

 

Blogstuff 1203

Berlin bekommt eine Helmut-Kohl-Allee. Es wird die Straße zwischen Konrad-Adenauer-Haus und Siegessäule.

„Pizza Zulu“ in Fürth hängt ein Schild an den Laden, wonach israelische Staatsbürger nicht mehr bedient werden. Ich schreibe als Kundenrezension bei Google Maps, sie sollten ihren Drecksladen doch gleich in „Pizza Mussolini“ umbenennen. Wurde nicht veröffentlicht, Google schickt mir eine Mail, sie würden sich weigern. Mal sehen, ob diese Info auf meinem Google-Blog veröffentlicht wird. Scheiß-Nazis.

Wortspielhölle Berlin. Jetzt gibt es also ein Restaurant namens „Schmatzinsel“ in Frohnau.

Die wöchentlich erscheinende Zeitschrift „Der Vogelbeobachter“ ist vermutlich gesichert rechtsextrem und wird vom Bundesverband der veganen Ornnithologen beobachtet.

Ich kenne nur ein polnisches Wort: Kurva. Aber das könnte ich den ganzen Tag sagen.

Union = endlos in der Regierung Scheiße bauen und dann ganz kurz Rot-Grün dranlassen, die hinterher an allem schuld sind. Klappt immer.

Es gibt Gänse, die im Herbst nach Süden fliegen, und es gibt Gänse, die am Martinstag oder an Weihnachten gegessen werden.

***

„Haben Sie es schon gehört?“

„Was?“

„Bonetti ist ins Krankenhaus eingeliefert worden.“

„O mein Gott, was ist passiert?“

„Es begann mit Wortschatzproblemen.“

„Und dann?“

„Dann machte er eine Reihe von ernsthaften Rechtschreibfehlern.“

„Deswegen muss man doch nicht ins Krankenhaus.“

„Aber der Dialog zwischen Pro- und Antilope. Oder Kalauer wie ‚Ich wollte einen Witz über die Deutsche Bahn machen, aber ich wusste nicht, ob der ankommt.‘ Ein einziger Alptraum.“

„Und jetzt?“

„Er fing an, Witze über Sauerteigbrot zu machen. Es gibt keinen einzigen guten Witz über Sauerteigbrot. Mario Barth baut ihn in der Reha langsam wieder auf.“


Bonetti geht aufs Oktoberfest.

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Sonnenuntergang – Diesmal ohne Sonne


Blogstuff 1202

„Wer sich im Kreis dreht, bekommt von allen Seiten Gegenwind.“ (Konfuzius)

Im Rahmen der sozialistischen Kulturarbeit habe ich einen roten Stern gebastelt. Wer hat Interesse?

Bei meiner Beerdigung möchte ich ein halbes Dutzend Italiener in dunklen Anzügen und mit Sonnenbrille haben, die Patronen in mein offenes Grab werfen.

Mein eigentliches Ich wohnt in einem kleinen Mansardenzimmer über dem rechten Ohr. Es ist dunkel. Wenn ich das Licht sehen will, muss ich zu einer Augenhöhle gehen.

Für den Undercover-Job bei der Polizei habe ich mir „ACAB“ auf die Stirn und Hakenkreuze auf die Backen tätowieren lassen. Mein ganzer Körper sieht aus wie ein Bilderbuch und ist zugepierct wie ein Schlüsselbrett. Aber nach fünf Jahren konnten wir endlich Rüdiger Capone überführen.

Er kommt die Treppe heraufgerannt. Achtzig Stufen. Usain Bolt nix dagegen. Ein junger Mann mit Turban und einem Lachen. In einer Bierkiste sind zwei Flaschen Wein und drei Flaschen Bier, mit denen ich in Würde durch den Sonntagnachmittag kommen werde. In einer schwarzen Box ist meine Jumbo-Pizza – Salami, Pepperoni-Salami, Bacon, drei Käsesorten, kein Rucola, kein Gemüse. Die Inder, die inzwischen auch im Supermarkt an der Kasse sitzen, werden die Service-Wüste Berlin erlösen. Kommt in meine Stadt!

Bonetti ist kein Mann für eine Nacht. Noch nicht mal für eine halb Stunde, denn dann schnarcht er schon.

Idee: Rockstar aus den 60ern auf einer Party heute. Peinlich. Macho. Zugedröhnt und total besoffen. Wer schreibt die Story?

Ich bin ja ohne Internet, DVDs, Playstation und Fernsehen rund um die Uhr aufgewachsen. Ich weiß gar nicht, wie wir damals den Tag rumgebracht haben, vor allem in den Ferien. Fernsehen gab es erst ab 17 Uhr und dann hat man uns Stummfilme („Väter der Klamotte“) gezeigt, so alt bin ich. Hamburger, Pizza oder Sushi kannten wir gar nicht. Ich bin vor meinem 18. Geburtstag nur einmal geflogen, mit Neckermann nach Malle. Da habe ich von der Stewardess ein kleines Modellflugzeug und zwei Ansichtskarten mit unserem Flugzeug drauf bekommen und durfte ins Cockpit. Wenn ich mich vor Aufregung nicht fast eingeschissen hätte, hätte ich mit dem Kapitän reden können. Flugkapitän kam damals direkt nach Bundespräsident, diese Leute konnten noch Wasser in Wein verwandeln. Nach den Sommerferien musste ich haarklein von diesem Abenteuer berichten, eine ganze Traube von Mitschülern hatte sich um mich gebildet. Die Generation Z ist bestimmt schon hundert Mal geflogen, aber sie war sicher nie im Cockpit. Ich zehre noch heute von diesen aufregenden Abenteuern.