Sonntag, 31. Januar 2016

Das Bonetti Millenium

„Die Deutschen sind weder gut noch schlecht. Es gibt gute und schlechte Deutsche. In ihrer Gesamtheit sind sie das Instrument der herrschenden Klasse, die jederzeit eine deutsche Armee in den Krieg schicken und den Rest der Bevölkerung zur Unterstützung der Kriegsziele arbeiten lassen kann.“ (Lupo Laminetti)
Was wird die Zukunft bringen? Diese spannende Frage stellen sich in diesen Tagen viele Leser. Wir haben die Antwort: Maria S. Die junge bayrische Seherin hat exklusiv für uns einen Blick in die Zukunft geworfen.
„Maria S. sagt, dass in den nächsten Jahren insgesamt 6 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden. (…). Globaler Bankenkrach, Hungerkrieg, Flucht der Politiker, Revolution, Russenüberfall. Doch wie geht es danach weiter? In diesem Punkt ist sich die europäische Prophetie einig. Nach dem vollständigen Systemzusammenbruch durch Revolution, Russenangriff und Dreitägiger Finsternis beginnt ein vollkommen neues Zeitalter: eine Renaissance der Monarchie und der Triumph der Kirche. Das vorliegende Buch enthält nicht nur die neuesten Prophezeiungen der Maria S., sondern auch die Schauungen der Hautevolee der europäischen Prophezeiungsliteratur. Ganz besonders interessant sind die Prophezeiungen zur künftigen Größe Deutschlands. Deutschland wird demnach nicht nur wieder Kaiserreich - es wird auch wieder das führende Reich in Europa und der Welt. Deutschland wird Weltmacht! (…). Freuen wir uns auf diese wunderschöne neue Zeit. Freuen wir uns auf die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung. Freuen wir uns auf Deutschlands Wiedergeburt!“ (Verlagsprospekt)
Es ist ganz einfach: Revolution, drei Tage Finsternis (CSU-Parteitag?) und dann ist Deutschland endlich Weltmacht – so wie Gott es immer gewollt hat. Und was passiert mit den sechs Millionen (sic!) Flüchtlingen? Lesen Sie darum „Deutschlands Weg ins Licht“. Der ungewöhnlich seriöse Kopp-Verlag, der die Verschwörungstheoretiker dieses Landes mit Material über die Nichtexistenz der Bundesrepublik, jüdischen Finanzimperialismus und die neueste Alu-Hutmode versorgt, bietet Ihnen einen Blick in die Zukunft.
http://www.kopp-verlag.de/?websale8=kopp-verlag&pi=A3789699&refhex=5753506172746e657250726f6772616d6d&subrefhex=48756265727362657267657220416e6e65747420&wspartnerid=1134&wsdc=no
Blüh im Glanze dieses Glückes, lieber Maulwurfshügel namens BRD. Was wärest du ohne deine bayrischen Propheten und verpeilten Verlage?
Aber im Bonetti-Millenium kennen wir nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit: Wer waren Sie in einem früheren Leben? Sie sind nur wenige Klicks oder Wischbewegungen von diesem Wissen entfernt:
http://runen.net/karma/index.php#karma
Andy Bonetti zum Beispiel war eine Frau und lebte als Sängerin an der Adriaküste. Sein Leben verlief weitestgehend in ruhigen Bahnen, er hatte eine Mann und sechs Kinder. Als Mensch hat er sich durch große Tapferkeit ausgezeichnet. Und Sie?
Wer weitere Fragen hat, wendet sich bitte an das Uschi-Orakel. Doch, das gibt es:
http://uschi-orakel.de/
Ich habe Uschi gefragt, wer im Sommer Fußballeuropameister wird. Und was hat sie geantwortet? „Jemand den du gut kennst“. Wie geil ist das denn? Ich kenne Jogi Löw, Manuel Neuer und Thomas Müller. Ausländer kenne ich keine. Und das passt ja wieder zu den Prophezeihungen von Maria S.!
The Cure - At Night. https://www.youtube.com/watch?v=XE1rEVXEJB4

Samstag, 30. Januar 2016

Blogstuff 23

„Wer trinkt mit Anstand und Bedacht
Der ist uns jederzeit willkommen.
Wer säuft und flucht und Ärger macht
Der braucht erst gar nicht reinzukommen.“
(Nelson Algren: Der Mann mit dem goldenen Arm)
Polizei, Justiz, Verwaltung, Krankenhaus: Endlich haben wir den „schlanken Staat“. Wo bleibt der Jubel der neoliberalen Diätspezialisten und Fitnesstrainer? Jetzt haben sie den magersüchtigen, den funktionsunfähigen Staat durchgesetzt. Die Rede ist vom „Staatsversagen“ – eine Art Herzversagen der öffentlichen Ordnung. Wer benennt die verantwortlichen Personen und Parteien? Wohin sind die verlorenen Pfunde eigentlich verschwunden? Schweigen im Medienwalde …
Ich erinnere mich noch, wie sie alle immer riefen, wir müssten zurück zur Wirtschaftspolitik von Ludwig Erhard. Ja, antworte ich, das wäre schön. Denn zu Adenauers und Erhards Zeiten lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent, es gab keine unbefristeten Arbeitsverträge und die staatliche Eisenbahn fuhr pünktlich.
Ab Juli im Handel: Die schönsten Weihnachtslieder von David Bowie.
Auszug aus einem Drohbrief: „Dann bekommst du die unbarmherzige und nach Eisen schmeckende Faust der Rechtsabteilung von Bonetti Heavy Industries zu spüren, wie die geflügelten Affen aus dem Zauberer von Oz werden meine Anwälte über dich kommen, elender Wurm, nichtswürdiger.“
Warum gibt es keine Monumentalplastik „Der deutsche Steuerzahler“ in Berlin?
„Und gehet zur Fastnacht nicht als Cowboy, Pirat oder gar als Araber, auf das ihr ob euer mitgeführten Plastikpistolen und Gummischwerter nicht von der Polizei als Terrorist verhaftet werdet.“ (Aus dem „Epistel Bonettis an die Mainzer“)
Der Gast. Die Gastin? Die Gästin? Die Gästie?
Ernährungstipp: Essen Sie mal wieder Rosenkohl. Rosenkohl, die Königin der Kreuzblütler! Häufig unterschätzt und mittlerweile leider von Modegemüse wie Zucchini oder Broccoli verdrängt. Haben wir eigentlich schon über Mangold gesprochen? Richtig zubereitet ist auch Wirsing eine Delikatesse.
Betrachtet man die Geschichte, dann sind Deutsche und Franzosen entfernte Verwandte. Wir sind der Cousin, der immer etwas zu laut spricht, und den man nicht gerne trifft. Er ha sich gerade ein neues Auto gekauft und will es auf der Familienfeier jedem zeigen. So ist der Deutsche. Neureicher Bauerntrampel trifft auf hochnäsigen Snob aus Paris.
Es gibt immer noch Dinge, die Männer besser hinkriegen als Frauen. Ich denke da zum Beispiel an Prostatakrebs.
Der ritualisierte Hinweis auf die Verdienste der eigenen Partei war natürlich das Symptom einer Zwangsneurose, aber niemand im Saal hätte es laut ausgesprochen.
Hätten Sie’s gewusst? Hunde lecken Ihnen die Finger ab, egal ob Sie gerade etwas gegessen oder sich an die Genitalien gefasst haben.
Ich erinnere mich, dass ich mit meinem Klapprad zur Abiturprüfung gefahren bin, während andere schon mit einem Porsche von Vaters Gnaden glänzten. Ich fand mich selbst natürlich viel cooler: Understatement, Underground, Underdog. Alles, was mit „Under“ anfing (außer Underberg), empfand ich damals als Ausdruck geistiger Überlegenheit. Heute habe ich noch nicht einmal ein Fahrrad, aber gelegentlich sitze ich immerhin in einem Bus und blicke milde lächelnd auf die Sportwagenfahrer hinab.
Spaß mit Anagrammen: Laminetti ist ein Anagramm von „Militante“ (oder für Limatinte, Minilatte und Titanleim). Andy Bonetti: Tonbandyeti. Bonetti? Tobt nie. In Italien steckt die Litanei. Anagramm für Sigmar Gabriel: Grabmal riesig. Angela Merkel: General Kamel.
Mahnung, noch ’ne Mahnung, Vollstreckungsbescheid. Früher war wenigstens noch eine Ansichtskarte in der Post. Ich mach den Briefkasten schon lange nicht mehr auf.
Der erste Sex. Deine Freundin hat Schluckauf. Nach weniger als einer Minute ist alles vorbei. Sowas zeigen sie in Hollywoodfilmen nie.
Werbung: Heute Abend in der Buchhandlung „Coin Laundry“ in der Rigaer Straße, Berlin: „Der Gesang der Bohnen – Wenn der Leibeswind aus dem Menschen fährt“. Eine experimentelle Lesung aus dem neuen Werk von Andy Bonetti.
New Order - True Faith. https://www.youtube.com/watch?v=zzeNAUOp17c

