Montag, 16. Februar 2015

2009

Auszüge aus dem Notizbuch:
28. Januar, Berlin. Meine Lieblingsplatte: Ilse Fleck und die Frühkartoffeln, „Best of Fußgängerzone“.
14. Februar. Wenn ich das Wort „Maisonette“ lese, denke ich immer an eine kleine Maisonne.
7. März, Bergamo. Nachdem ich im Hotel eingecheckt und mich ein wenig ausgeruht hatte, wollte ich zu einem Spaziergang in Richtung Altstadt aufbrechen, den ich mit einem opulenten Mahl zu krönen gedachte. Als ich durch die Drehtür auf den Vorplatz getreten war, sah ich mich überraschenderweise mit einer politischen Demonstration konfrontiert. Zu meiner Linken stand nach Art römischer Legionäre eine Hundertschaft der Polizei mit Helm und Schild. Zu meiner Rechten standen etwa tausend junge Menschen mit roten Flaggen und anderen Kennzeichen der allgemeinen Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen, sangen Unverständliches in Sprechchören und bedienten sich ausgiebig ihrer Trillerpfeifen. Dazwischen etwa fünfzig Meter nichts und in der Mitte dieses Nichts: ich, unschlüssig und trotz des nagenden Hungers einen Rückzug erwägend. Ich spürte die Blicke auf mir, sah erneut einmal nach links und einmal nach rechts – dann entschloss ich mich für den Weg zu den roten Fahnen. Am Rande der Straße öffneten die Demonstranten eine kleine Gasse, durch die ich in die abendliche Stadt verduften konnte. Ich lief vergnügt zur Altstadt hinauf. Dem „Agnello d’Oro“ hat Eckard Henscheid in seinem Roman „Dolce Madonna Bionda“ ein Denkmal gesetzt.
20. März, Berlin. Er hatte die Fähigkeit, den ganzen Raum mit seiner positiven Energie zu erleuchten, aber er konnte ihn auch mit seinem Zorn ausbrennen wie Napalm.
19. April. „Warum heißen Sie Eberling?“ – „Weil meine Vorfahren Wildschweine mit der Hand fangen konnten, so wie Obelix.“
5. Mai. An guten Tagen schrieb er beidhändig auf zwei verschiedenen Notebooks an unterschiedlichen Texten – der Liberace des Trivialromans.
Das tschechische Frühstück ist darum so karg, damit man möglichst früh am Tag Bierdurst und Bratenhunger bekommt.
10. Mai. Manche scheitern einfach nur, andere drehen beim Scheitern Pirouetten.
Er war so einsam, dass er noch nicht einmal einen Namen hatte.
Ladies and Gentlemen! From a galaxy in your neighbourhood: Lord Nothingness. Nach seiner Kündigungsdrohung wegen fehlender Fenstervorhänge folgte eine Woche später die Selbstmorddrohung. Und neulich erklärte er uns, er habe das ganze Viertel unterirdisch mit Bomben verdrahtet. Er hat ständig einen Schalter mit einem roten Knopf in der Hand und droht uns mit völliger Vernichtung.
26. Mai. Natürlich gibt es Verbesserungen, du kannst Dinge verändern. Aber du bist im Wettlauf mit den Zerstörern.
16. Juni. Mit seinen Späßen hatte es der Narr nur bis vor den Thron des Obernarren gebracht, den König bekam er zeitlebens nicht zu Gesicht.
23. Juni. Erst versteht man eine Kultur nicht, dann schlägt man sie kurz und klein, um wenig später ihre Scherben zusammenzukehren und in einem Museum zu zeigen.
25. Juni. Das Licht der aufgehenden Sonne fällt nur durch den Türspion in meine Wohnung und bildet einen zitternden Fleck auf der Toilettentür. Ich müsste also die Wohnungstür öffnen, um den Morgen hereinzulassen.
26. Juni. 2012 in London soll Extrem-Couching endlich olympisch werden. Vierer-Sofa ohne Steuermann.
Ich glaube nicht an den Tod, deswegen werde ich auch nicht sterben. Diese Philosophie wird auf der nächsten Kreativmesse der Renner – ich muss nur gesund bleiben.
3. Juli. „Mord, Totschlag, Wahnsinn. Komm mir nicht mit sowas, ich fahr jeden Tag mit der BVG“ als neuer Slogan für Berlin.
