Donnerstag, 26. Mai 2016

Triest II

„Dieser unser Sohn ist eigenwillig und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme nicht und ist ein Schlemmer und Trunkenbold.“ (5. Mose 21, Vers 20)
Ich habe mich noch gar nicht richtig vorgestellt. Mein Name ist Christoph Schwanthaler. Mutter Knopflochnäherin, Vater Hilfskellner ehrenhalber. Von Beruf bin ich Orakelpriester und Kunstikone, Alpha-Chiller und Auftragsintellektueller. In der niedersächsischen Tundra aufgewachsen. Ich lebe in einer Doppelschlosshälfte unweit des Landstrichs, in dem Hannover sein hässliches Haupt aus dem Morast erhebt. Kurz und gut: Ich bin ein Schelm. Fakten sind doch nur was für phantasielose Menschen mit festen Meinungen.
Sie fragen sich jetzt vermutlich, wie viel Geld ich im Monat verdiene.
Ich frage Sie: Wie viel Geld verdient Batman?
Na und? Kommen auch wieder bessere Zeiten.
Triest. Ein Stück Italien mit österreichischem Flair und deutschem Wetter. Ich werde diese Welt ganz anders erschließen müssen. Ich bin ein Mann des Wortes, ein Mann der Schrift. Ich werde also nach dem Alphabet leben. Jeden Tag werde ich einem Buchstaben widmen. Erster Tag: A.
Ich musste lachen, als ich das erste Wort auf meine Liste schrieb: Alkohol. Ich würde mich also heute betrinken. Mit Absinth! Das zweite Wort, das mir einfiel, war auf den ersten Blick weniger schön: Arbeit. Gut, ich bin Schriftsteller. Also würde ich erst ein wenig schreiben, bevor die Bars aufmachten. Anfang, das dritte Wort. Was sollte ich heute beginnen? Aber ich begann ja schon ein neues Leben, ein Leben nach dem Alphabet. Was würde ich essen? Austern? Igitt. Aal, Ahornsirup, Artischocken, Ananas? Nein, reißt mich alles nicht vom Hocker. Argentinisches Steak? Besser. Adana Kebap? Noch besser. Sicher gibt es ein türkisches Restaurant in Triest. Und Antipasti bekomme ich hier sowieso. Auberginen dürfen auf keinen Fall fehlen. Aprikoseneis? Lecker. Vielleicht am Nachmittag. Aber Aprikosenkuchen wäre ein köstlicher Einstieg in den A-Tag. A-Tag? Das erinnert mich an das A-Team. Vielleicht finde ich im Netz ein paar alte Folgen. Literatur: Paul Auster.
Und so begann mein Leben nach dem Alphabet. Endlich würde ich etwas Ordnung in mein haltloses Dasein bringen. Nach einem Frühstück, bestehend aus einem Anisbrötchen mit Aprikosenmarmelade und einer Apfelsaftschorle, setzte ich mich an meinen Schreibtisch und arbeitete an meinem neuen Buch „Poppycock“. Das heißt so viel wie sinnloses Gequatsche. Es ist eher ein umgangssprachlicher Ausdruck, den ich von einer anderen Reise mitgebracht habe.
Nachdem ich mein Tagwerk vollbracht hatte – ich schreibe nie mehr als zwei Seiten an einem Tag -, ging ich ins „Baracca e Burattini“ in der Via Di Torrebianca. Ich bestellte All’Aqua Pazza – „im verrückten Wasser“. Eigentlich eine süditalienische Spezialität, bei der Fisch in Salzwasser zubereitet wird. In uralter Zeit war Salz sehr teuer und zudem noch mit einer Steuer belegt. Auf diese Weise salzte man sein Essen kostenlos. Salzwasser gibt es am Meer schließlich genug. Dazu trank ich Amontillado – ob es nun passt oder nicht. Edgar Allan Poes „Das Fass Amontillado“ fiel mir wieder ein, die gruselige Geschichte über einen Mann, der lebendig eingemauert wird. Das könnte ich nach dem Essen lesen, statt Auster. Und dazu die „Tales of Mystery and Imagination“ von Alan Parsons Projekt hören, auf der die Geschichte vertont wurde.
Aber nach dem Essen machte ich ein Nickerchen und der Rest des Tages ist im Absinthrausch verloren gegangen. Ich besitze über diese Stunden weder Erinnerungen noch Aufzeichnungen.
Es folgte der B-Tag. Das Programm für den Abend war schnell klar: Brot, Butter, Bier, Buletten, Brat- und Bockwurst. Der B-Tag war eigentlich ein deutscher Tag. Aber was sollte ich zum Frühstück essen? Birchermüsli? Bananen und Birnen? Eine Brioche oder Bienenstich? Zum Mittagessen würde ich entweder Bami Goreng, Burrito oder Bratkartoffeln mit Bolognesesoße bestellen, zum Nachtisch einen Blaubeermuffin.
Es kam doch ganz anders. Mein Lieblingsfisch ist Kabeljau und wenn ich am Meer bin, esse ich fast jeden Tag Fisch. Und Kabeljau fängt auf Italienisch mit B an. Baccalà mantecato auf Polenta morbida. Ristorante Le Terrazze. An der Adriaküste nördlich der Stadt. Dazu ein Bardolino, auch wenn Rotwein nicht zu Fisch passt. Nach dem Essen widmete ich mich bei einem Bad der Literatur: Thomas Bernhard. Der Meister des Zweifels. Und das Abendprogramm habe ich ganz nach Plan durchgezogen. In der Via Giorgio Galatti gibt es die Birreria Forst, wo das berühmte Forst-Bier aus Südtirol in holzgetäfeltem Alpenambiente ausgeschenkt wird. Und Bratwurst gibt es hier auch!
Als ich am dritten Tag beim Chianti saß, Camus las und an einem Ciabatta knabberte, wurde mir klar, dass dieses Leben keinerlei Erkenntnisgewinn versprach und der Unterhaltungswert von Tag zu Tag sinken würde. Was sollte ich am X- oder am Y-Tag machen? Diät? Wie furchtbar. Diät hätte ich schon am D-Tag machen können.
Ich zweifelte plötzlich an meinem ganzen Vorhaben. Was machte ich überhaupt alleine in Triest? War ich auf dem Weg zu meinem Ziel oder auf der Flucht vor der Vergangenheit? Natürlich, die Trennung von Savannah Gröbel. Ich musste einfach weg – aber ich wollte gleichzeitig auch weg. Andere Orte, neue Eindrücke, ich bin nicht für das Dauerhafte gemacht. Ich muss weiter. Immer weiter. Aber hatte ich wirklich ein Ziel? Der Weg ist nur das Ziel für Leute, die das Ende der Reise nicht kennen.
Exclamatio: Schuld an allem sind die Frauen! Erst wollen sie heiraten, dann wollen sie Kinder. Plötzlich soll man regelmäßig arbeiten und weniger trinken. Sie wollen ein Haus, ein Auto, noch ein Auto, aber nicht so coole Kisten wie einen Ferrari, sondern langweilige dunkelblaue Kleinlaster mit Kindersitz und peinlichen Aufklebern. Sie wollen Urlaub in bizarren Ferienanlagen machen, all inclusive, aber du darfst nicht so viel fressen und saufen wie du willst, weil du an deine Figur denken musst und natürlich sollst du auch noch Sport machen.
Wir sind Nomaden. Alles Geplante, alles Regelmäßige engt uns ein. Macht uns willenlos und schwach, bis wir schließlich aufgeben. Also sind wir eines Morgens einfach verschwunden. Wir sind nicht mehr da. Wir sind in Triest.
Lars Frederiksen And The Bastards - To Have And Have Not. https://www.youtube.com/watch?v=4qeAnOX-UCk