Freitag, 29. Januar 2016

Neulich in der U-Bahn

„Ich steige in die U-Bahn und was sehe ich? Alle Menschen lesen einträchtig meinen neuen Roman. Ich zähle dreißig verkaufte Exemplare allein in diesem Waggon.“ (Johnny Malta: Wovon Künstler wirklich träumen)
Das silberne Funkeln ihrer Zahnbrücken täuschte mich nicht, als sie mich höhnisch anlächelte, denn ihr Blick erinnerte an einen ungefütterten Rottweiler. Mit Andouillette Pissaladière war nicht zu spaßen. Und tatsächlich bedachte sie mich jetzt mit einer Beleidigung, die als das kostbarste Juwel in der Krone der Vulgärpolemik gilt: dem Vergleich mit Hitler.
Nein, nein, nein. Schrecklicher Anfang. Eine Andouillette ist eine Gekrösewurst, und die Pissaladière ist eine Art Zwiebelkuchen aus Nizza. Ich sollte nicht hungrig schreiben. Kommen wir zur eigentlichen Geschichte:
Berliner U-Bahn. Er kam mit großer Eile in den Waggon und setzte sich genau mir gegenüber auf die Sitzbank. Der anthrazitfarbene Anzug hatte mindestens tausend Euro gekostet, dazu glänzende schwarze Lederschuhe, eine dunkelblaue Seidenkrawatte und goldene Manschettenknöpfe. Auf dem Schoß lag seine schwarze Aktentasche, aus der er jetzt einen in Leder gebundenen Zeitplaner holte. Dann tippte er kurz auf sein Smartphone und sagte so laut, dass es alle hören konnten. „Hmnja-hallo, Ahlerich von Glattstein am Apparat, buchen Sie doch für morgen Abend einen Flug nach Madrid. Und eine Suite im Hotel Villa Magna.“
„Wir haben’s alle gehört, großer Meister“, schrie ich ihn an. „Du bist der Allergrößte. Ja, der Allerallergrößte! Eine ganz wichtige Nummer. Du fliegst morgen nach Spanien und wahrscheinlich wächst dir Gold aus dem Arsch, du verpisster Wichtigtuer. Hat jetzt jeder in der U-Bahn mitgekriegt. Die absolute Nummer eins, mächtig dicker Fisch. Und dein Handy und dein Anzug sind vom Allerfeinsten. Wir haben es alle kapiert, Klugscheißer! Und jetzt hälst du endlich deine große Fresse, sonst wird es hier echt hässlich, verstanden?!“
Ich kann mich noch genau an diese Episode erinnern, denn ich habe die idyllische Szene aus dem modernen Reiseleben später auf der Leinwand festgehalten. Das Bild hängt heute im Louvre.
Nichts - Hallo Kartoffelsalat. https://www.youtube.com/watch?v=SJdXx8jco18

Donnerstag, 28. Januar 2016

Das Gleichnis vom anvertrauten Geld

Lieber Lupo Laminetti,
der Kapitalismus steht schon in der Bibel. Gottes Sohn hat ihn verkündet. Ich zitiere das Matthäus-Evangelium, Kapitel 25:
14 Es ist wie mit einem Mann, der auf Reisen ging: Er rief seine Diener und vertraute ihnen sein Vermögen an. 15 Dem einen gab er fünf Talente Silbergeld, einem anderen zwei, wieder einem anderen eines, jedem nach seinen Fähigkeiten. Dann reiste er ab. Sofort 16 begann der Diener, der fünf Talente erhalten hatte, mit ihnen zu wirtschaften, und er gewann noch fünf dazu. 17 Ebenso gewann der, der zwei erhalten hatte, noch zwei dazu. 18 Der aber, der das eine Talent erhalten hatte, ging und grub ein Loch in die Erde und versteckte das Geld seines Herrn. 19 Nach langer Zeit kehrte der Herr zurück, um von den Dienern Rechenschaft zu verlangen. 20 Da kam der, der die fünf Talente erhalten hatte, brachte fünf weitere und sagte: Herr, fünf Talente hast du mir gegeben; sieh her, ich habe noch fünf dazugewonnen. 21 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn! 22 Dann kam der Diener, der zwei Talente erhalten hatte, und sagte: Herr, du hast mir zwei Talente gegeben; sieh her, ich habe noch zwei dazugewonnen. 23 Sein Herr sagte zu ihm: Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener. Du bist im Kleinen ein treuer Verwalter gewesen, ich will dir eine große Aufgabe übertragen. Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn! 24 Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; 25 weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. 26 Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe. 27 Hättest du mein Geld wenigstens auf die Bank gebracht, dann hätte ich es bei meiner Rückkehr mit Zinsen zurückerhalten. 28 Darum nehmt ihm das Talent weg und gebt es dem, der die zehn Talente hat! 29 Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch noch weggenommen, was er hat. 30 Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen.
Ihr Andy Bonetti, der erntet und sammelt, wo er nicht gesät und ausgestreut hat.
P.S.: Manchmal frage ich mich, ob es niemand sieht, ob es niemand sehen kann oder ob es niemand sehen will. Seit der mühsam verhinderten Kernschmelze des kapitalistischen Systems 2008 produzieren die herrschenden Regimes vor allem eines: Geld. Es werden virtuelle Geldmengen geschaffen („quantitative easing“), die durch Waren oder Dienstleistungen überhaupt nicht gedeckt sind. Dieses Geld ist aber real in der Welt und wird zur Aneignung von Immobilien, Ackerland oder politischem Einfluss verwendet. Wer hat, dem wird gegeben. Dieses Falschgeld im Wortsinne unterwirft sich in diesem Augenblick die Welt. Der nächste US-Präsident wird vielleicht ein durchgeknallter Milliardär sein, der sich noch nie in einem öffentlichen Amt bewährt hat. Deutschland fragt sich derweil, wer „Dschungelkönig“ bei RTL wird.
P.P.S.: Leider ist es uns Lebenden nicht beschieden, das Ende der kapitalistischen Epoche zu erleben. Es gibt keinen Hitler, der tief unter der Erde Berlins in die Zyankali-Kapsel beißt und sich eine Kugel durch den Schädel jagt. Es kommen keine Befreier, es gibt keine Revolution. Wir haben nur Philip K. Dicks Blade Runner-Welt eines endlos erscheinenden Niedergangs, in dem wir uns irre lachend drehen wie in einem Spiegelkabinett.
The Sound - New Dark Age. https://www.youtube.com/watch?v=pTe6DF7Erx0

So lasset denn alle Hoffnung fahren – Nachdenkliches zum deutschen Zwieback

„Morgens läute ich mit dem Glöckchen nach den Bediensteten.“
„Du hast Bedienstete?!“
„Nein, aber ein Glöckchen.“
(Pfefferine)
Ich bin erschüttert. Sie sehen mich in Tränen aufgelöst. Der letzte Fetzen Vertrauen weht davon wie eine Alditüte im Sturmwind der Prä-Apokalypse. Das war’s! Mit diesem Homunkulus namens BRD, mühsam zusammengenäht aus den blutverschmierten Resten des Deutschen Reiches, bin ich endgültig fertig. Aus, aus, aus, das Spiel ist aus!
Es begann schon in den achtziger Jahren. FDP? Flick. CDU? Don Kohleone. SPD? Schröders Dolchstoß in den Rücken der Arbeiterklasse. Grüne? Hartz IV und Kriegseinsätze. DFB? Die gekaufte Sommernutte, die mich 2006 noch nicht mal zum Höhepunkt brachte. ADAC, VW, Raider heißt plötzlich Twix …
Aber in diesen Minuten wurde dem Kiezschreiber das kleine schwache Herz gebrochen … endgültig … nein, jetzt rede ich, Gisela … einen Augenblick bitte … wo sind denn die Taschentücher …ihr Schweine! Das ihr mir das antut. Denkt doch wenigstens an die Kinder, ihr Bestien!
Der Kühlschrank ist leer, kein Brot mehr, Haferflocken gab’s schon zum Mittagessen. Also durchwühle ich die Küchenschubladen nach Essbarem wie ein irrer Junkie. Was finde ich? „Brandt – der Markenzwieback“. Gott, der Gerechte! Kenne ich aus meiner Kindheit. Seit vierzig Jahren nicht mehr gegessen. Ich werfe noch einen flüchtigen Blick auf das Haltbarkeitsdatum - Oktober2014 – und winke nur gelassen ab. Zwieback wird nicht schlecht. Muss irgendjemand vor meiner Housesittertätigkeit beschafft haben.
Beim zweiten Zwieback – sie sind übrigens noch problemlos genießbar – fällt mir der süße Geschmack auf und ich schaue mir die Verpackung genauer an. Zutaten: Weizenmehl (ausgerechnet!), Zucker, Palmöl (arme Orang-Utans), … Glukosesirup, Traubenzucker, Invertzuckersirup usw. Also allein vier Zuckersorten.
Wo sind die Angaben zu den Kalorien, frage ich mich, während mir schon die ersten Brösel aus dem fassungslos sich öffnenden Mund rieseln. Natürlich. Unterseite der Verpackung. Wer dreht schon gerne eine offene Packung mit Krümelkram um? Und jetzt halten Sie sich bitte alle fest:
Pro Zwieback, der knapp zehn Gramm wiegt, werden 38 kcal aufgerufen. Und wer weiß, wie viele es in Wirklichkeit sind? Also fast 400 kcal pro hundert Gramm ZWIEBACK??? Zum Vergleich: Der Royal TS von McDreck hat 244 kcal pro hundert Gramm. Pommes frites 312 kcal. Currywurst 231 kcal.
Wer zum Teufel gibt seinen Kindern Brandt-Zwieback? Was für ein Drecksland! Mir platzt gleich der Sack! Verlassen Sie diesen Staat noch heute! Kaufen Sie nie wieder Zwieback, füttern Sie ihren Nachwuchs lieber mit Schweineschmalz! Greifen Sie zur Waffe und bekämpfen Sie das kapitalistische System, das uns kaltlächelnd zu Tode mästet!!!
Nu Shooz - Point Of No Return. https://www.youtube.com/watch?v=dTfUnvphMNw

