Montag, 27. August 2018
Der Besuch der jungen Dame
Eines Tages stand sie einfach vor der Tür und fragte nach Amanda.
„Sie ist für ein Semester nach Madrid gegangen“, antwortete er.
Dann hatte er sie eine Weile unschlüssig angeschaut. Sie trug einen Minirock aus kirschrotem Leder, was im Deutschland des Neo-Biedermeier inzwischen völlig aus der Mode gekommen war. Dazu ein schwarzes Top und eine Perlenkette.
„Ich war eine Weile nicht in Berlin“, sagte sie schließlich. „Aber Amanda hat noch ein paar Bücher von mir, die ich gerne wieder hätte.“
Er war ratlos. „Weiß Amanda, dass du kommst?“
Sie lachte. „Keine Sorge. In den Büchern steht mein Name. Ich heiße Lea Kahlenberg.“
Er trat zur Seite und ließ sie in die Wohnung.
Sie ging zielsicher den Flur entlang ins Wohnzimmer.
„Hier hat sich ja gar nichts verändert. Hast du die Bude möbliert übernommen?“
Er hatte Mühe, ihr zu folgen.
„Ja, ich bin nur ein Semester in Berlin. Ich habe die Wohnung über eine Mitwohnzentrale für vier Monate gemietet.“
„Woher kommst du?“
„Montabaur. Das ist im Westerwald.“
Sie lächelte ihn an und musterte ihn von oben bis unten. „Süß“.
Er ging zum Bücherschrank. „Was für Bücher suchst du denn?“
„Simone de Beauvoir, Virginia Woolf und Hannah Arendt.“
Sie stellte sich neben ihn und sah sich schweigend die Buchrücken an. Nach einer Minute hatte sie die drei Bücher und zeigte ihm ihren Namen auf dem Vorblatt.
„Willst du was trinken?“ fragte er sie.
„Kaffee wäre gut“, antwortete sie.
Als er kurze Zeit später mit zwei Kaffeetassen aus der Küche zurückkam, hatte sie es sich schon auf dem Sofa bequem gemacht. Ihre Flip-Flops standen unter dem flachen Holztisch, auf den sie ihre langen Beine gelegt hatte.
Er setzte sich zu ihr und sie nahm die Kaffeetasse.
„Mhm, gut“, sagte sie nur.
„Was studierst du?“ fragte er und deutete auf die Bücher auf dem Tisch.
„Ich weiß es nicht so genau. Ist im Moment alles ein bisschen schwierig“, antwortete sie, ohne ihn anzusehen.
Ihm fiel nichts ein, also schwieg er einfach und trank Kaffee.
Sie holte ihren Tabakbeutel heraus und baute einen zweiblättrigen Grasjoint.
Sie zündete ihn an, nahm zwei tiefe Züge und reichte ihn weiter.
Er grinste und ließ die Glut aufleuchten.
Sie sagten die ganze Zeit kein Wort.
Dann küssten sie sich plötzlich und der Kuss hörte gar nicht mehr auf, weil sie beide nicht wussten, was nach dem Kuss kommen sollte.
Beck – Nitemare Hippy Girl. https://www.youtube.com/watch?v=AxzjTnWQeOU
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