Sonntag, 7. Juli 2019

Orte der Trauer

Wenn man in Richtung Schweppenhausen fährt, steht am Ortsausgang von Langenlonsheim ein Kriegerdenkmal vor dem Friedhof, das an die Toten des Ersten Weltkriegs erinnert. Aufschrift: „Unsere Helden“, dann sind die Namen der Gefallenen aufgeführt. Manche Leute würden diese Denkmäler gerne abreißen, weil in ihren Augen der Krieg und die Monarchie verherrlicht werden. Es lohnt sich, über die eigentliche Funktion dieser Denkmäler nachzudenken. Viele Familien verloren damals ihre Söhne und erhielten lediglich eine Nachricht, wo und wann er verstorben sei. Im Regelfall bekamen die Familien den Leichnam nicht überstellt und konnten daher auch keine Beerdigung veranstalten, da die zerfetzten Leiber ihrer Kinder in irgendeinem Massengrab in Flandern verwesten. Es gab also für die Eltern und für die Geschwister keinen Ort, um zu trauern. Keine Grabstelle, auf die man Blumen legen konnte. Also wurden in den Dörfern diese Denkmäler errichtet, damit die jungen Menschen, die so früh und so sinnlos ihr Leben verloren hatten, nicht vergessen wurden, und die Familien einen Ort hatten, wo man gemeinsam mit anderen der Toten gedenken konnte. Es gehört leider zur Oberflächlichkeit und Hochnäsigkeit unserer Zeit, sich über diese Dinge lustig zu machen.
Genauso verhält es sich mit den katholischen Kirchen, die in den Augen mancher Leute kitschig ausgemalt sind. Sie machen sich besonders gerne über die pausbäckigen Engel lustig, die wie adipöse Kleinkinder aussehen. Auch diese Bilder haben eine Funktion. Früher starben viele Kinder bereits als Säugling oder als Kleinkind. Wie konnte es sein, dass Gott eine so unschuldige Seele vor der Zeit zu sich nimmt? Das eigene Kind beerdigen zu müssen, ist eine traumatische Erfahrung, die fast jede Mutter und jeder Vater zu erleiden hatte. Der Gedanke, es sei nun ein Engel im Himmel, tröstete die Menschen, denn da das Kind ohne Sünde gewesen ist, konnte es niemals in die Hölle kommen. Die Kirche war der Ort, wo man mit seiner Trauer, mit seinen Schmerzen und mit seinen Tränen allein sein konnte. Die Mütter und Väter betrachteten die glücklichen, wohlgenährten Engel, die lachend auf Wolken saßen, und stellten sich vor, es sei ihr Kind, das sie verloren hatten. Auch an diesem Punkt sollte man den Ort der Trauer nicht zum Gegenstand von Hohn und Spott machen. Diese Bilder, wie auch die Denkmäler, haben einen Sinn, auch wenn er sich nicht jedem Betrachter erschließen mag.
Peter Tschaikowsky – Tanz der Rohrflöten. https://www.youtube.com/watch?v=y4DeBcaktww

14 Kommentare:

  1. Ich habe als junge Frau zufällig "Totenzettel" im Schrank meiner Eltern gefunden und durfte sie behalten. Da hatte ich Bilder von jungen Männern in meinem Alter, die vor meiner Geburt gestorben waren. Der Begriff "Gefallene" irritierte mich damals sehr, ich fand ihn verschleiernd.
    Ich habe diese Gedenkzettel noch heute und würde gerne einmal auf den Spuren dieser jungen Männer in meinem Geburtsort gehen. Einige Namen gibt es nun nicht mehr.
    Menschen brauchen die Möglichkeit zur Trauer und Schmerz, ob Denkmal, Engel oder Totenzettel, alles was ihnen hilft, ist wichtig.

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  2. Ich habe im Bulgarien Urlaub zum ersten Mal eine christlich orthodoxe Kirche besucht.
    In der Kirche, die aus dem späten 19. Jahrhundert stammt gab es nicht einen Quadratmillimeter ohne Ikonen-Gemälden. Auch als nicht religiöser Mensch war ich tief beeindruckt.
    Nichts kotzt mich mehr im aktuellen "Diskurs" an als das Zurückblicken aus heutiger Perspektive mit aktuellen Maßstäben.
    Aber wer schon in "Pippi Langstrumpf" Büchern herum pfuscht, warum sollte der/die Respekt vor den Lebensumständen längst vergangener Generationen haben?

