Samstag, 28. Mai 2016

Fäkalträumereien

„Die Chemie stimmte nicht zwischen uns, die Physik stimmte nicht, der Sportunterricht nicht, die Deutschstunde nicht, Erdkunde und Religion auch nicht.“ (Andreas Glumm)
Natürlich war es mir peinlich, als ich aufgewacht bin. Wem wäre es nicht peinlich gewesen? Sollte ich das überhaupt aufschreiben und auch noch veröffentlichen? Einem Publikum präsentieren, das täglich nur die allerbeste Textqualität gewohnt ist? Metapherngesättigte, sinnstiftende Prosa auf Weltniveau. Vom Dichterfürsten Bonetti himself. Erste Sahne, frisch gezapft.
Und jetzt so ein, ich möchte fast sagen, dahingeschissener Traum ohne tiefere Bedeutung. Muss das sein, frage ich mich und bin doch schon mitten drin. Aber der Reihe nach.
Es erreicht mich ein Brief der Behörde. Mein Abitur ist ungültig. Muss ich nochmal machen. Und ich muss auch nochmal bei meiner Mutter in Ingelheim einziehen. Und das in meinem Alter! Aber ich widerspreche nicht. Die Behörde wird schon wissen, was sie tut.
Der Vorteil: Ich muss nicht die ganze Schule wiederholen, sondern steige in der zwölften Klasse ein. Ich rechne also schnell nach. Jetzt haben wir Mai und im Januar muss ich das schriftliche Abitur machen. Zieht man die Ferien ab, ist das ein halbes Jahr. Und vielleicht mache ich das Abitur ja mit einem besseren Schnitt als damals vor dreißig Jahren? Dann könnte ich auch was Sinnvolles studieren und nicht so einen Blödsinn wie in meiner Jugend, als mir der Numerus Clausus viele Wege versperrte.
Das sind meine Überlegungen, als ich an der Bushaltestelle stehe und auf den Schulbus warte. Man muss das auch mal positiv sehen. Ich bin ein bisschen aufgeregt, denn ich war noch nie in dem neuen Schulgebäude, von dem ich nur die Adresse aus dem Behördenbrief kenne, und selbstverständlich kenne ich dort niemanden. Ich werde auf jeden Fall der älteste Schüler sein, soviel ist klar. Denn ich bin der einzige Mensch in Ingelheim, der das Abitur nochmal machen muss.
Endlich kommt der Bus und ich steige ein. Kinder aus aller Herren Länder sitzen auf den Bänken. Die Welt in einem Schulbus! Ich bleibe auf dem Gang stehen, weil ich keine Lust habe, den ganzen Bus nach einem freien Platz abzusuchen. Die Fahrt dauert ohnehin nicht lange, denn Ingelheim ist nicht groß.
Erst jetzt merke ich, dass ich nur eine Unterhose trage. Und natürlich meinen signalorangefarbenen Schulranzen, den ich wirklich in meiner Grundschulzeit hatte. Wo war ich nur mit meinen Gedanken, als ich aus dem Haus gegangen bin? So kann ich natürlich nicht zur Schule und darum steige ich an der nächsten Haltestelle aus und laufe zurück.
Meine Mutter ist natürlich längst weg, denke ich. Und ich habe keinen Hausschlüssel dabei. Und auch kein Handy. Da brauche ich erst gar nicht meine Taschen zu durchwühlen, denn ich habe ja nur die Unterhose an. Der Ranzen ist – zu meinem hellen Entsetzen – völlig leer. Noch nicht mal ein Stift ist zu finden.
Ich beschließe, mich vor unsere Wohnungstür zu setzen, und auf meine Mutter zu warten. Dann verpasse ich eben meinen ersten Schultag. Was soll’s? Als ich an die Tür komme, sehe ich, dass der Wohnungsschlüssel von außen steckt. Habe ich glatt vergessen! Aber ich kann in die Wohnung.
Ich ziehe mich an, stecke Schlüssel und Handy ein und packe meinen Ranzen. Heute ist Projekttag. Das Thema ist: Scheiße. Jeder muss zu diesem Thema etwas mitbringen. Eine Fotographie, eine Zeichnung oder echte Scheiße auf einem Teller. Vom Menschen, vom Hund oder auch die Kügelchen, die Kaninchen und Rehe hinterlassen. Ich habe natürlich nichts vorbereitet.
Dann wache ich auf.
Ich muss mal.
Groß.
Lillywood & the Prick and Robin Schulz - Prayer In C. https://www.youtube.com/watch?v=dS-986Esqd0
P.S.: Dies ist ein Beitrag aus der Serie "Körperflüssigkeiten". Der Kiezneurotiker hat mit Erbrochenem angefangen, ich habe mit Fäkalien weitergemacht. Wer übernimmt Blut oder Urin?

3 Kommentare:

  1. Soll ich mal beim Mit-Künstler fragen ob der einen Gastbeitrag über vollgepisste Polster oder durchgeblutete Klamotten macht? Passt bei mir nur thematisch nicht rein, kannste also vergessen. Und da ich so ungern jammere und auch nicht wüsste wie ich einen Schlenker zurück zum Carbamazepin hinbekomme kann ich auch leider, leider, leider nicht mit Magensaft dienen und auf die Zunge gebissen habe ich mir auch schon länger nicht mehr (Speichel, Blut) und das ist gut.

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    1. In der Kunst wird ja gerne mit Fett und Filz gearbeitet, wenn ich an Beuys denke. Und Blut ist sicherlich die symbolträchtigste Körperflüssigkeit. Da gibt es bestimmt schon einiges, oder?

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    2. Ich habe den Namen nicht parat, aber es gab (oder gibt, kann wie gesagt jetzt keine Identität zuordnen) einen Maler, war glaube ich auch ein Deutscher, der vorwiegend mit Blut gemalt hat. Es könnte sein, ich weiß es gerade wirklich nicht aus dem Kopf, dass Anselm Kiefer solche Experimente gemacht hat. Ulay (Uwe Laysiepen) hat in seiner Körperarbeit und den Performances so dann und wann mal geblutet oder sich mit Blut übergossen. Bei Paik war in den 60er Jahren mal was mit einem blutenden Stierkopf, der irgendwo hingehangen wurde im Rahmen von einer Fluxus-Sache. In die Zeit ungefähr fällt auch die blutig geschlagene Beuys-Nase bei einer Performance. Unter anderem.


      Fällt mir gerade noch ein: Die Piss-Paintings - da hast du Urin - von Warhol.

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