Sonntag, 10. September 2023

Fachkräftemangel forever


Man liest es jeden Tag. In Deutschland fehlen Fachkräfte. Lehrer, Pflegekräfte, Handwerker. Selbst Kellner oder Arzthelferinnen findet man nicht. Lehrstellen bleiben unbesetzt. Es gibt keine Bewerber.

Der deutsche Stammtisch hat einen „guten“ Rat. Wir haben Millionen Arbeitslose und Millionen unbesetzte Stellen. Schickt die Arbeitslosen dorthin, wo Leute gebraucht werden, und fertig ist die Laube. Leider ist es nicht so einfach.

Was ist eine Fachkraft? Ein Mensch mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Nach drei Jahren Lehre im Handwerk bekommt man den Gesellenbrief und darf sich Fachkraft nennen. Vorher nicht. Lehrer, Ärzte oder Rechtsanwälte haben mindestens sechs Jahre studiert, dazu kommen zwei Jahre im Referendariat, bei Ärzten kommt eventuell noch eine Facharztausbildung dazu.

Auf dem Arbeitsamt wird man kaum solche Fachkräfte finden. Warum? Weil Fachkräfte gesucht werden. Deswegen haben wir ja Fachkräftemangel. Man kann nicht einfach einen arbeitslosen Busfahrer in einen Handwerksbetrieb schicken und ihm sagen, ab jetzt würde er als Elektriker arbeiten. Er würde beim ersten Herd, den er anschließt (Starkstrom), sein Leben verlieren. Man kann eine arbeitslose Küchenhilfe nicht in ein Krankenhaus schicken und ihr sagen, du bist jetzt Arzt, mach mal diese Herzoperation. Der Patient würde es nicht überleben.

Arbeitslose sind überdurchschnittlich häufig gering qualifiziert, viele haben überhaupt keinen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung. Arbeitslose über fünfzig finden meistens keinen Job mehr, weil die Betriebe keine älteren Leute einstellen. Dazu kommen die Arbeitslosen mit Handicap. Der Fliesenleger, der nach dreißig Jahren im Job zwei kaputte Knie hat und am Stock geht. Die Krankenschwester mit einem Rückenschaden. Dazu kommen die Alkoholiker, Drogenabhängige und Taugenichtse, die niemand mehr haben will. Klingt hart, ist aber leider Realität. Sie sind nur eine Minderheit unter den 2,7 Millionen Arbeitslosen, aber es gibt sie.  

Dann müssen wir halt mehr Leute qualifizieren, sagt der Stammtisch. Eine Umschulung ist wegen des Alters, Krankheit oder fehlender Schulabschlüsse aber oft nicht möglich. Kein Handwerkermeister gibt einem 55jährigen Kellner eine Lehrstelle. Dazu kommt, dass es keine jungen Leute gibt, die man ausbilden könnte. Die Menschen, die man braucht, sind gar nicht vorhanden. Die Jahrgänge, die aktuell ins arbeitsfähige Alter kommen, sind nur halb so stark besetzt wie die Boomer-Jahrgänge meiner Generation. Für zwei, die von uns gehen werden, kommt nur einer nach. Ein Beispiel aus meinem Bekanntenkreis: Er (Einzelkind) hat eine Frau (Einzelkind) geheiratet und sie haben zusammen – ein Einzelkind. Großelterngeneration: vier Personen, Elterngeneration: zwei Personen, Kindergeneration: eine Person. So sieht es überall in Deutschland aus. Deutsche Frauen bekommen im Durchschnitt 1,3 Kinder im Leben, Männer können aus bekannten Gründen keine Kinder bekommen. Also fehlt inzwischen überall Personal.

Woher sollen die Fachkräfte also kommen? Aus dem Ausland, sagt der Stammtisch. Fachkräftemangel gibt es aber auch in anderen europäischen Ländern. Warum sollte jemand aus Lyon und Mailand nach Duisburg ziehen, um dort zu arbeiten? Er wird zuhause immer Arbeit finden. Dort kann er die Sprache, dort sind seine Familie und seine Freunde. Tischler aus Afghanistan, Zahnärzte aus der Mongolei? Kann man vergessen. Dazu kommt die notorische Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Was viele Deutsche auch nicht wahrhaben wollen: Wir leben hier nicht im Paradies. Marode Infrastruktur, heruntergekommene Schulen, in denen wegen des Fachkräftemangels laufend der Unterricht ausfällt, Nazis, die ausländische Fachkräfte anpöbeln, verschlafene Digitalisierung und und und.

Der Fachkräftemangel bleibt uns für die nächsten Jahrzehnte erhalten. Es gibt keine Lösung für dieses Problem. Wir werden damit leben müssen, dass Wartezimmer und Schulklassen überfüllt bleiben und wir Monate auf einen Termin beim Handwerker warten müssen.

5 Kommentare:

  1. ... sehr knapp und hellsichtig analysiert.
    Ich sehe leider keinen Politiker, der den Mut und den Charakter und den beruflichen Background hat dies auch einmal zu äußern — irgendwo muß doch jemand mit seiner politischen Karriere oder von derselben so die Schnauze voll haben, dass er sich mit solchen Worten aus der Politik (in die Rente) verabschiedet.

    Gruß
    Jens

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    1. Politiker inszenieren sich gerne als Problemlöser. Und dann wirbt die Baerbock in Brasilien eben um Pflegekräfte. Niemand fragt später, wie viele denn gekommen sind.

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  2. ... nur gut, dass unsere Senioren ja alle Brasilianisches Portugisisch ab Klasse 3 in der Volksschule hatten.

    Gruß
    Jens
    (Boa noite)

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  3. Für mich scheint eher das Problem zu sein, dass Arbeit nicht mehr als was völlig normales gesehen wird, sondern als etwas wasTräume erfüllen muss. Die Medien sind voll von Helden die scheinbar ohne (Aus-)Bildung großes schaffen. Die unis sind voll mit Menschen die auf bestbezahlte bullshit Jobs hoffen. Und die, die sich die Mühe machen arbeiten zu gehen, werden mit unendlichen papier- und regelkram aus den Schreibstuben dieser Akademiker gequält.
    Die Leute vor Ort haben nicht mehr den Rücken krumm, sondern ertragen die Bürokratie nicht mehr.
    Frag mal einen Krankenpfleger oder Erzieher wieviel Zeit der schriftkram in Anspruch nimmt.
    Und wenn man dann feststellt, dass der bullshit job mit 3000 oder 4000 Euro nach Hause geht,, ist jede Freude am eigenen job weg.
    Der fehlende Respekt vor Arbeit und die Bürokratiesierung jeder Tätigkeit machen es den jungen Menschen schwer. Lieber mochte man zu denen gehören die auf die anderen herab gucken können und von ihrem warmen Schreibtisch aus Haltung zeigen und den Menschen sagen was gut und böse ist.

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