Mittwoch, 27. Januar 2016

Rings & Lechz

"Wesentlich deutsch ist ein antikritisches Schema, das aus der Philosophie ins Gewäsch herabsank, die Anrufung des Positiven. Stets findet man dem Wort Kritik, wenn es denn durchaus toleriert werden muss, das Wort konstruktiv beigesellt, das ein Lebkuchenwort darstellt. Dem entgegenzusetzen wäre, dass das Falsche, einmal bestimmt erkannt und präzisiert, bereits Index des Besseren, Richtigen ist." (Theodor W. Adorno: Kritik. Kleine Schriften zur Gesellschaft)
Es ist neuerdings wieder in Mode gekommen, zur Beschreibung der politischen Verhältnisse die Gesäßgeographie zu verwenden, die wir der Sitzordnung in den europäischen Parlamenten des 19. Jahrhunderts zu verdanken haben. Es wird mit Begriffen wie „links“ und „rechts“ hantiert und man wundert sich, warum diese Denkschablone, diese grobe Verschubladung des gesamten Meinungsspektrums keinen Zugang zu den aktuellen Debatten bietet. Menschen, die gegen die Leitmedien, die Konzerne und die Staatsmacht sind, haben auch etwas gegen den Zuzug von Flüchtlingen und anderen Migranten. Wie kann das sein? Ist das nicht schizophren? Nein. Es wirkt nur widersinnig, wenn man in den alten Denkmustern verharrt.
Meine bescheidene empirische Basis für folgende Überlegung sind Gespräche in meinem Dorf, wo ich AfD-Wähler ebenso wie Wähler der Linken, Parteigänger der SPD wie der CDU kenne. Ihnen allen ist eine Grundeinstellung gemeinsam, die sich nicht in das Links-Rechts-Schema pressen lässt. Sie sind, um es mit einem bekannten Diktum aus dem „Schuh des Manitu“ zu sagen, „mit der Gesamtsituation unzufrieden“. Dazu gehören drei wesentliche Elemente:
1. Der Staat: Die Einmischung der Obrigkeit in das Dorfleben. Ein Beispiel: Früher gab es kleine Dorffeste, für die man als Einheimischer Kuchen gebacken oder Buletten gebraten hat. Es wurden Holztische aufgebaut, an denen Freiwillige den Wein der hiesigen Winzer ausgeschenkt haben. Inzwischen sind, angeblich aus rechtlichen und hygienischen Gründen, selbstgemachte Lebensmittel verboten. Die Tische müssen einen abwaschbaren Kunststoffbezug haben. Im letzten Jahr kam ein Vertreter der Obrigkeit am Morgen, als bereits alles aufgebaut war, und verbot das Fest, bis nicht alles den Regeln entsprach. Dazu gehören auch eigene Toiletten und ein Warmwasseranschluss zum Händewaschen für das Bedienungspersonal. Eine Demütigung für die Frauen, die ihre Kuchen wieder nach Hause tragen mussten, und für die Vereine, die keine Einnahmen hatten. Fazit: die kleinen Feste kann man vergessen, man holt sich besser ein Profi-Catering aus der Stadt.
Ein weiteres Beispiel: Die Obrigkeit sucht leerstehende Häuser für die Flüchtlinge. Der Großvater ist im vergangenen Jahr gestorben? Das Häuschen steht leer? Schon reitet der Scherge des Landrats ins Dorf und verlangt, das Gebäude als Leerstand zu melden, um dort Flüchtlinge einzuweisen, die möglicherweise gar nicht in diesem Dorf leben wollen. Und vielleicht möchten die Menschen auch einfach selbst über ihren privaten Grundbesitz bestimmen, der seit vielen Generationen im Familienbesitz ist? Möglicherweise ziehen in ein paar Jahren die Enkel ein? Der Staat wird inzwischen wieder als Gegner empfunden, so als lebten wir noch in Zeiten der französischen Besatzung (die es seit 1644 insgesamt sechsmal gegeben hat).
2. Die Konzerne: Früher hatte das Dorf eine eigene Infrastruktur. Tante-Emma-Laden, Bäckerei, Gasthäuser, Straußwirtschaften. Alles verschwunden. Und wo man in den benachbarten Ortschaften noch auf Geschäfte trifft, machen sich die großen Ketten – seien es Bäckereien oder Supermärkte – breit wie Heuschreckenschwärme. Das nächste Lokal in diesem Weindorf am Rande des Hunsrücks ist eine McDreck-Filiale an der Autobahnauffahrt. Ein dreißigminütiger Fußmarsch über diverse Feldwege wäre theoretisch nötig, falls ich jemals von diesem Angebot Gebrauch machen sollte. Was im Kleinen zu beobachten ist, wiederholt sich im Großen. Großkonzerne beherrschen die Welt. Entweder man gehört zu den Reichen oder zu den Armen. Phänotypen des Mittelstands, mit denen ich aufgewachsen bin – der Bäcker, der Kaufmann, der Gastwirt, der Bauer -, sind verschwunden. Im Gegenzug ist Antikapitalismus in Form von Konzern- und FDP-Bashing auf dem Land bis in konservative Kreise hinein längst salonfähig geworden.
3. Die Flüchtlinge bzw. die „Heimatvertriebenen“ (Georg Schramm): Dieser Punkt ist für mich am schwersten zu verstehen, da ich über zwanzig Jahre mitten in Berlin gelebt habe. Aber die Menschen haben tatsächlich Angst vor den Fremden. Demnächst ziehen die ersten fünfzehn Syrer nach Schweppenhausen. Eine Bank hat ein leerstehendes Haus gegenüber der evangelischen Kirche an die Obrigkeit vermietet. Lächerlich? Gewiss. Aber sie fürchten sich eben. Ein paar Kilometer entfernt, im Klöckner-Heimatdorf Guldental, haben Syrer in einem Haus ein Lagerfeuer im Wohnzimmer gemacht. Petitessen? Natürlich. Aber auf dem Land sind es eben diese kleinen Geschichten, die in den Gassen erzählt werden.
Die Chiffre für dieses Unbehagen ist „Köln“. Obwohl „Istanbul“ doch die eigentliche Tragödie war. Elf Menschen wurden von einem IS-Terroristen ermordet, darunter ein Ehepaar aus unserem Landkreis und eines aus dem nahen Mainz. Warum erregt „Köln“ immer noch die Gemüter, obwohl in Istanbul fast so viele Menschen starben wie in der Redaktion von Charlie Hebdo genau ein Jahr zuvor? Weil „Köln“ einfach chronologisch vor „Istanbul“ liegt. Nach dem Zustrom an Flüchtlingen im Herbst und den Anschlägen von Paris am 13. November brauchte die angestaute Wut offenbar ein Ventil. Ein Funke genügte, um das Volk wochenlang in einen Rausch der Empörung und des Zorns zu versetzen. Dafür musste noch nicht einmal jemand sterben.
Ich nenne diese ganze Entwicklung nicht links (wg. Staatsfeindlichkeit und Kapitalismuskritik) oder rechts (wg. Demokratieverdrossenheit und Fremdenfeindlichkeit), sondern Neo-Biedermeier. Eine älter werdende Bevölkerung (der Durchschnittsbewohner dieses Landes ist Mitte vierzig) empfindet Veränderungen zunehmend als negativ. Früher war das Leben, aus Sicht der Dorfbewohner, einfach angenehmer: Man kannte sich, das Dorf konnte sich selbst versorgen, die Menschen wurden nicht mit Vorschriften gegängelt. Es ist der Verlust an lokaler Autonomie und unverwechselbarem Charakter, der die Menschen umtreibt. Das eigensinnige Kollektiv, selbst wenn es das nur im verklärten Blick in den Rückspiegel gegeben haben mag, wird zur austauschbaren Filiale der globalisierten Welt.
In der rasenden Beschleunigung des Neoliberalismus sind die Leute, mit denen ich hier jeden Tag spreche, müde geworden. Überfordert. Erschöpft. Misstrauisch gegen das Neue, gegen das Fremde. Es hat sich in den letzten Jahrzehnten zu viel zum Schlechten gewandelt. Der Wandel an sich wird für sie zum größten Problem. Sie setzen keine Hoffnung mehr in eine bessere Zukunft, die Zukunft wird zum Feld zahlloser Befürchtungen. Ich höre immer wieder den Satz, dass es von Jahr zu Jahr abwärts gehe. Die Zeit ist eine Treppe nach unten. Gestern war es schlimm, morgen wird es noch schlimmer. In meinen Augen sind Angst und Zorn ein Zeichen von Schwäche. Ich sehe schwache Menschen, Menschen, denen ihre Stärke genommen wurde, denn wir kommen nicht schwach zur Welt.
Sie reagieren inzwischen entweder aggressiv oder verbittert auf jede neue „Reform“, jede neue Kungelei zwischen Konzernen und Regierungen (z.B. TTIP), jedes neue Gewerbegebiet, für das ein Stück Wald oder Weideland geopfert wird - und eben auch auf jedes neue Gesicht. Sie haben das Vertrauen in die sogenannten Eliten aus Wirtschaft und Politik verloren, weil sie einmal zu oft betrogen worden sind. Diese mentale Verfassung lässt sich nicht mit der Gesäßgeographie unserer Vorväter oder einem pauschalen Extremismusverdacht erklären.
Andreas Dorau - Stone Faces Don't Lie. https://www.youtube.com/watch?v=gD--LbrY7I4

Dienstag, 26. Januar 2016

Blogstuff 22

„Pall Mall war die Glut, war das Licht, das die Menschen in der Nacht entzündeten, weil sie sonst verloren gingen im großen schwarzen Nichts des Universums.“ (Andreas Glumm)
Unter den Renegaten des früheren „linken Spektrums“ ist die SPD der große Satan und die Grünen sind der kleine Satan. Von den sogenannten „Linken“ will ich hier gar nicht sprechen. Rosa Luxemburg würde sich im Grabe herumdrehen, wenn sie wüsste, was für eine Politik in ihrem Namen betrieben wird. Zehn Jahre Abrissarbeiten im öffentlichen Dienst und im sozialen Wohnungsbau als Regierungspartei in Berlin – und aus Thüringen, wo sie den Ministerpräsidenten stellen, hört man auch nichts mehr.
Für Donald Trump habe ich einen speziellen Begriff erfunden: „Frisurdarsteller.“
Zur Lage der Europäischen Union: Bergab geht es immer schneller als bergauf (alte Politologenweisheit).
Sachbuchtipp: „Früchte des Korns – eine kurze Geschichte des Whiskys“ von Hubert H. Hippert.
Hätten Sie’s gewusst? Jürgen Grabowski von Eintracht Frankfurt sorgte 1989 mit einer legendären Pressekonferenz für den Fall der Berliner Mauer. Er versprach allen Bürgern der DDR Freikarten für den Fall, dass die Eintracht das DFB-Pokalendspiel in West-Berlin erreicht. In den sogenannten Systemmedien wurden allerdings sämtliche Fakten verdreht, so dass es zu tumultartigen Szenen an den Grenz- und Kassenhäuschen gekommen ist.
Frage an einen Experten: Wie viele Browserfenster darf ich (49 Jahre, Steuerklasse I) eigentlich gleichzeitig offen haben?

