Samstag, 30. Dezember 2017
Ein kurze Anmerkung zur spätkapitalistischen Postdemokratie
Der Geburtsfehler dieser Republik ist nie behoben worden. Deutschland hat sich nicht selbst befreit und bekam seine Staatsform auf Befehl der Siegermächte: eine parlamentarische Demokratie in den drei westlichen Besatzungszonen, Sozialismus in der östlichen „Zone“ (wie sie vom Westen bis heute hämisch genannt wird). Daher gibt es seit 1945 kein wirkliches Interesse an Politik, d.h. an demokratischer Willensbildung. Es scheint niemanden zu stören, dass die „Volksvertretung“ in Berlin eine Lachnummer ist, die noch nicht mal eine Regierung zustande bringt.
Wie nah die Politiker dem Volk sind, haben wir 2017 am Tag der deutschen Einheit in Mainz erlebt. Anwohner der Jubelmeile durften ihren Balkon nicht betreten und sollten sich auch nicht am Fenster zeigen. Auf den Dächern der Innenstadt waren Scharfschützen postiert.
Es gibt den „familial-beruflichen Privatismus“ (Freizeit, Konsum) und den „staatsbürgerlichen Privatismus“ (Delegation des politischen Willens an sogenannte „Volksparteien“, d.h. Staatsparteien), der Staat zieht sich zugunsten des Marktes aus der Gesellschaft zurück und entpolitisiert die Bevölkerung (Jürgen Habermas: Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, 1973). Merkel ist der vorläufige Höhepunkt der Entwicklung: soziale Exklusion = politische Exklusion.
Nur mal spaßeshalber angenommen, es gäbe tatsächlich so etwas wie ein demokratisches Projekt Deutschland von Leuten durchgezogen, die nicht auf den Erhalt ihrer Pfründen scharf sind.
AntwortenLöschenMeinst Du wirklich, dass "der Markt" der von ihm geformten Kratie solche politisierte Dreibastigkeit zulassen wird?
Deine Skizze gibt aber immerhin brauchbare Erklärungsansätze für die laufenden Prozesse der Verhausschweinung marktgängigen Menschenmaterials.
Ich habe am 27.6.2017 einen kleinen Text über die "Legitimationsprobleme" von Habermas gepostet, jetzt hatte ich seine "Neue Unübersichtlichkeit" in Händen (darüber im Januar mehr, ich schiebe fast zwanzig fertige Texte vor mir her). Auf diesem Weg bin ich zu der alten Debatte über die Unregierbarkeit gekommen, die es in den 70er Jahren gab.
LöschenKurze Antwort auf deine Frage: Wenn wir auf dem alten Pfad der Politik keinen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nehmen können, schlagen Habermas, Offe und die Neomarxisten vor damals eine Politisierung der Märkte vor. Machen wir all das politisch, was nach der Definition der Konservativen unpolitisch ist. Wie das genau laufen soll, überlasse ich deiner Phantasie und deiner Lektüre. Demokratie ist mehr als Warten auf GroKo, um mal eines meiner gefürchteten Monster aus der Wortspielhölle, das ich im Januar auf die Leser loslassen werde, zu bemühen.