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  3. Sehr sinniger Beitrag zum Sonntagsgottesdienst
    und am Tag der Schokolade 2019
    7. Juli 2019 in der Welt ;)

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  4. Ich lebte mal in einem Dorf mit 300 Wahlberechtigten.
    Dazu gehörten auch die Insassen eines Altenheims und die Bewohner des allgegenwärtigen Neubaubebiets. ( Nuibaugebiet auf Schwäbisch )
    Man kann also davon ausgehen, das 1914 / 18 die Enwohnerzahl etwas geringer war.
    Wobei man ja sagen muß, daß die Leute damals viel beengter gelebt haben, z.T. ganze Familien in einem Zimmer. Tagelöhner und so.
    Das Kriegerdenkmal listet ca. 40 Leute auf.
    Einfach ein Wahnsinn, da wurden ganze Familien ausgelöscht.
    Noch brutaler ist es in der Bretangne. Die Franzosen verheizten im Ersten ja gerne die aufsässigen Bewohner der Bretagne und verschonten die "echten" Franzosen.
    Das sind mal Listen !

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  5. Siewurdengelesen7. Juli 2019 um 13:21

    Die Putten stellen einen Teil der Vision des Paradieses dar, der speziell von der katholischen Kirche mehr gepflegt wurde, um für die Menschen das zu dieser Zeit doch oft entbehrungsreiche Leben erträglicher zu machen. Es ist gut möglich, dass Eltern früh gestorbener Kinder darüber einen Draht gefunden haben oder eben einfach glaubten, dass es ihnen trotz des frühen Todes jetzt im ewigen Leben besser geht.
    So ähnlich ist ja auch der Sinn der Gedenkstätten der Sternenkinder.

    Zugleich war es ein Verheissen und Drohen. Einerseits versprach man das ewige Leben im Himmel als Lohn für das duldsame und gottgefällige Leben hier. Andererseits stand eben immer auch dahinter, dass man sich bei Aufbegehren gegen die von Gott gewollte Ordnung derlei Sachen in die Haare schmieren kann und in der Hölle landet.

    Die Dinge immer auch im zeitlichen Kontext zu sehen, ist ebenfalls völlig klar. Wer hätte es "früher" gewagt, die damalige Allmacht einer katholischen Kirche oder gar die Existenz Gottes anzuzweifeln?! Dazu muss sich nur der ewige Zwist der Kirchenströmungen angesehen werden, die von der orthodoxen über die katholische bis zur evangelischen Auslegung geht. Solche Exoten wie die mittelalterlichen Katharer sind da noch gar nicht mit drin.

    Wer auf diesem Wege seinen Frieden und Ausgleich findet, bei dem soll es halt so sein. Andere wenden sich aus denselben Gründen dem Bhuddismus oder dem Hinduismus zu, weil sie damit glauben, ihre Probleme lösen zu können - so what? Solange mir damit keiner auf den Keks geht und meint bekehren zu müssen, kann ich damit leben, auch wenn meine Sicht der Welt anders ist. Interessanterweise sind Kirchen eine der wenigen Orte, an denen man auch als areligiöser Mensch noch etwas Zeit und Ruhe für´s Besinnen findet.

    Das Problem der Kriegerdenkmäler ist halt, dass sie ausser durch die trauernden Nachfahren je nach Lage und Gegend nur zu gerne für irgendwelchen revanchistischen Schmarren genutzt werden.

    Ich wünschte mir ja, es gäbe mehr Friedensdenkmäler, auf denen nicht unter Parolen für Führer, Gott, Volk und Vaterland die Namen der vermeintlich dafür und vor allem sinnlos Gestorbenen stünden, sondern die von nicht stattgefundenen Kriegen und der Freude am Leben ohne diese zeugten.

    Sich über solcherlei Dinge lustig zu machen, zeugt eher von Einfalt. Sich kritisch damit auseinander zu setzen, ist dagegen notwendig und sinnvoll.