Sie war schon lange tot, als sie endlich starb.
Hätten Sie’s gewusst? 1799 wurde in Bad Nauheim der erste Bahnhof der Welt gebaut. Man wusste damals aber noch nicht wofür.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, dessen Zähne schon zu Lebzeiten verfaulen und ausfallen. Was sagt uns das über unsere Ernährung?
Was macht eigentlich Heinz Pralinski? Er arbeitet gerade an seinem neuen Konzeptalbum „Ground Control to Major Heinz“. Im Sommer möchte er dann im Rhönrad die Alpen überqueren.
Kennen Sie eine Internetseite namens „Spiegelfechter“? Neulich bin ich durch Zufall auf diese obskure Zurschaustellung angeblich kritischer Texte gestoßen. Die Tatsache, dass um Spenden gebeten wird, wirkt nicht gerade vertrauensbildend. Das tun die verwahrlost wirkenden Menschen, die vor den Delikatessenläden auf dem Asphalt kauern, auch immer. Wer steckt dahinter? Ein Jens Berger aus Goslar. Da kommt des Teufels Parteivorsitzender Sigmar Gabriel auch her. Wirklich nuuur Zufall? Und ein gewisser Jörg Wellbrock, von dem es in der Selbstdarstellung heißt: „so liest er regelmäßig Artikel auf den NachDenkSeiten“. Das tut mein Busfahrer auch. Ts ts, was es nicht alles gibt …
Ich habe es mir beim Telefonieren zur Angewohnheit gemacht, nach dem Gespräch auf das Display meines Handys (Tundraphone 666, Modellreihe „Roter Oktober“) zu schauen, um zu sehen, wie lange es gedauert hat. Meine Erfahrung: Gespräche mit Männern dauern im Schnitt eine Minute, Gespräche mit Frauen im Schnitt zehn Minuten. Und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass es früher anders gewesen wäre. Eine Konstante in meinem Leben. Ich glaube, wenn es nur Männer auf der Erde geben würde, wäre die Sprache noch nicht erfunden worden. Und wenn es nur Frauen geben würde, wäre das Rad noch nicht erfunden worden.
Hätten Sie’s gewusst? Bonettis geheime Obsession ist das Sammeln alter Fernsehantennen aus aller Welt. Er hat bereits 1500 Stück und beabsichtigt, auf dem Dach der Villa Bonetti ein Museum einzurichten.
„Lupo Laminettis Schriften sind nur der geflüsterte Begleitkommentar eines antiklerikalen Nihilisten und depressiven Misanthropen.“ (Andy Bonetti)
„Andy Bonetti ist mit einer Kutsche unterwegs, die von fünfzig süßen Welpen gezogen wird, die er unerbittlich mit seiner Peitsche den steilen Weg hinauf nach Uptown Bad Nauheim treibt.“ (Lupo Laminetti)
Werbung: Risco Tanner: Der Kopf der Akropolis. Ein neues, spannendes Abenteuer mit dem legendären Privatdetektiv. Das Haupt der weltberühmten Statue ist verschwunden. Was tun? Keine Panik. Risco Tanner ist schon unterwegs nach Italien. Ab Montag an Ihrem Kiosk. 50% Rabatt auf irgendwas!!!
Ich kenne etliche Hobbymusiker, die immer noch ihre Samstage bei irgendeiner Gummistiefeldisco in der Wichtelbacher Turnhalle verbringen, wo sie unverdrossen vor sich hin schrammeln, weil sie auch nach dreißig oder vierzig Jahren auf der Bühne ihre ungewaschenen Wurstfinger nicht von der Gitarre oder dem Schlagzeug lassen können. Genauso geht es mir mit dem Schreiben.
Manicure – I Wanna Be Free. https://www.youtube.com/watch?v=WupB6bL3yfY

Montag, 25. Januar 2016

Luna Vogelmilch (Grey Dawn Version)

„In ihren Bildern gibt es etwas Unsichtbares, etwas Tiefes, Anrührendes, Mythisches, Ewiges. Sie verbindet im Aufbau ihrer Bilder Dynamik und Statik, Kraft und Ruhe, inhaltliche Akzente und ausgeprägten Duktus. Es sind Partituren aus Licht und Farbklängen, Rot und Blau sind wiederkehrende Elemente in ihrem Werk. Das Anliegen dieser Arbeit ist nicht das authentische Bild, sondern vielmehr das Prinzip der Referenzialität. Mit ihren Kompositionen, deren Ausdruckskraft und Formensprache eine geradezu hypnotische Wirkung auf den Betrachter entfalten, befragt sie die Grenzen der Kunstinstitutionen. Die Reduktion auf den Wesenskern erhöht die Erkennbarkeit. Selbstbestimmung und Vielfalt sind Leitthemen bei Luna Vogelmilch. Hinter dem Sichtbaren sucht und findet die Malerin instinktiv die ewige Form. Sie zeigt uns eine Welt, die ihre Würde nicht verloren hat.“ (Toni Wiesengrund: Wunsch, Weg und Werk - Frauen machen Kunst)
Es ist sehr schwer, sie zu erreichen, denn sie lebt abseits der Zivilisation auf einem kleinen umgebauten Ausflugsdampfer namens „Voyage à vide“, der in einem unbefahrenen Seitenarm des Rheins vor Anker liegt. Sie ist Künstlerin und bei schönem Wetter malt sie ihre Bilder auf dem Oberdeck.
Für ihre Kunstwerke hat sie ein neues Verfahren entwickelt. Sie projiziert ein Foto auf ein großes Kunststoffquadrat und bemalt dann die Fläche. Wenn sie fertig ist, fotografiert sie das Bild und wischt die Farben wieder weg. Das neue Foto projiziert sie auf das Kunststoffquadrat und bemalt es noch einmal. Diesen Vorgang wiederholt sie so oft, bis sie mit dem Bild zufrieden ist. Dann fotografiert sie es und präsentiert es auf ihrer Webseite. Sämtliche Zwischenschritte löscht sie auf ihrer Kamera.
Ihre Bilder gibt es nicht in der Realität, sondern nur im Netz. Sie nennt es virtuelle Malerei. Keine Ahnung wovon sie lebt, denn sie verkauft ihre Kunst nicht. Sie hat noch nicht einmal einen richtigen Namen, denn sie ändert fast jeden Monat ihren Künstlernamen und die biographischen Angaben auf ihrer Seite.
Die Bilder kann ich nur schwer beschreiben. Sie sind sehr bunt und sehr abstrakt. Manchmal glaubt man, ein Landschaft zu erkennen oder ein Gesicht. Sie selbst äußert sich nicht zum Inhalt ihrer Werke. Sie tragen auch keine Namen, sie haben keine „Titel“, wie es in der Kunstszene heißt. Sobald ein Bild fertig ist, ist ihr Interesse an ihm erloschen, hat sie mir einmal erzählt.
Ich besuche sie nur selten, denn es führt kein Weg an das Ufer, an dem ihr Schiff liegt. Es ankert vor einer unbewohnten Rheininsel in der Nähe von Heidenfahrt. Man muss mit einem Ruderboot von einem nahegelegenen Campingplatz zu ihr hinüberfahren. Sie hat kein Telefon, also muss man seinen Besuch Tage vorher per Mail ankündigen.
Im Augenblick nennt sie sich Luna Vogelmilch. Sie sagt, das entspräche ihrer Stimmung. Der Name würde sie an die Morgendämmerung erinnern, kurz bevor die ersten zarten Farben am Himmel erscheinen.
The Psychedelic Furs - Pretty in Pink. https://www.youtube.com/watch?v=rKvshXcsT-M

Sonntag, 24. Januar 2016

Mein Leben ist ein Traum

"Denn die Welt ist nicht geschaffen worden, damit man sie versteht. Sie schert sich nicht um Erkenntnis. Vielleicht ist sie sogar geschaffen worden, um nicht verstanden zu werden. Die Erkenntnis ist zwar Teil der Welt, aber nur als totale Illusion. Genau das finde ich interessant, denn es bedeutet, dass das Denken nur Teil eines Ganzen ist, und dass es für dieses Ganze keine Interpretation gibt." (Jean Baudrillard)
Bei dieser Geschichte wird die Berliner Polizei nicht gut wegkommen, so viel steht fest. Der junge Krankenpfleger schüttelt nur den Kopf, als der Mann auf der Krankenbahre an ihm vorbeigerollt wird. Ich stehe an einer Glastür im Eingangsbereich und mache mir Notizen in ein kleines Buch. Weiter darf ich nicht, der riesige Pressesprecher der Polizei versperrt mir und anderen Kollegen den Weg. Im Hintergrund verschwindet der Verletzte im Gang zum OP.
Was für eine Schlagzeile! Ein Polizist hat bei einem Einsatz – eine Demonstration vor einem Kulturzentrum in der Innenstadt, wo demnächst Flüchtlinge untergebracht werden sollen – seine Dienstwaffe gezogen und sich dabei selbst in den Fuß geschossen. Der Pressesprecher weiß, was wir aus dieser Story machen werden. Nicht nur die ganze Stadt, das ganze Land wird über die Berliner Polizei lachen.
Schlecht gelaunt fragt er mich nach meinem Presseausweis. Lächelnd erwidere ich, dass ich keinen Ausweis hätte. Ich bin Autor von Kriminalromanen, erkläre ich ihm, und würde nur Material für mein nächstes Buch sammeln. Er sagt, zu den Presseveranstaltungen rund um das Thema Kulturzentrum und Flüchtlinge hätte man zukünftig nur mit Presseausweis Zutritt. Das macht nichts, sage ich, als Autor könne ich mir Geschichten ausdenken, die viel spannender als der Polizeialltag seien. Aber heute hätten mir die Einsatzkräfte wirklich gutes Material geliefert.
Gut gelaunt fahre ich aus der Innenstadt nach Hause. Als ich meinen Wagen in der Garage parken will, sehe ich eine junge Frau, die regungslos auf dem Boden liegt. Mitten in der Garage. Links und rechts von ihr liegen zwei weiße Plastiktüten, offenbar ihre Einkäufe. Ich sehe kein Blut. Sie hat lange braune Haare, ihr Gesicht ist sorgfältig geschminkt. Eine hübsche Frau, um die zwanzig. Ich beuge mich zu ihr hinunter und spreche sie an. Sie schlägt die Augen auf, sagt aber nichts. Ich helfe ihr hoch, sie ist benommen.
Da kommt ein junger Mann mit Vollbart und Bauchansatz um die Ecke.
„Wo bleibst du denn? Musst du wieder eine Szene machen?“
„Ich halte das nicht mehr aus“, schreit sie. Sie hat einen osteuropäischen Akzent. „Der miese Job im Tierheim. Den ganzen Tag dieser Gestank! Neun Euro in der Stunde. Ich will das nicht mehr machen! Was ist das für ein Leben?“
Der junge Mann führt sie von der Garage weg. „Toll. Wirklich ganz toll. Willst du dem Mann vielleicht noch von deinen vielen Liebhabern erzählen?“
Ich fahre den Wagen in die Garage und gehe in meine Wohnung. Ich muss sofort mit dem Schreiben anfangen, denke ich. Für heute habe ich genug Material. Das Leben bietet doch den besten Rohstoff. Eigentlich wollte ich heute ja eine Geschichte über eine Familie schreiben: Vater, Mutter und zwei kleine Töchter. Die Geschichte sollte immer mehr ins Phantastische abgleiten und der Leser sollte allmählich merken, dass die einzelnen Familienmitglieder nacheinander gestorben und in eine Traumwelt übergegangen sind.
Als ich an meinem Schreibtisch sitze, wache ich auf. Ich bin in Schweppenhausen. Es ist fünf Uhr morgens und jetzt setze ich mich wirklich an den Schreibtisch, um diese Zeilen zu schreiben. Was für ein Leben.
Yes - Wonderous Stories. https://www.youtube.com/watch?v=9-BMlq_zyko

