Montag, 2. Januar 2017

Es geht uns gut

„Die Mentalität der Menge: das ist eine Summe von Ziel- und Ratlosigkeit, von Verzweiflung und kleiner Courage, von Opportunismus und Weichlichkeit, von verkappter Sentimentalität und überhobener Arroganz.“ (Hugo Ball)
Die Sache mit dem Wohnungsmangel macht mir wirklich Sorgen. Meiner Frau geht es genauso. Seit vier Wochen hat man einen Special Agent vom Geheimdienst bei uns einquartiert.
Eines Abends stand er einfach in unserem Wohnzimmer. Mit dem Koffer in der Hand. Nachdem der Schreikrampf meiner Frau vorbei war – zum Glück hatte der Special Agent eine Betäubungsspritze griffbereit -, fragte ich ihn, wie er in die Wohnung gekommen sei. Ich habe einen Schlüssel, sagte er ganz ruhig.
Dann hat er mir die Lage erklärt. Wegen der großen Bedrohung durch Terroristen, Russen und Nordkoreaner habe der Staat massiv die Polizei, das Militär und die Geheimdienste verstärkt. Die Special Agents des Geheimdienstes müssten natürlich unauffällig operieren, daher seien sie vorübergehend in Privathaushalten untergebracht, bis genügend Wohnungen vorhanden seien, um allen Mitarbeiter ein eigenes Quartier zu geben. Das alles diene selbstverständlich nur unserer Sicherheit. Ich bin froh, dass der Staat auf diese Bedrohung von außen eine Antwort hat.
Der Special Agent, sein Name ist übrigens Müller 17, ist ein sehr ruhiger und angenehmer Mitbewohner. Er stört überhaupt nicht und ist sehr leise. Er hat seine Luftmatratze und seinen Schlafsack mitgebracht, die er jeden Abend in den Flur vor der Wohnungstür legt und jeden Morgen wieder im Einbauschrank verstaut. Allerdings muss man aufpassen, wenn man nachts auf die Toilette oder an den Kühlschrank gehen möchte, denn das geringste Geräusch weckt ihn und augenblicklich spürt man den kühlen Lauf seiner Pistole an der Schläfe. Diese Leute sind wirklich großartig ausgebildet.
Müller 17 ist auch sehr diskret. Heute zum Beispiel sitze ich gerade auf der Toilette, als er nach Hause kommt. Ich habe ihn gar nicht kommen hören. Plötzlich steht er im Badezimmer, aber er sieht mich gar nicht an. Er geht zum Waschbecken, wäscht sich etwas Blut von den Händen, trocknet sie sorgfältig ab und geht, ohne ein Wort zu sagen. Ich weiß nicht, ob jede Familie so viel Glück mit ihrem Special Agent hat.
Als ich ins Wohnzimmer komme, sitzt er auf dem Sofa neben meiner Frau. Wir haben gerade zu Abend gegessen. Sie hatten Steak, sagt er mit einem Lächeln. Ja, antworte ich, woher wissen Sie das? Er schweigt, lächelt aber weiter. Es war nicht perfekt, sagt er, es hat eher mittelmäßig geschmeckt. Ja, sage ich verblüfft, genau das habe ich vorhin zu meiner Frau gesagt. Es war mittelmäßig. Die Bohnen und die Kartoffeln waren ebenfalls mittelmäßig. Er schaut mich gar nicht an, während er das sagt. Ich nicke nur.
Dann erklärt er uns die Sache mit dem Essen. Die Bevölkerung ist in drei Gruppen eingeteilt: Die Exzellenten, die Mittelmäßigen und die Minderleister. Allen drei Gruppen bekommen ihr eigenes Essen, ihre eigene Kleidung, ihr eigenes Fernsehprogramm, ihre eigene Zeitung usw. Wir gehören zu den Mittelmäßigen, daher ist auch unser Essen mittelmäßig, der Pullover kratzt, aber nur ein bisschen, der Sommerurlaub an der Ostsee war eher durchwachsen und jetzt, wo ich darüber nachdenke, fallen mir viele weitere Beispiele ein.
Warum denn nicht alle Bürger exzellentes Essen haben können, frage ich. Dem Staat müsse das doch möglich sein. Es ist eine Kostenfrage, antwortet der Special Agent, und deutet auf mein Bier, das auf dem Wohnzimmertisch steht. Wir haben nicht unbegrenzt hervorragenden Hopfen und ausgezeichnete Braugerste, alle Zutaten für die Nahrungsmittel und Getränke seien daher auch in drei Klassen eingeteilt. Das klingt vernünftig.
Gestern hat mein Sohn, er ist jetzt vierzehn und in dieser lästigen Trotzphase, die man als Teenager durchläuft, Müller 17 angegriffen. Er hat ihn von hinten angesprungen und seinen Schädel mit einem Messer und einem Hammer traktiert. Der Special Agent hat ihn einfach abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt und ihm seinen Stiefel auf den Nacken gestellt, um ihn zu beruhigen. Dann hat er ihm erklärt, seine Haut sei aus einem neuartigen Material, das praktisch unzerstörbar sei. Er könne ihn mit einem Messer oder einer anderen Waffe nicht verletzen. Mit solchen Geheimagenten müssen wir keine Angst mehr haben.
Meine Frau und ich sind uns einig: Es ist wunderbar, dass sich der Staat auf diese Weise um unsere Sicherheit sorgt und weder Kosten noch Mühen scheut, uns das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
The Untouchables - What's Gone Wrong. https://www.youtube.com/watch?v=xIYMvVQ0kwE&spfreload=5
P.S.: Das war mein Jahresausblick 2016 vor einem Jahr ... Gruselig und immer noch aktuell. http://kiezschreiber.blogspot.de/2016/01/munchen.html

1 Kommentar:

  1. .... aktuell, denn täglich grüßt das Murmeltier ;)
    belustigende FRÜHSTÜCKS- (meine Cappuccino-) Lektüre
    ...eben... wie,
    aus dem Leben geschrieben !!! *Chapeau*

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