9 Kommentare:

  1. ...und besonders gefreut, lieber Herr Schwanthaler, hat es mich, dass in Ihrem Text meine Heimastadt endlich einmal Erwähnung findet (es ist nicht Triest.

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    1. Sie sind aus Bardolino?

      Oder ist das H-Wort gemeint?

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    2. Kurt Schwitters wäre dort geblieben, wenn das Kunstverständnis dieses Österreichers und seine Vollzugsbeamten ihn nicht vertrieben hätten. Gut, Klaus Meine ist auch dort geboren, Schröder aber nicht!

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    3. Believe it or not: Ich bin Mitglied der ARL, deren Sitz in Hannover ist, und als Auftragsintellektueller bin ich schon häufiger dorthin eingeladen worden. Wenn man hinterher am Maschsee ein Bier trinkt, ist alles halb so wild.

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    4. Sehen Sie, Herr Malta, dann kennen Sie mit der Hohenzollernstraße, der angrenzenden Eilenriede (dem recht großen Stadtwald)und dem Maschsee doch schon drei der schönen paar Sehenswürdigkeiten.

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  2. Und ich musste bei Savannah Gröbel lachen, obwohl ich gar nicht wollte. Vor zwanzig Jahren habe ich einmal eine Prüfung zusammen mit einer Chantalle Rüssl gemacht (die war damals avantgarde mit dem Namen).

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    1. Chantalle Rüssl muss ich dir leider klauen :o)

      Die neue Präsidentin des Landgerichts Hildesheim heißt übrigens Britta Knüllig-Dingeldey.

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    2. Ich auch: Die Tochter das hochgeschätzten Hans Schwert, der mit 95 aus der DKP ausgetreten ist weil ihm der Verein zu lasch wurde, hat einen Herrn Fisch geheiratet.
      Und jetzt sagt mal Kommunisten hätten keinen Humor.

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  3. Nur dass da keine falschen Vorstellungen um sich greifen: das Moseszitat geht folgendermaßen weiter: " So sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe..." Wird erklärt als "Wegtun" des Bösen aus unserer Mitte.
    Da hat der noch mal Glück gehabt mit seinem Ausrücken nach Triest.

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