Samstag, 23. Januar 2016

Blogstuff 21

“Life is a small minority of total assholes ruining it for the vast majority of partial assholes.” (God ‏@TheTweetOfGod)
Der Arzt fragt, ob er den Stecker ziehen soll. Mit Tränen in den Augen nicke ich ihm stumm zu. Ich werfe einen letzten Blick auf den Monitor. Er fährt langsam herunter. Ein letztes Mal. Diesmal ist es für immer. Dann schaue ich auf die kleinen blauen Lichter unterhalb der Tastatur. Eins nach dem anderen gehen sie aus. Schließlich ist alles erloschen. Es ist vorbei. Ich fühle mich allein. Aber dieses Gefühl währt nicht für immer. Ich werde einen neuen Computer kaufen.
Merkwürdiger Traum: Es gibt ein Reisebüro namens „Verbindlichee Wiederholung“ (mit zwei E), das Reisen in die eigene Vergangenheit (alte Stammkneipe, Studentenzeit usw.) organisiert – mit Erinnerungs-DVD der schönsten Momente.
Es hat keinen Sinn, Ameisen Namen zu geben.
Die Deutschen sind schon clever. Wir lassen die Waren, die wir in Deutschland konsumieren, billig in chinesischen und indischen Fabriken produzieren. Und nachdem wir unser Schnäppchen gemacht haben, zeigen wir auf der nächsten Klimakonferenz auf die bösen Inder und Chinesen, deren Fabriken die Umwelt zerstören und den Klimawandel anheizen. Wir sind keine verlogenen Heuchler, wir sind die Musterknaben im Umweltschutz!
Gegendarstellung: Bei You Tube kursiert ein Video, das Andy Bonetti auf dem Bad Nauheimer Oktoberfest zeigt. In der rechten Hand hält er einen Maßkrug und mit der linken Hand deutet er auf eine stillende Mutter neben sich. Er ruft laut: „Jo mei, is des a Muichwirtschaft!“ Hierzu stellen wir fest: Dieser Satz ist aus dem Zusammenhang gerissen und in keiner Weise geeignet, als sexistisch bewertet zu werden.
Fertigfraßmüll: Du weißt, dass es Scheiße ist, aber du musst es genau 1x ausprobieren. Wie wenn ein Schild am Tiefkühlfach hinge: Frisch gestrichen - bitte nicht anfassen.
Prinzessin Sylvia von den Meisenknödeln
Seine Augenbrauen waren unmittelbar über den Augäpfeln, aber zwischen seine Brauen und seinen Haaransatz hätte eine komplette Illustrierte im Querformat gepasst.
Wenn es 1982 eine Weltmeisterschaft im coolen Rumstehen am Autoscooter oder in der Disco gegeben hätte – aber so bin ich bis heute ohne Titel geblieben.
Das Wort Grips als Synonym für Verstand ist völlig aus der Mode gekommen.
Hühnerverleiher ist kein Beruf!
Ich weihe Sie in ein Geheimnis ein: Im Nordturm der Villa Bonetti ist absolut gar nichts, er sieht einfach nur gut aus.
Hätten Sie’s gewusst? Der Begriff Kapitalistischer Realismus wurde zwischen 1963 und 1966 von den Malern Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke und Manfred Kuttner eingeführt. (wikipedia)
Wussten Sie, dass es in der Bundesmarine den Dienstgrad des Flottillenapothekers gibt?
Ein Pangramm ist ein Satz, in dem alle Buchstaben des Alphabets inklusive Umlauten und Eszett enthalten sind. Beispiel: „Zwölf Boxkämpfer jagen Viktor quer über den großen Sylter Deich“. Und ohne doppelte Buchstaben: „Fix, Schwyz!“ quäkt Jürgen blöd vom Paß.
Wer hätte das gedacht? In Berlin war ich „dem Idiotismus des Landlebens entrissen“ (Karl Marx: Theorien über den Mehrwert II). „Ich aber sage Euch: Sehet das heimat- und besitzlose Volk in den Großstädten, wie es vom Mietwucher der Grundbesitzer wie Staub über das Antlitz der Erde geweht wird.“ (Bonetti 3:16)
Komisch: Katzen oder Hunde haben weder Geld noch Privatbesitz und trotzdem mag sie jeder. Aber Menschen, die nichts haben, werden verachtet.
Heute habe ich wieder was gelernt: “Feedreader”. Man kann sich benachrichtigen lassen, wenn auf einer Internetseite, die man interessant findet, etwas Neues steht. Auf diese Weise kann man einen gerade veröffentlichten Text auch auf diesen neumodischen Telefonen lesen, ohne die Seite anzuklicken. Bisher lief das bei mir so: Bei schönem Wetter gehe ich in dieses nette kleine Internetcafé am Place de la Chablis in Schweppenhausen, entzünde mit einem Knopfdruck das elektronische Feuer und gebe dann in eine Suchmaschine z.B. den Begriff „Kiezneurotiker“ ein. Feedreader. Mhm. Gar nicht so dumm.
„Andy Bonettis Stil ist bestenfalls neogymnasial.“ (Lupo Laminetti)
Thin Lizzy - The Boys Are Back In Town. https://www.youtube.com/watch?v=hQo1HIcSVtg

Freitag, 22. Januar 2016

Duisburg 2099, Teil 2

„‘Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum‘ ist das Billy-Regal unter den Lebensmottos.“ (Barbara)
Eines Tages folge ich dem Rheinstrand, bis die Stadt hinter mir liegt. Am Ufer stehen einige einfache Hütten. Hier leben die Aussteiger, hat mir der Hotelportier erklärt. Dürre und langmähnige Fürsten der Selbstgerechtigkeit, deren Broterwerb mir verborgen geblieben ist. Was machen sie in dieser Einöde? Haben sie ausgerechnet hier ihren Traum verwirklicht? Was sind das für Träume, die Wirklichkeit werden können? Ein Paradoxon. Um zu träumen, muss man schlafen. Oder haben sie hier die Suche aufgegeben? Ist an diesem Ort ihre faustische Unruhe erloschen und sie haben sich einfach niedergelassen?
Ich beginne, die Menschen zu mögen, die mich bei jeder Gelegenheit übers Ohr hauen. Inzwischen kenne ich die Stadt und weiß, um wie viele Ecken mich der Taxifahrer damals chauffiert hat, bis wir endlich vor dem Hotel standen. Im Restaurant bekomme ich ein anderes Essen, weil man nicht zugeben will, dass man die Zutaten für das bestellte Gericht gerade nicht vorrätig hat. Dafür ist die Rechnung zu hoch. Ich bestelle einen bestimmten Schnaps nach dem Essen und sehe aus den Augenwinkeln, wie ein Bursche aus dem Restaurant in einen Laden geschickt wird, um die entsprechende Flasche zu besorgen. Es ist ein rührender, kindlicher Dilettantismus, eine liebenswerte Mogelei, die mich nicht schmerzt.
Die wenigen Autos, die ich sehe, sind rollende Diskotheken. Junge Leute, die wie die Henker fahren. Die Fahrräder haben kein Licht, Verkehrszeichen gibt es keine und die alte Trennung von Bürgersteig und Straße nimmt keiner ernst. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind auf geradezu boshafte Weise unpünktlich. Fahrpläne haben an den Haltestellen nur dekorativen Charakter. Nach kurzer Zeit habe ich mich auf ein Leben als Flaneur beschränkt. Ich habe Zeit. Es ist viel angenehmer, die Stadt zu Fuß zu erkunden. Überall, wo es Schatten gibt, stehen die Leute, schwatzen und lachen.
Die Frauen. Lange, glutäugige Blicke. Oft von ganz jungen Mädchen. Augenzwinkern, Lächeln, ein lockender Zeigefinger. Sie spielen mit dem Fremden. Es geschieht nicht oft, aber doch fast jeden Tag. Stumme Aufforderungen, denen ich ausweiche. Einmal hat sich eine langmähnige, prachtärschige und überhaupt kurvenreiche Schönheit am Rheinufer auf meinen Schoß gesetzt, von dem ich sie allerdings sofort wieder vertrieb. Andere Frauen wiederum gehen nur mit gesenktem Blick und in langen Mänteln durch die Stadt, obwohl die Sonne vom Himmel brennt, dass ich mir den Schweiß von der Stirn schüttele wie ein Hund, der gerade aus dem Wasser kommt.
In den Abendstunden stehen die Straßen der Innenstadt voller Tische und Stühle. Ich höre Trommeln, überall ist Musik. Der Abend ist der Höhepunkt des täglichen Lebens. Alle sind unterwegs, ganze Horden junger Menschen ziehen durch die Straßen, sie lachen aufgeregt und zeigen mit ihren Fingern auf alles, was sie sehen. Sie sind schön und ich betrachte sie, bis meine Augen müde werden von so viel Schönheit und Jugend. Wenn ich wüsste, wie es geht, würde ich jeden Abend einem Dutzend schöner Frauen mein Leben schenken. Wer ist um diese Uhrzeit überhaupt noch in den Häusern? Ein paar alte Menschen vielleicht. Aber selbst sie lehnen sich auf ihre Fensterbänke und sehen lächelnd herab auf das bunte Treiben und die glitzernden Lichter.
Kraftraubend sind an diesen Abenden nur die Abwehrgefechte gegen die Straßenhändler. Vor allem die Kinder sind nicht auszuhalten. Die Jungs sind frech und klopfen, selbst während ich esse, auf meine Schulter oder meinen Unterarm, ewig schwatzend und durch mehrfache Wiederholung dieses Rituals in kurzen Abständen von ausgesuchter Bösartigkeit. Die Mädchen sind ganz anders: leise bittend, beschwörend, manche Achtjährige legt einfach den Arm um mich und küsst mich auf die Wange, um mich zum Kauf von Nüssen oder Papiertütchen mit geheimnisvollem Inhalt zu bewegen. Ich weise sie freundlich ab, tausendfach, um ich merke, wie es mich ermüdet. In diesen Augenblicken ist meine Einsamkeit zugleich auch eine Schwäche.
Einmal habe ich eine junge Frau zum Essen eingeladen. Sie hieß Simone. Ich hätte sie höchstens für zwanzig gehalten, aber sie war fünfundzwanzig und hatte drei Kinder. Mit sechzehn hatte sie geheiratet. Wir waren noch in einer Bar tanzen, dann verabschiedeten wir uns voneinander. Das kurze Glück des Gefundenwerdens. Ich erinnere mich noch, dass alle Frauen in dieser Bar ihre Schuhe zum Tanzen ausgezogen haben. Sie bewegte sich mit großem Ernst und abwesendem Blick über die Tanzfläche, während ich mir wie ein Idiot vorkam, weil ich ihren Bewegungen nicht folgen konnte.

