Freitag, 4. Juli 2014

Texas in Ketten

Mein Beitrag zum Aufsatzwettbewerb „Mein schönstes Ferienerlebnis“:
Es war 1993 und ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen, was mich berechtigte, einen „M.A.” hinter dem Namen zu führen. Politikwissenschaftler. Klingt gut. In Wahrheit hatte ich keinen Job und keinen Plan. Also fuhr ich mit C. für fünf Wochen nach Amerika. Wir durchquerten in diesem herzzerreißend schönen Sommer den Kontinent von San Francisco nach New York wie zwei Flipperkugeln. New Orleans im Süden, Toronto im Norden. Die Wüste im Death Valley, die Berge der Rocky Mountains. Einsame Seen und Höhlen, Wasserfälle und tiefe Schluchten, glitzernde Metropolen und trostlose Motels. Am Ende hatten wir zwölftausend Kilometer in einem Mietwagen zurückgelegt, dessen Zündschlüssel nachgemacht war, weil ich das Original beim Versuch, eine Weinflasche zu öffnen, zerbrochen hatte, und der einmal komplett von der Polizei auf der Suche nach Drogen auseinander genommen worden war.
Wir hatten uns tagsüber die Höhlen von Carlsbad angesehen, weil wir das in der Hitze von New Mexico für eine gute Idee hielten. Gegen Abend fuhren wir Richtung Osten weiter und hielten in Hobbs. Dort aßen wir ein paar Steaks und tranken Bier. C. hatte am nächsten Tag ihren 30. Geburtstag, also wollten wir um Mitternacht ein wenig feiern. Ich kaufte ihr Blumen, genauer gesagt eine Flasche Four Roses Bourbon in einem Schnapsladen. Dann fuhren wir in die Nacht. Wir tranken und lachten, hörten Musik und machten wilde Pläne, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Irgendwann stellten wir den Wagen einfach am Straßenrand ab und schliefen ein.
Wir wurden durch lautes Klopfen und das Licht einiger Taschenlampen geweckt. Die Fahrt ging weiter – allerdings auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens und mit Handschellen. Offensichtlich waren wir in Texas, denn am Straßenrand standen Schilder mit der Aufschrift „Don’t mess with Texas“ und es ging direkt in den Lamesa County Jail. Dort verhörten uns die schwarz uniformierten Polizeibeamten. C. konnte als Original-Ostberlinerin und Kind der DDR kein Englisch und saß einfach lachend auf dem Boden, barfuß und nur mit einem Hippie-Kleid aus San Francisco bekleidet, während ich der Polizei erklärte, wer wir waren und was wir gemacht hatten. Ich behauptete frech, ich sei Journalist von Beruf. Klingt immer besser als „arbeitslos“ und macht die Polizei möglicherweise etwas vorsichtiger. Man nahm unsere Fingerabdrücke und machte die berühmten Fotos mit einem Nummernschild vor der Brust, von dem ich aber leider, trotz Nachfrage, keine Abzüge bekommen konnte. Dann kamen wir in zwei Zellen, die nebeneinander lagen und auf der Flurseite vergittert waren, so dass man jederzeit hineinsehen konnte. Wir waren total aufgedreht und redeten noch eine Weile, bevor wir uns unter die kratzigen Decken zum Schlafen legten.
Am nächsten Morgen bekamen wir einen Becher Kaffee und ein Stück „Sweet roll“ zum Frühstück, dann ging es in Handschellen über die Straße zum Richter. Links und rechts von uns ging einer dieser Texas-Cops. Alter Finne! Es war wie im Film. Der Richter war recht freundlich, denn er hatte in Deutschland seinen Wehrdienst geleistet und erfreute uns zu Beginn mit ein paar Erinnerungen aus seiner Jugendzeit. Außerdem hatte man bei der Durchsuchung des Wagens keine Drogen gefunden, sondern nur eine leere Flasche Bourbon auf dem Rücksitz. Wir wurden zu jeweils 75 Dollar Strafe wegen „Public Intoxication“ verdonnert, die das Geburtstagskind C. großzügig auf ihre Kappe nahm. Sie zahlte mit Reiseschecks und zum Abschied fotografierte uns einer der Polizisten mit einer Polaroidkamera vor ihrem weißen Dienstwagen. Er drückte das Bild an sein Herz, damit es sich schneller entwickelt. Dann gab er es uns. Es ist das einzige Bild von dieser Amerika-Reise geblieben: C. mit ihren knallroten millimeterlangen Haaren und immer noch ohne Schuhe, ich mit meiner unvermeidlichen Jeans-Jacke und einem frechen Grinsen im Gesicht.
Wir verließen Lamesa und fuhren weiter in Richtung Louisiana. C. sagte mir am Abend, dass sei ihr schönster Geburtstag gewesen und sie würde ihn nie vergessen. Sie lebt immer noch in Berlin. Inzwischen ist sie Psychiaterin in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Wittenau. Damals hat sie mich als „introvertiert-schizoid“ klassifiziert, das heißt als ruhig mit gelegentlichen Ausrastern. Ob sie unser Bild noch hat?
T. Rex – Children of the Revolution. http://www.youtube.com/watch?v=GpVqWS-cUKc

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