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    1. Vielleicht sollte man in diese alten Denkmäler an oder auf den Friedhöfen nicht zu viel hineininterpretieren. Wenn die Bundeswehr regelmäßig in Kriegsgebiete geschickt wird und an den Feldzügen des amerikanischen Imperiums teilnimmt, hat daran konkret die Bundesregierung schuld und nicht ein Denkmal. Auch die Nazis nutzen die Denkmäler nicht für ihre propagandistischen Zwecke. Inzwischen gibt es ja auch Gedenkstätten wie das Holocaust-Mahnmal, wo der zivilen Opfer gedacht wird.

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    2. Mein lieber Herr Eberling7. Juli 2019 um 21:23

      Zitat:"Auch die Nazis nutzen die Denkmäler nicht für ihre propagandistischen Zwecke."

      Nach dem verlorenen ersten Weltkrieg drückte sich in der überwiegenden Mehrzahl der Denkmäler die Absicht aus, dem sinnlosen massenhaften Tod auf dem modernen Schlachtfeld trotz verleugneter Niederlage einen Sinn zu geben. Tote Soldaten werden als Helden und Vorbilder dargestellt. Ihr Tod soll dadurch Sinn bekommen, dass nachfolgende Generationen ihnen nacheifern und ihrerseits ihr Leben einsetzen, um in zukünftigen Kriegen doch noch den Sieg zu erringen. Nach 1933 nahmen die Nazis dieses Deutungsschema auf und spitzten es aggressiv zu. Der Totenkult um die Opfer des ersten Weltkriegs korrelierte zum sehr stark sakrale Formen annehmenden Helden- und Märtyrerkult der NSDAP.

      Beispiel Kriegsdenkmal von 1939, Düsseldorf, Reeser Platz (mit großem Aufmarschplatz für NS-Feiern)
      https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/80/Denkmal_Düsseldorf_39er_1.JPG
      Die toten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg marschieren aus der Gruft in den Zweiten Weltkrieg.

      Dieses Denkmal für das 39er Füsilierregiment wurde im Juli 1939 kurz vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Polen eingeweiht. Es zeigt die Verherrlichung des Krieges durch die Nationalsozialisten: Bewaffnete Soldaten steigen aus der Gruft und ziehen in Reih und Glied mit ungebrochenem Kampfwillen in den Krieg. In der Heroisierung der Gefolgschaft wird die mit jedem Krieg verbundene Erfahrung des Leids und des Todes unterschlagen. Mit der Inschrift "Für des deutschen Volkes Ehre und Freiheit" und mit den später eingemeißelten Namen eroberter Städte in Ost und West ist es Ausdruck der aggressiven Kriegspolitik der Nationalsozialisten.

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    3. Mein lieber Herr Anonym: Ich meinte die heutigen Nazis, deren Morde uns gerade alle beschäftigen.

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    4. Denk Mal!
      Zitat:"Ich meinte die heutigen Nazis, deren Morde uns gerade alle beschäftigen."

      Dazu nur eine kleine Auswahl an Meldungen aus der bürgerlichen Presse:

      Wie Neonazis ihrer „Helden“ gedenken
      https://www.endstation-rechts.de/news/wie-neonazis-ihrer-helden-gedenken.html

      NS-Kriegsdenkmal in Radolfzell und anderswo
      http://karlheinz-hug.de/kriegsdenkmal-radolfzell/

      Das nationalsozialistische „Ehrenmal“ in Steele Horst – leider weiterhin ein Anlaufpunkt für Rechtsradikale und Neo-Nazis
      https://www.lokalkompass.de/essen-steele/c-politik/das-nationalsozialistische-ehrenmal-in-steele-horst-leider-weiterhin-ein-anlaufpunkt-fuer-rechtsradikale-und-neo-nazis_a727405

      Kampf um die Straße mit Tränen in den Augen
      https://www.akweb.de/ak_s/ak542/31.htm

      Geithain: Thälmann-Denkmal beschädigt, Kriegs-Denkmal geputzt
      https://www.chronikle.org/ereignis/geithain-th%C3%A4lmann-denkmal-besch%C3%A4digt-kriegs-denkmal-geputzt