Es ist Mitternacht, das Licht in meinem Hotelzimmer erlischt. Ich schließe das Notizbuch. Der fauchende Generator gibt endlich Ruhe. Die Marktbuden unter meinem Fenster haben längst geschlossen. Die ganze Stadt ist in Dunkelheit getaucht. Ich trinke den letzten Schluck Wein in meinem Glas und lege mich aufs Bett. Ich könnte eine Kerze anzünden, aber ich habe mich an den Rhythmus der Stadt gewöhnt. Ich lege mich schlafen, wenn sie es tut. Ich wache auf, wenn sie erwacht.
Ich denke über meine Notizen nach. Überall stößt das Land der Sprache an Grenzen und sein Gegenreich ist mit dem Begriff Schweigen nur unzureichend umschrieben. Die anderen Länder heißen Enttäuschung, Melancholie, Erkenntnis, Zorn und Verständnis. Ab einem gewissen Moment können Empfindungen nicht mehr ausgedrückt, Verzweiflung nicht mehr beschrieben und Einsicht nicht mehr vermittelt werden. Und damit ist auch dieser kleine Gedanke schon an sein Ende gelangt und wird von neuen Bildern und Ideen fortgespült.
Und trotzdem ist jede dieser kleinen Erinnerungen ein wertvoller Schatz und zugleich eine geheime Quelle, aus der ich ewig schöpfen möchte. Duisburg hat mich auf eine Weise verzaubert, die schwer zu beschreiben ist. Die Stadt nimmt dir jeden Tag ein Stück deiner Energie, aber sie lässt dich auch neue Lebenskraft schürfen wie Gold.
Wann werde ich wieder nach Hause fahren? „Nach Hause“ – Was ist das, wo ist das? Ich kann nicht für immer in Duisburg bleiben. Und trotzdem habe ich das Gefühl, den Zeitpunkt für eine Rückkehr bereits verpasst zu haben. Es ist, als bildeten das Alte und das Neue zwei Waagschalen, die sich genau in diesem Augenblick in einer perfekten Balance befänden.
Weekend - Coma Summer. https://www.youtube.com/watch?v=c99SZIiOrG4

Donnerstag, 21. Januar 2016

Sprechen wir über Grenzen

Es gibt nicht viele Dinge auf der Welt, die grenzenlos sind. Der Himmel und die menschliche Dummheit fallen mir als erstes ein. Die Habgier des Raubtiers Mensch – womit jeder von uns natürlich immer alle anderen meint. Alles andere hat Grenzen. Meine kulinarischen Kapazitäten an einem Buffet, meine Aufmerksamkeit vor dem Fernseher, meine Geduld. Und meine Hilfsbereitschaft. Und diese Grenzen definiert jeder selbst.
Es gibt faktische Grenzen. Die Feuerwehr von Wichtelbach hat drei Löschzüge, die sie mit ihren Feuerwehrleuten besetzen kann. Wenn vier Häuser in vier verschiedenen Himmelsrichtungen zur gleichen Zeit brennen, muss der Feuerwehrhauptmann eine Entscheidung treffen. Ein Haus wird abbrennen. Für den Besitzer des vierten Hauses ist das eine schreiende Ungerechtigkeit. Warum habt ihr mein Haus nicht gerettet? Warum habt ihr ausgerechnet mir nicht geholfen? Das ist ohne Zweifel ungerecht. Aber die Feuerwehr von Dichtelbach hat eben nur begrenzte Kapazitäten. Man könnte über die Anschaffung eines vierten Löschfahrzeugs nachdenken. Aber was tun wir, wenn fünf Häuser zur gleichen Zeit brennen? In Wichtelbach wägen die Leute mit Blick auf ihre begrenzten Ressourcen also ab: Investieren wir unsere Steuereinnahmen in den Ausbau der Feuerwehr? Dann beschweren sich die Eltern über die unterlassene Renovierung der Schule, der Sportverein über den fehlenden Zuschuss usw.
Es gibt persönliche Grenzen. Ich gehe durch die Fußgängerzone von Bottrop und gebe einem Obdachlosen einen Euro. Ich sehe einen Punk und gebe ihm einen Euro. Nach dem dritten Euro für eine Roma mit Baby ist die Grenze meiner Barmherzigkeit für diesen Tag erreicht. Vor der Kirche kniet ein Krüppel und bittet um ein Almosen. Ich schüttele den Kopf. Er bekommt nichts von mir. Aus seiner Perspektive ist es eine schreiende Ungerechtigkeit. Ich habe drei Menschen geholfen und ihm helfe ich nicht. Warum bleibt ausgerechnet er ohne Hilfe? Vielleicht hat er sie nötiger als die anderen? Aber ich habe meine individuelle Grenze erreicht, die ich persönlich definiere und für die ich niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen muss. Andere Menschen haben andere Grenzen. Andere haben mehr, andere geben mehr. Andere haben viel und geben nichts. Selbst der heilige Martin hat seinen Mantel nur geteilt und eine Hälfte behalten. Verschenke ich alles, was ich besitze, bin ich bald selbst obdachlos.
Sie ahnen es schon: Ich spreche über die Flüchtlinge. Wir werden darüber reden müssen, wie viele Menschen wir aufnehmen können. Es gibt Kapazitätsgrenzen auf dem Wohnungsmarkt und es gibt persönliche Grenzen. In Sachsen empfindet man einen Ausländeranteil von zwei Prozent als Bedrohung, in Berlin sind zwanzig Prozent nichts, worüber die indigene Hauptstadtbevölkerung ein Wort verlieren würde. Die Schweiz ist voller Migranten (wobei die Deutschen ganz vorne liegen), in Polen ist das Phänomen unbekannt.
In diesen Tagen teilt sich die Herde der Diskussionsteilnehmer in Schafe und Böcke. Die Schafe glauben, wir können unendlich viele Menschen aufnehmen und alle Flüchtlinge seien herzensgut. Die Böcke glauben, wir können überhaupt niemand aufnehmen und alle Flüchtlinge seien Verbrecher, die unsere Kultur zerstören. Beide Gruppen liegen falsch. Es gibt Milliarden Menschen, die im Elend leben und von einem Leben in Europa träumen. Wir werden an einen Punkt kommen, an dem wir eine Grenze ziehen. Diese Grenze als Ergebnis eines Aushandlungsprozesses wird willkürlich erscheinen und ungerecht. Für den, der vor der Tür bleiben muss. Darüber wird eines Tages zu sprechen sein – so machen es die anderen Einwanderungsländer wie Kanada oder Australien auch.
Ich denke, wir sind noch weit von unserer Grenze entfernt. Weiter, als wir denken. Im Augenblick glotzen sich Schafe und Böcke nur blöde in die Augen.
The Sisters of Mercy – Flood I. https://www.youtube.com/watch?v=MYZ4XoZRjkI

