Montag, 11. April 2016

Die deutsche Sprache – Versuch einer Annäherung

„Scribunt carmina quae legunt cacantes.“ (Sie schreiben ihre Ergüsse für Latrinenleser)
Das Gegenwartsdeutsch („Dauertiefpreise“, „Kompetenzteam“, „Vollkorntoast“) ist schon schwer erträglich, macht es doch zum Beispiel aus den „Alternativen“ meiner Kindheit, friedensbewegten häkelnden Softies, einen Haufen neoliberaler Nationalisten, die gerade zur perfekten Symbiose von Biedermann und Brandstifter mutieren. Aber früher war es nicht besser. Die widerliche Formulierung „Versuch einer Annäherung“ weist bereits den Weg in die grauenhafte Sprachverhunzung der siebziger und achtziger Jahre.
Hier einige Exemplare seltener Dämlichkeit aus der Bonner Republik:
Abenteuerspielplatz: Habe ich schon als Kind nicht begriffen (siehe auch: Erlebnisgastronomie)
Anturnen und Abturnen: Szeneausdrücke, die nichts mit Sport zu tun haben.
Betroffenheit: Wortseuche aus dem rhetorischen Reich der „deutschen Innerlichkeit“.
Center: Irgendwann wurden der Bäcker zum Back-Center und die Pommesbude zum Snack-Center, ohne ihr Angebot zu verändern.
Denkanstoß: Kam von Leuten, die sich für schlau hielten, und lief regelmäßig ins Leere.
Einbringen: Typen, die sich in eine Diskussion einbringen wollten, gingen mir vom ersten Moment an auf den Sack.
Entsorgungspark: Klang besser als Atommüllkippe. Wir warten bis heute.
Erwartungshorizont: Habe ich nie begriffen. Hört sich nach geistigem Sonnenuntergang an.
Freiräume und Freizeit: Sehr schöne Begriffe, da sie auf den Charakter anderer Räume und Zeiten (z.B. Arbeit) unfreiwillig einen wertvollen Hinweis geben.
Ganzheitlich: Klang für mich von Anfang an nach traditionell chinesischer Abzocke.
Handlungsbedarf: Wurde von Politikern meist nur gesehen.
Irgendwie: Das Füllwort meiner Jugend. Wer es wohl erfunden hat?
Knabberfrisch, Kuschelweich, Kaugenuss: Werbedeutsch. Brummt im Kopf.
Kulturbeutel: Offensichtlich ist der Waschzwang Kern deutscher Kultur.
Leistungsträger: Gab es auf dem Fußballplatz und in der Berufswelt, nicht aber in der Familie oder der Kultur.
Liedermacher: Die Genitalwarzen der Musikbranche.
Medienlandschaft: Lag direkt neben dem Entsorgungspark und war mindestens genauso schön.
Motivation: Wurde gebraucht, wenn man den Sinn einer Tätigkeit nicht sofort erkannt hatte.
Paradigma: Durfte erst nach abgeschlossenem Studium verwendet werden.
Postmoderne: Begann unverhofft in meiner Jugend und gilt bis heute als schwerintellektuelle Hirnschwurbeligkeit ohne tiefere Bedeutung.
Sachzwänge: Entdeckten Politiker immer dann, wenn sie keine Lust zu diskutieren hatten.
Schweinesystem: Hier führten wir unser Hundeleben. Kommt womöglich von Orwells „Animal Farm“, wo bekanntlich die Schweine regieren.
Selbstverwirklichung: Endete in der Realität stets dann, wenn man merkte, dass niemand die selbstgetöpferten Kerzenhalter kaufen wollte und keiner in Kalkutta Deutsch verstand.
Sensibel: Bei dem Wort könnte ich heute noch spontan kotzen.
Super: Erst gab es nur Supermärkte und Superstars, aber dann war das Wort nicht mehr zu bremsen – bis „Mega“ kam.
Umwelt: Wurde erst in den siebziger Jahren entdeckt (lange nach Amerika!). Doch, doch. Siehe auch: Umweltbewusstsein (= Groschen gefallen).
Verkehrsberuhigung: Bis heute ein Begriff aus dem Bereich der Utopie.
Zielgruppe: Reklamedeutscher Begriff, der Klasse, Generation oder regionale Bezüge ersetzen sollte.
Martha & The Muffins - Echo Beach. https://www.youtube.com/watch?v=WNy8ePVkPVk

7 Kommentare:

  1. Das turnt mich jetzt irgendwie ab. Zorry, bin da halt sensibel.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  3. In den 80ern war alles "ein Stück weit".

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  4. Und es gab die Trauerarbeit, weil in Deutschland ja alles gleich Arbeit ist.

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  5. Barschlampen find ich cool.
    (http://images.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Fwww.kraftfuttermischwerk.de%2Fblogg%2Fwp-content%2Fuploads2%2F2011%2F05%2FBarschlampe-505x303.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Fwww.kraftfuttermischwerk.de%2Fblogg%2Fbarschlampe%2F&h=303&w=505&tbnid=gUDfbrB1CI7n1M%3A&docid=VT4R6Oo2tIAbYM&ei=hIoLV9OuFIeDO4SVl8AL&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=2080&page=1&start=0&ndsp=20&ved=0ahUKEwjTgOfSvYbMAhWHwQ4KHYTKBbgQMwgdKAAwAA)

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  6. Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Dieter Süverkrüp, Hannes Wader und Walter Mossmann - alles Genitalwarzen der Musikbranche? Na gut.
    Aber ein schöner Begriff, journalistengemacht, wäre noch "Blödelbarden" (Alliteration, das sprachliche Stilmittel des wahren Könners). Das waren dann die nicht so politischen Liedermacher, der grindige Schorf an der Feigwarze. Mir bereiteten sie aber sehr viel Freude (Schobert & Black, Ulrich Roski, Insterburg & Co...)

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