      Ehrenfriedhof am Kaiserberg in Duisburg wird zum Denkmal
      https://www.waz.de/staedte/duisburg/ehrenfriedhof-am-kaiserberg-in-duisburg-wird-zum-denkmal-id9514469.html

      „Sie werden auferstehen"
      [...] die Fahnen hängen wieder auf Halbmast, aber manchen Besucher wird klamm zumute, wenn er die aktuelle Zeremonie besucht. Es ist der Aufmarsch der Militärs und der Priester, Burschenschaften mit bunten Mützen und Plüschuniformen. Neonazis und Altgediente feiern dort mit kirchlichem Segen ihre Helden. Von Trauer ist nicht viel zu sehen, eher von Stolz auf die schönen Uniformen.

      https://hpd.de/node/3230

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  6. Erst werden ganze Generationen mit Tschingderassa Bumm auf die Schlachtfelder geführt und dort gnadenlos auf Befehl kriegsgeiler Eliten sinnlos abgeschlachtet. Dann wird jenen, von solchen irsinnigen Massakern verschont Gebliebenen, eine verlogene Mär vom "Sterben für Ruhm und Vaterland" in Form kitschig verklärender "Heldendenkmäler" aufgetischt. Deren tatsächliche Funktion darin besteht, Wut auf das verbrecherische und profitgierige Handeln der verantwortlichen kriegslüsternen Eliten erst garnicht aufkommen zu lassen, bzw. in einen alles verklärenden Mythos um- und abzulenken. Das tatsächliche Grauen und die unmenschlichen Greueltaten auf den Schlachtfeldern soll möglichst aus dem kollektiven Bewußtsein aussen vor bleiben, dies könnte ja zukünftigen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht förderlich sein.

    Solche sogenannten "Heldendenkmäler" ist die zynische Verhöhnung der Humanität, das protzige Tüpfelchen degenerierter Eliten auf diesen Scheißhaufen der Inhumanität namens Krieg!

    Die Pfaffen „Für Gott und Vaterland“ Weihrauchfässer schwenkend immer schön mittenmang, damit der letzte aufklärerische Geist derart benebelt auch ja keine kritischen Gedanken entwickeln kann. Für die letzte Not der an dieser Menschheit Verzweifelten, zaubert man das süssliche Lächeln einer Jungfrau Maria Hülf aus der religiösen Trickkiste, derweilen für solche untertänigen Hilfsdienste das Pfaffengesindel mit schwülstigen Ausmalungen ihrer pädophilen Neigung belohnt wurde.

    Na klar doch, alles liebe kleine unschuldige Engelchen ... ☮

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    1. Ich hoffe, Sie haben wenigstens offline Ihre Aggressionen besser im Griff. Peace.

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  7. Das ausgerechnet dieses Thema so viele Kommentare auslöst !
    Bei uns in Reutlingen zeigt das große Kriegerdenkmal für die Opfer des Ersten auch noch die Spuren des Zweiten. Der Friedhof liegt in Nachbarschaft zum Bahnhof.
    Als die Amis 44/45 geziehlt die Eisenbahninfrastruktur zerstörten wurde natürlich auch der Friedhof getroffen.
    Die Tafeln und Figuren und Bauwerke des Denkmals wurden ordentlich perforiert.
    Zum Glück hat man es nicht renoviert, ein gutes Zeitzeugniss und Mahnung an die noch lebenden.

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    1. Wundert mich auch. Ich war am Donnerstag im Weingut Wasem in Ingelheim mit Freunden zum Umtrunk verabredet. Als ich am Freitagvormittag mit Bus und Bahn zurück gegondelt bin, fiel mir das Denkmal auf. Problematisch finde ich das Denkmal in Bingen, da sind die Gefallenen in Offiziere und Mannschaften eingeteilt. Im Tod noch die militärische Hierarchie pflegen - das finde ich albern und sehr deutsch.

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    2. Na ja, in Südtirol schreiben die auch noch SS Ostubaf XY hin. (Obersturmbanführer)
      Bei WK II Denkmälern.
      Die kennen nix. Braune Brut da in Südtirol.....

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