Duisburg 2099, Teil 1

„Das Wahrzeichen der Intelligenz ist das Fühlhorn der Schnecke.“ (Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung)
Warum bin ich hergekommen? Was will ich hier? Ich blätterte in meinem kleinen Notizbuch und fand den Eintrag wieder: „Aus der tiefsten Verzweiflung werde ich mich herausreißen, die letzten Reste meiner teutonischen Sucht nach Selbstversklavung beseitigen, in deren Spinnweben sich so viele Menschen auf verhängnisvolle Weise verfangen haben. Ich werde die Gelassenheit lernen, die Zeitferne als Abwesenheit von Ordnung, von trügerischer Sicherheit durch Teilung und Planung des Lebens. Das pure, das tierhafte Leben, das gemächliche Treibenlassen auf den trägen Wellen der eigenen Gelüste.“ Ich verstand gar nichts. Ich verstand meine eigenen Worte nicht. Hohle Phrasen, Geschwätz, abstrakte Begriffe. Es hätte nur noch die Sehnsucht gefehlt und ich hätte das Buch einfach weggeschmissen. Ich blätterte weiter. Der letzte Eintrag lag vier Wochen zurück.
Duisburg. Es ist heiß. Es müssen an die vierzig Grad in meinem Hotelzimmer sein. Die Mücken bewegen sich nicht mehr. Sie fallen tot von den Wänden. Ich habe keine Kraft mehr, sie zu erschlagen. Als ich vor einigen Monaten hier ankam, war ich noch ein Festmahl für die Moskitos. Ich liege auf dem Bett, auf dem klebrigen nassen Laken. Ich lasse das Notizbuch sinken. Mir fehlt die Kraft zum Lesen. Koran und Bibel liegen friedlich und ungelesen nebeneinander in der Nachttischschublade.
Duisburg. Der Charme des lautlosen Verfalls. Die Würde der abgeblätterten Farbe, die Patina, das Alter. Und es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, wenn sich plötzlich am Abend ein Fenster öffnet. Ein altes Gesicht zeigt sich wie in einem Traum. Oder die spielenden Kinder in einem Hinterhof, bunte Farbklekse voller Virilität. Ich stelle mir für einen Augenblick vor, der Rhein sei das Meer und hier ginge Europa, hier ginge die Welt zu Ende.
Wenn es geregnet hat, blüht und wächst die Natur aus jedem Riss im Asphalt. Der Göttin des Wassers ist im Zentrum der Stadt ein Denkmal errichtet worden. Die Statue hat ein zartes Gesicht, wie die Jungfrau Maria, sie ist in bunte Farben getaucht, der Sockel, aus dem Wasser in ein flaches Becken fließt, ist in Gold und Weiß gehalten. Bei einem nächtlichen Spaziergang treffe ich auf eine Prozession zu ihren Ehren. Die Gassen füllen sich mit Menschen. An der Spitze marschieren Priester in wallenden Gewändern, es folgt ein Lautsprecherwagen, aus dem Gesänge dröhnen, dann kommen junge Mönche, die prächtig mit Blumen geschmückte Tierfiguren tragen. Die Menschen schließen sich dem Zug an, sobald er an ihnen vorübergezogen ist. Ich erwerbe von einem fliegenden Händler ein Heiligenbildchen und ein glücksbringendes Stoffbändchen.
Am frühen Morgen bade ich im Rhein. Es sind hunderte am schmalen Sandstrand, hunderte stehen träge bis zum Bauch im lauwarmen Wasser, ein Stück Seife in der Hand. Niemand bewegt sich, kein Kind baut eine Strandburg, niemand verändert irgendetwas. Mein Kopf ist ganz leer und es gelingt mir tatsächlich minutenlang, nichts zu denken. Habe ich in dieser Stadt überhaupt schon mal ein Buch gesehen? Mein zielloses Leben betäubt mich wie Morphium. Wasser und Licht sind die Gefährten, die meinem augenblicklichen Geisteszustand entsprechen.
Ich höre Menschen sprechen, aber ich verstehe ihre Worte nicht. Ihre ungeschriebenen Gesetze bleiben mir verborgen. Aber sie sind sanftmütig, ich erkenne es an ihrem nachsichtigen Lächeln, wenn sie mich im Restaurant bedienen oder mir in einem kleinen Laden etwas verkaufen. Die Folge meiner Unwissenheit ist nicht Unsicherheit, sondern heitere Sorglosigkeit. Solange ich noch Geld habe, ist alles gut. Das Geld macht alles leicht. Es reicht, wenn ich mit dem Finger auf eine Flasche Bier zeige, wenn ich dabei nicke und lächle. Insgeheim nennen sie Touristen wie mich „Shrimps“, wegen der geröteten Haut. In meinem alten Leben bin ich nicht oft in der Sonne gewesen.
Die Bettler, die an den Rändern der großen Plätze und Straßen sitzen, erinnern mich an Filme über das Mittelalter. Ein Krüppel hat als letzte Extremität seinen rechten Arm. Menschen ohne Beine, die Stümpfe sind mit Lederbandagen geschützt, schleppen sich zu dir und bitten dich um ein paar Münzen. Einer von ihnen, es scheint der König der Bettler zu sein, fährt auf einem Brett mit Rollen und hat eine Kapitänsmütze auf. Er grüßt mich wie ein vornehmer Herr, als er vorüberfährt. Herrenlose Hunde streunen über den Platz und in den Hauseingängen dösen und träumen zur Mittagszeit die alten Frauen. Niemand ist auf dem Weg nach irgendwo, niemand wartet auf irgendetwas, das Warten ist in dieser Welt noch gar nicht erfunden. Nichtstun ist der natürliche Zustand in dieser Hitze. Es gibt keine Zeit, die verschwendet wird oder die man totschlagen muss, weil es keine Zeit gibt. Es gibt nur diese köstliche Ruhe, die dennoch voller Leben ist.
Gegen Abend bin ich Zuschauer eines Fußballspiels auf einem Bolzplatz, dessen kleines Feld mit hohem Maschendrahtzaun umgeben ist, so dass der Ball immer im Spiel bleibt. Es spielen fünf Jungen gegen fünf Mädchen. Ich beobachte die Partie eine halbe Stunde lang. Es fallen viele Tore, das Spiel ist ausgeglichen. Ich vergesse irgendwann den Zwischenstand. Es ist nicht wichtig, wer gewinnt. Wer hat gewonnen? Das ist die falsche Frage. Weil der Augenblick zählt. Du hast ein Tor geschossen, du bist glücklich. Deine Mannschaft hat ein Tor geschossen, das zählt. Die Mädchen sind ausgelassen, sie drehen sich manchmal wie Tänzerinnen zu einer lautlosen Musik, wenn der Ball weg ist.
Die Vollmondnacht birgt alle Formen des Wachen und Schlafens in sich, die sich in einem bunten Strudel aus Gedanken und Bildern miteinander vermischen. Es ist ein endloses Dösen, in dem sich Traum und Wirklichkeit vermischen. Ich höre mein eigenes Schnarchen, ich höre Klagelaute, Geraschel und Wispern. Die Finsternis ist voller Bilder und Bewegung. Ich beginne zu vergessen. Ich lege mein Wissen ab wie ein Kleidungsstück. Ich bin die Schildkröte.
Yes - Turn of the Century. https://www.youtube.com/watch?v=b3bysb4T5mg

Mittwoch, 20. Januar 2016

Blogstuff 20

„Die Volksmassen der ganzen Welt werden den Sieg davontragen.“ (Lupo Laminetti: Rote Banner über Bad Nauheim, 1975)
„In genialer, schöpferischer und allseitiger Weise hat Genosse Lupo Laminetti den Marxismus-Leninismus als Erbe übernommen, ihn verteidigt und weiterentwickelt; er hat den Marxismus-Leninismus auf eine völlig neue Stufe gehoben. Die Ideen Laminettis sind der Marxismus-Leninismus jener Epoche, in welcher der Imperialismus seinem totalen Zusammenbruch und der Sozialismus seinem weltweiten Sieg entgegengeht. Die Ideen Laminettis sind eine mächtige ideologische Waffe im Kampf gegen den Imperialismus, sie sind das Leitprinzip für Bad Nauheim.“ (Autorenkollektiv: Bedingungen für den revolutionären Kampf des Proletariats im Wetterau-Kreis)
„Eine Revolution ist kein Gastmahl, kein Aufsatzschreiben, kein Bildermalen, kein Deckchensticken.“ (Mao Tse-Tung)
Nachricht des Tages: Altersarmut – RAF-Rentner überfallen Bargeldlieferservice.
Flüchtlingsthematik: Die Bundesregierung will jetzt die „Fluchtursachen“ bekämpfen. Klingt gut. Aber was sind die finalen Ursachen? Gier und Gewalt, die in der Epoche des enthemmten, global agierten Konzernkapitalismus völlig unkontrolliert sind wie Hochspannungskabel, die der Sturm von einem Mast gerissen hat.
4. Dezember 2015. Deutschland hat Syrien den Krieg erklärt. - Nachmittag Schwimmschule.
Aus der Rubrik „Pointen, die echt weh tun“: Meine Großmutter stammt aus dem Reichsprotektorat Bohnen und Möhren. Damals nannte man die Österreicher noch Bergdeutsche. Geben Sie’s ruhig zu: Nach diesen Killerpointen wollen Sie nie wieder einen Witz hören. Manchmal starrst du als Autor auf deinen Text wie in eine Toilettenschüssel und denkst: Ist das wirklich von mir?
Wenn im Wein die Wahrheit liegt, liegt im Schnaps die Frechheit.
Hätten Sie’s gewusst? Andy Bonetti hat in seiner Jugend illegale Hamsterkämpfe in der Bronx von Bad Nauheim organisiert.
Einmal im Jahr räume ich meinen Schreibtisch auf. Das heißt: Aus der Unordnung auf seiner Oberfläche wird Unordnung in seinen Schubladen.
„Die billigen Absteigen nennt man ja heute Hostels, weil es wie Hotel klingt. Zu meiner Zeit, als ich unter dem Namen Stinky Malloy die ganze Westküste rauf- und runtergetrampt bin, als man junge Hobos wie mich noch Punks genannt hat, ohne dass wir das Geld für irgendwelche albernen Frisuren oder Szene-Klamotten gehabt hätten, als mich in Skid Row jeder kannte, nannte man diese verdammten, kakerlakenverseuchten Löcher einfach nur Flophouses. Und wenn du deinen Rausch in so einem Flophouse ausgeschlafen hast, war es besser, wenn du die Schuhe anbehalten hast, wenn du weißt, was ich meine.“ (Johnny Malta: Ihr jungen Leute wisst ja gar nicht, wie gut es euch geht, Band 4)
Was macht Heinz Pralinski? Er arbeitet an einer systemkritischen Tanzperformance, die im Rahmen der Anti-Documenta 2016 in Bad Nauheim uraufgeführt werden soll. Er sucht in diesem Zusammenhang noch einbeinige Tänzerinnen aus Kriegsgebieten (Syrien bevorzugt).
„Problem Nr. 25: Etwas geht schief, weil keiner gefragt hat.“ (Lexikoneintrag, geträumt)
Das muss der Klimawandel sein: die flämische Waldoboe in meinem Garten hat im Januar die ersten Knospen gebildet.
Für den Satz „Er hatte am Hinterkopf eine kreisrunde kahle Stelle, die durch sein graues Haar schimmerte wie der Mond durch eine Nebelbank“ wurde Andy Bonetti von der hessischen Friseurinnung der Preis für den besten Chandlerismus 2016 verliehen. (Anmerkung für den Connaisseur: In „Friseurinnung“ kommt der Begriff Urin vor)
Die flämische Waldoboe ist unten stammartig und verästelt sich dann immer mehr. Sie hat überall grüne blattförmige Auswüchse. Ich hoffe, Sie können sich die Pflanze ungefähr vorstellen.
Der Augenblick, wenn sich die aufdringliche Gutherzigkeit alter Frauen in strenge Rechthaberei verwandelt.
The Chameleons - Dreams in Celluloid. https://www.youtube.com/watch?v=kvnnileZ9Y8

