Freitag, 20. Januar 2017

Die verdrehte Welt politischer Ideen

„Ich verstehe nicht, weshalb man so viel Wesen um die Technik des Komödienschreibens macht. Man braucht doch nur die Feder in ein Whisky-Glas zu tauchen.“ (Oscar Wilde)
Nehmen wir für einen Augenblick an, ich sei kein bedeutender und erfolgreicher Medienunternehmer, sondern ein orthodoxer Marxist. Ein richtiger Hardcore-Linker, der bei jeder Gelegenheit auf Fidel Castro und die leninistische Erbmonarchie in Nordkorea anstößt. Einer, der es unter Weltrevolution nicht macht und zu Hause auf dem Sofa in Recklinghausen auf den Startschuss wartet. Dann mache ich doch nichts, was dieses neoliberale Ausbeutersystem stabilisiert und es am Leben erhält, oder? Ansonsten kann ich ja noch lange auf den Aufstand der pauperisierten Massen warten und währenddessen wird vielleicht der Kaffee kalt.
Dann muss ich mich doch über jede Gehaltserhöhung irgendwelcher Leute ärgern. Dann ist „Wohlstand“ nur Opium für das Volk, dann ist Konsum per se etwas Schlechtes. Ich ärgere mich, dass es in Indien oder China keine Hungersnöte mehr gibt, sondern die Leute jetzt Autos und Stereoanlagen haben und sich sogar über diesen ganzen Krempel freuen. Mit jedem Euro, den ich einem Bettler in den Hut werfe, unterstütze ich den Kapitalismus. Denn wenn die Leute genug zu essen haben, machen sie ja keine Revolution. Aus marxistischer Sicht muss das neoliberale Ausbeutersystem also immer schlimmer werden. Sonst nix Revolution, nix Diktatur des Proletariats, nix Kommunismus.
Daher muss ich als echter Linker, der das alles verstanden hat, das Geschäft des politischen Gegners betreiben. Ich muss daran arbeiten, den Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Ich muss ihnen ihren Krempel wieder wegnehmen und ihnen das Gesicht in den Dreck drücken. So betrachtet hat Gerhard Schröder ja als SPD-Politiker alles richtig gemacht. Sozialabbau, Hartz IV, Leistungsverdichtung und der Typus des Selbstoptimierers als Vorbild. So wurde mit einer Politik, die eigentlich aus dem Bilderbuch von McKinsey sein könnte, die Unzufriedenheit im Volk geschürt. Für den Marxisten auf dem Sofa in Recklinghausen rückt die Weltrevolution gefühlt ein paar Jahre näher. Der Marxist hat es einfach, denn laut dem Drehbuch eines toten Hippies aus Trier, der im vorletzten Jahrhundert gelebt hat, muss er nur auf den naturgesetzmäßigen Automatismus der Weltgeschichte warten, während sich die Sozialdemokratie mühsam damit plagen musste, durch die Agenda 2010 erst die Bedingungen für den Sozialismus zu schaffen.
Umgekehrt funktioniert das auch. Mit Trump ist der größte Vorzeigekapitalist seit Dagobert Duck zum Präsidenten gekürt worden. Wir erwarten vier Jahre neoliberale Politik. Aber was plant dieser Mann tatsächlich? Es ist keine rechte Politik, wie man sie vom Frontmann der Republikaner verlangt, sondern linke Politik. Mit protektionistischen Maßnahmen will er der Liberalisierung der Weltmärkte, der Globalisierung, Grenzen setzen. Er will sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze in den USA schaffen und Ausbeutungsverhältnisse in der Dritten Welt reduzieren. Durch Rückverlagerung von Industriearbeitsplätzen nach Amerika werden Transportwege zwischen Produzent und Konsument verkürzt, das schont die Umwelt. Sein Ziel ist es, mit solchen klassisch sozialdemokratischen Maßnahmen den Wohlstand der unzufriedenen Bevölkerung in der Kernzone des Kapitalismus zu erhöhen.
Durch die Globalisierung sind viele gutbezahlte Industriejobs verloren gegangen, die jetzt wiederkommen sollen. Wir sprechen hier nicht von den prekären McJobs im Niedriglohnsektor, die Schröder den Deutschen brachte, sondern über gute Jobs z.B. in der Automobilproduktion. Wissen Sie, was ein Fließbandarbeiter inklusive Schichtzulage bei Opel in Rüsselsheim verdient? Netto 3500 Euro, das entspricht dem Einstiegsgehalt eines FH-Profs. Schichtarbeit bedeutet auch: feste Arbeitszeiten, keine unbezahlten Überstunden. Außerdem gibt es am Band keine unbezahlten Praktika. Das weiß der Marxist natürlich alles nicht, weil er keinen Arbeiter persönlich kennt. Auf diese Weise wendet man als Konservativer mit linker Politik den Aufstand ab. Schließlich ist die solide Industriebasis ja das Erfolgsrezept des Exportweltmeisters Deutschland, das haben die Amis inzwischen auch kapiert.
Mit Trump kommt auch das Primat der Politik zurück – ganz modern per Twitter. Er setzt Unternehmer unter Druck. Sie sollen Arbeitsplätze schaffen. Er droht mit Strafzöllen, er lockt mit Steuererleichterungen. Ganz unverblümt tut der Präsident Trump das, was sich der Unternehmer Trump verbeten würde: Er mischt sich massiv in die Wirtschaft ein. Nicht über Gesetze oder die Medien – er spricht die Bosse direkt auf Investitionen an und versucht, Einfluss auf ihre Entscheidungen auszuüben. Der Mann propagiert Protektionismus und das bedeutet übersetzt: weniger Wettbewerb. Und keiner schreit empört: „Das ist Kommunismus!“ So verdreht ist die Welt der Politik in diesem Jahrhundert.
The Untouchables - Wild Child. https://www.youtube.com/watch?v=KTXY1xDy95s

7 Kommentare:

  1. bei opel machten sie doch die fabrik dicht

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    1. Nur den Standort Bochum, nicht Rüsselsheim.

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    2. Ist auch nicht so wichtig, der Tarifvertrag der IG Metall gilt für alle Autofabriken, also auch in Wolfsburg, Sindelfingen oder Ingolstadt. Seit 1995 gibt es übrigens die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie.

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  2. Soso, "auf dem Sofa in Recklinghausen..."
    -- das hab ich gesehen, CEO von Bonetti Media!

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    1. Ups! Sorry ... an den Flying Surfer Stefan habe ich natürlich nicht gedacht. Du kennst doch den alten Spruch, wenn man so einen richtigen Rundumschlag macht und die halbe Welt beleidigt: "Anwesende immer ausgenommen."

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    2. Hey, kein Problem. Ich bin nicht beleidigt, hab nur den Zwinkersmiley vergessen. Wie schnell man in den Nesseln sitzt...

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  3. Ich hatte ja gehofft, dass hier die richtigen zu dem Artikel kommentieren...

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