Montag, 17. August 2015

Der Planer

„Aber ich bin ein Mensch von Erziehung, ich trage saubere Wäsche und einen heilen Anzug, und ich finde schlechterdings keine Lust darin, mit ungepflegten jungen Leuten an absinthklebrigen Tischen anarchistische Gespräche zu führen.“ (Thomas Mann: Der Bajazzo)
Draußen vor der Stadt liegt ein Hügel und auf diesem Hügel steht eine Behörde. Sie ist schon von weitem gut sichtbar, aber nur wenige Menschen haben diese Behörde je betreten. In dieser Behörde wird die Zeit geplant, genauer gesagt die zeitlichen Abläufe sämtlicher Behörden der Stadt, die Termine und Fristen aller Abteilungen der städtischen Verwaltung, die kunstvoll ineinandergreifen wie die Zahnräder einer großen Maschine.
Z. wohnt in einer kleinen Dachgeschosswohnung im Zentrum der Stadt, in der sich die Häuser aneinander drängen wie Schafe, und kann von seinem Fenster aus die Behörde sehen. Jeden Morgen steigt er in den Bus und fährt zur Behörde hinauf. Er ist Zeitplaner und dieser Beruf verschafft ihm tiefe Befriedigung. Es ist seine eigentliche Bestimmung, auf die Minute genau die behördlichen Abläufe zu organisieren. Wenn alles geordnet ist, dann ist Z. beruhigt. Wenn Vorgänge gestört, wenn Termine nicht eingehalten werden, ist er beunruhigt. Er ist ein feinfühliger Mensch, den Unordnung und Unpünktlichkeit geradezu krank machen können. An der Wand seines Büros hängen ein riesiger Jahreskalender und ein Organigramm der städtischen Verwaltung. Seine Uhr geht nie falsch.
Viermal im Jahr, jeweils im Frühling, Sommer, Herbst und Winter, fährt Z. mit dem Zug in ein kleines Dorf in den Bergen. Er reist allein, so wie er auch allein lebt, was die persönliche Planung erheblich erleichtert. Jeweils eine Woche lang belegt er ein Einzelzimmer in der gleichen Pension. Er steht um sieben Uhr auf, frühstückt um acht und begibt sich um neun auf eine Wanderung. Dazu zieht er Wanderbekleidung und Wanderschuhe an, er nimmt seine Taschenuhr und seinen Kompass mit. Nach einem Marsch von zwei Stunden kommt er im Gasthof an, es ist jeden Tag der gleiche, und bestellt ein Glas Bier. Nachdem er das Bier getrunken hat, bestellt er das Mittagessen. Dazu trinkt er ein zweites Glas Bier. Dann geht er zurück in seine Pension, um sich etwas auszuruhen. Um sieben Uhr isst er zu Abend, um acht sieht er die Nachrichten im Fernsehen und um zehn löscht er das Licht.
Es ist ein sehr ruhiges Leben, das nie zu Ende geht. Z. ist ein zufriedener Mensch. Nur das Feuerwerk zum Jahreswechsel ärgert ihn ein wenig.
Signor Rossi Theme (Viva La Felicità). https://www.youtube.com/watch?v=7Z_XxNbCo44

5 Kommentare:

  1. Was macht uns denn jetzt glücklich? Viel Arbeit oder wenig Arbeit? Ordnung und Planung oder Chaos? Kinder, Trubel, Familienleben oder ruhige, stille Einsamkeit und Versenkung? Erfolg und Geld, Macht und Ruhm oder friedvolle Harmonie? Und vor allem... macht dich glücklich, was mich glücklich macht? Und macht mich, in genau dem selben Moment, das glücklich und zufrieden, was dich glücklich und zufrieden macht?

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    1. Solche Entweder-Oder-Szenarien machen uns bestimmt nicht glücklich. Und wer glaubt, es gäbe universelle Antworten auf individuelle Fragen, sollte sich in der nächsten Bahnhofsbuchhandlung mit den üblichen Sammlungen von Gemeinplätzen eindecken.

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    2. Ich empfehle "Die zehn goldenen Regeln des Glücks" von Andy Bonetti. Als E-Book für nur 4,99. Wenn Sie sich noch heute für dieses Buch entscheiden, bekommen Sie zwanzig Prozent Rabatt und nehmen an einer Verlosung teil.

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    3. Und wenn Ihnen Bonetti zu anspruchsvoll ist, kaufen Sie "Die Glücksbärchen im Käsekuchenland" von Johnny Malta. Mit zahlreichen Abbildungen.

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    4. ;-) wollte damit ja nur darauf hinweisen, dass die Sache mit dem Glück ne verdammt individuelle Komponente hat. Das dies verstanden ist macht Herrn Rossi und mich doch schon gleich viel glücklicher...

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