7. Juli. Man kann „das System“ nicht durch Aktivität verändern, aber man kann es durch Passivität zerstören.
18. Juli, Bad Gastein. Eine Woche in Österreich. In der Villa Excelsior, in der N. und ich untergekommen sind, hat früher Sigmund Freud seine nervenkranken Patienten untergebracht. Die Zimmer haben neben der eigentlichen Tür noch eine zweite dunkelgrün gepolsterte Tür, wie man sie von alten Direktorenzimmern kennt. Sie sollten offenbar die Schreie der Insassen dämpfen. Der Hotelier ist ein wunderlicher junger Mann, der ebenso wenig in diesen Jahrhundert passt wie die Einrichtungsgegenstände, die Polstersessel, die verspielten Messingbetten oder der herrliche Schreibtisch von Cutler & Son aus Buffalo, New York, der im Flur steht und an den ich mich einmal zum Schreiben setze. Er besitzt einen feingliedrigen Aufbau aus offenen Fächern und Schubladen und ist aus schwerem dunklem Holz gefertigt. Der ganze Ort scheint aus der Zeit gefallen, hier stirbt der Feudalismus sehr edel und unendlich langsam, ein Siechtum, dessen Erhabenheit ich bewundern muss. Überall stehen prachtvolle Hotels leer, in deren Ballsälen vor hundert Jahren Prinzessinnen getanzt haben. Jetzt genieße ich den morbiden Charme von meinem Balkon aus, bevor es hinunter in den Speisesaal geht, wo bereits das Silberbesteck aufgelegt wird. Wenn der Untergang so schön ist, möchte ich auch hinabsinken ins Vergessen, in die süße Müdigkeit des endgültigen Verfalls.
2. August, Berlin. Auf der Busfahrt nach Kladow macht der Fahrer eine rätselhafte Durchsage: „Der Verlierer kommt bitte mal nach vorne.“ Hätte ich aufstehen sollen?
25. August. Hochsommer. Das heißt, sich das kalte Kondenswasser der Bierflaschen in den Nacken zu massieren.
2. September. Eine Milliardenerbin geht Pleite. Was hätte man nicht alles mit dem Geld machen können? Ich wäre der erste Trinker auf dem Mars gewesen!
15. September. Seifen- und Speichelblasen unterliegen denselben physikalischen Gesetzmäßigkeiten, erfreuen sich aber dennoch unterschiedlicher Beliebtheit.
3. Oktober. „So kam ich damals nach Berlin mit wenig mehr als einem Koffer und einem Sarg voller pestverseuchter Erde.“ (für meine Autobiographie)
7. Oktober. Wie ein Zen-Buddhist, der mit geschlossenen Augen einen Pfeil ins Ziel schießt, finde ich die gesuchte CD mit dem ersten Griff, obwohl ich auf dem Weg zum Regal noch darüber nachdenken musste, wie sie überhaupt aussieht.
Nein, ich hatte kein Baywatch-Leben, ich war als Kind stellvertretender Bademeister ehrenhalber, wenn man Vater als Aushilfsbademeister mit seiner DLRG-Hose in unserem Dorfschwimmbad vom Beckenrand aus für Ordnung sorgte.
17. Oktober. Manche erfinden Dinge, manche ergründen Dinge.
23. Oktober, Prag. Zum siebten Mal in diesem Schatzkästchen. Wenn nach fünf Bier im Pissoir der verqualmten Eckkneipe am Agneskloster ein wasserheller Strahl erscheint, bist du angekommen. Auf dem Rückweg vom Grab, wo ich nur schnell einen winzigen Zettel mit der Aufschrift „Danke. E“ unter einen Stein schieben kann, weil schon wieder die nächste Touristengruppe kommt, begleitet mich der Franz ein paar Schritte bis zum Tor. Er trägt einen schwarzen Anzug und lächelt still, während ich ihm von meinen kleinen Sorgen berichte und mit einer Hand die alberne Papierkippa festhalte, die der Wind immer wieder entführen will.
27. Dezember, Berlin. Habe die Feiertage gemütlich zu Hause verbracht. Meine einzige Gesellschaft waren eine Rippenfellentzündung und der Junge vom chinesischen Lieferdienst.
31. Dezember. Er war anderen Menschen gegenüber stets ausgeschlossen gewesen.
Eloy - Through a Somber Galaxy. https://www.youtube.com/watch?v=xtjw3IW7Wks

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