Dienstag, 19. Januar 2016

Fluch der Technik

„Aber immerhin gibt es auch eine gute Nachricht für uns, und zwar die täglich wachsende Bedeutung des Geldes (…); es lässt uns Scham und Anstand vergessen, aber nur, damit wir erkennen, dass wir diese Tugenden genau genommen nie besessen haben.“ (Zhu Wen: I love Dollars)
Ich lese ja immer noch gerne alte Bücher. Aus der Zeit, in der es kein Internet und keine Smartphones gab. Da fällt mir immer auf, was ich als Autor heute nicht mehr machen kann, welche großartigen dramaturgischen Momente der Literatur verloren gegangen sind - es sei denn, man schreibt einen historischen Roman.
1. „Das Telefon klingelte“. Früher klingelte das Telefon und ein Gespräch wurde jäh unterbrochen. Jemand musste an den Apparat gehen. Man hörte nur ein kurzes „Ja“ oder „Mhm“ und musste aus dem Tonfall des Hörenden auf den Inhalt des Unhörbaren schließen. „Grundgütiger Himmel, das ist ja schrecklich!“ Was ist schrecklich? Ist jemand gestorben? Kommen die Russen? Sind die Löwen aus dem Zoo ausgebrochen? Die Spannung steigert sich ins Unermessliche. Bis wir endlich erfahren, um was es geht. Heute summt oder vibriert es nur in irgendeiner Hosentasche. Und jeder weiß immer schon alles, weil er ständig auf sein Smartphone glotzt. Daher entfällt auch folgender beliebter Dialog:
„Hey, weißt du schon das Neueste?“
„Nein.“
Beide sind aufgeregt. Schnappatmung allenthalben.
„Das – glaubst – du – nicht!“
„Jetzt sag’s schon!“
(beliebig ausbaubar)
2. „Wo war Conny Windig? Niemand konnte sie erreichen.“ Der Privatdetektiv oder der Kommissar müssen dringend jemand anrufen. Aber die Person ist nicht zu Hause. Schippert vielleicht gerade mit einer Yacht über die Ostsee oder steht im Stau vor Mannheim. Pech. Da machst du nix! Aber Conny Windig ist in Gefahr. Du weißt jetzt, wer der Mörder ist. Nein? Doch! Und Conny ist als nächstes dran. Du musst sie unbedingt erreichen. Es ist zum Mäusemelken. Daraus konnte man als Autor Spannung herstellen. Vorbei. Heute ist Conny rund um die Uhr zu erreichen, selbst wenn sie gerade auf den Osterinseln ist.
3. „Es war eine finstere mondlose Nacht. Johnny Malta hatte sich verfahren und hielt vor der kleinen Tankstelle an der einsamen Landstraße, um nach dem Weg zu fragen.“ Wir wissen, wie es weiter geht. Der böse Tankwart zeigt ihm den falschen weg und Johnny kommt in ein Dorf, in dem lauter Zombies leben. Solche verwunschenen Plätze hat es vor der Erfindung des Navis gegeben, doch doch, da bin ich mir ganz sicher. Johnny wird auf grauenhafte Weise dahingemeuchelt. Heute folgt er der seelenlosen Stimme der Technik und kommt immer an. Übrigens entfällt dadurch im Alltag auch die schöne Ausrede „Ich hab’s nicht gefunden.“
4. Aber nicht nur die Technik hat sich verändert, auch andere Dinge. „Darauf wette ich einen Heiermann.“ Und: „Ihre Augen waren so groß wie Fünf-Mark-Stücke.“ Vorbei. Jetzt gibt’s nur noch den Fünf-Euro-Schein.
5. Es entfallen in der Literatur wie im Leben auch alle spannenden Momente, die aus Unwissenheit oder bestimmten Meinungsverschiedenheiten entstehen. Zumindest, wenn es um reines Faktenwissen geht. Wie heißen die sieben Zwerge? Wer schoss das entscheidende Tor im Endspiel der EM 1996? Was ist das Atomgewicht von Brom? Guckst du einfach nach. Weiß man nach wenigen Sekunden. Jeder hat eine Enzyklopädie in der Jackentasche.
Es ist uns so vieles verloren gegangen. Wer sucht noch nachts verzweifelt nach einer Telefonzelle, weil es etwas Wichtiges zu sagen gibt? Und dann findest du eine – und sie ist kaputt. Oder du hast kein Kleingeld. Oder du hast Kleingeld, aber es kullert dir blöderweise in den Gulli. Und dann fingerst du im Gulli rum, bleibst mit der Hand stecken, während du mit schreckensgeweiteten Augen („groß wie Fünf-Mark-Stücke“) den Wagen näherkommen siehst, der dich seit Stunden verfolgt …
Heute ist der Akku leer.
Zum Abschluss noch ein Mörderkalauer, den man inzwischen auch nicht mehr bringen kann. Der ist übrigens nicht von Fips Asmussen, sondern von mir. In diesem Blog ist noch alles echte Handarbeit – wo gibt’s sowas noch?
A: Neulich auf dem Weinfest war ich so betrunken, dass ich in eine Telefonzelle gepinkelt habe, weil ich dachte, es wäre das Klohäuschen.
B: Und warum erzählst du mir das?
A: Ich dachte, wenn ich schon mal hier bin, kann ich auch jemand anrufen.
Pointer sisters - I'm So Excited. https://www.youtube.com/watch?v=UeupLtGqiFM

Montag, 18. Januar 2016

Ein Luftmensch

„Wer es schafft, in seinem Leben auch nur einem einzigen Menschen zu seinem Glück zu verhelfen, der gewinnt zugleich sein eigenes Glück.“ (Yasunari Kawabata: Der Blinde und das Mädchen)
Nichts ist deutscher als eine Sandburg. Eine Sandburg im Wortsinne, nicht nach Art der Kinder. Ich spreche von Wall und Schützengraben. Nach alter Landsermanier gruben unsere Väter am ersten Urlaubstag eine Stellung in den Strand, die nur von Blutsverwandten betreten werden durfte. Ich habe so etwas nirgendwo sonst auf der Welt gesehen. Zum Glück haben sich die Generationen, die nach dem Krieg geboren wurden, dieses merkwürdige, zwanghafte und gruselige Verhalten Ende des vergangenen Jahrhunderts abgewöhnt.
Penner und Kriminelle waren die Helden meiner Kindheit: Ein Monster namens Oskar, das in einer Mülltonne in der Sesamstraße lebte, und ein Typ mit sieben Messern, einem Säbel und einer Pfefferpistole, der die Kaffeemühle irgendeiner Oma klauen wollte, Räuber Hotzenplotz genannt.
1979 bekam ich eine Quarzuhr zum Geburtstag. Die Zeit wurde von eckigen schwarzen Stäbchen auf einem grauen Hintergrund angezeigt. Die Uhr hatte sogar eine Stoppuhrfunktion, mit der man die Zeit auf die Hundertstelsekunde genau bestimmen konnte. Damals galt man schon als Nonkonformist, wenn man die Uhr am rechten Handgelenk trug.
Idiotischerweise kann ich mich noch an meine erste Kiwi erinnern. Meine Mutter hatte die pelzige Frucht aus dem Supermarkt mitgebracht. Drei Stück für je eine Mark. Eine für mich, eine für meine Schwester, eine für sie selbst. Wir wussten gar nicht, wie man sie isst. Zuerst haben wir versucht, sie zu schälen wie eine Mandarine. Aber der Pelz war sehr dünn. Dann haben wir sie in der Mitte durchgeschnitten und ausgelöffelt wie ein gekochtes Ei. Die Kiwi schmeckte sauer und nach Stachelbeeren. Wir fanden sie alle nicht gut, teuer war sie auch noch. Damals, in den späten Siebzigern, hat man für eine Mark noch eine Portion Pommes frites bekommen. Wir haben nie wieder Kiwis gekauft.
Meine Großmutter lebte ganz in der Nähe des Gefängnisses in Diez. Wir spazierten oft an der hohen Gefängnismauer vorbei. Ich hörte die Stimmen der Männer, die durch diese Mauer vom Rest der Gesellschaft getrennt waren. Meine Großmutter erzählte mir, dass diese Menschen böse seien. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich hörte sie und manchmal lachten sie hinter der Mauer. Für mich war der Weg immer aufregend und ich stellte mir vor, wie einer der Männer über die Mauer und den Stacheldraht floh und sich zwischen den umliegenden Häusern versteckte, während ihn die Polizei mit Hunden suchte.
***
Die Fahrt zur Klinik. Er sah wehmütig aus dem Fenster. Es war nichts Besonderes zu sehen, nur Felder und Wiesen. Aber er würde sie für lange Zeit nicht mehr sehen können und jeder Augenblick erschien ihm kostbar. Es war, als würde er nie wieder diese Straße entlang fahren. Als wäre es ein Abschied für immer. Und er versuchte, sich die Bilder einzuprägen. Der Mann erinnerte er sich wieder an eine Szene aus einer Tier-Doku. Ein Adler hatte einen Fuchs gepackt, der einen langen klagenden Heulton ausstieß. Und er hatte das Gefühl, es sei weniger der Schmerz, den die rasiermesserscharfen Krallen in dessen Rücken verursachten, sondern die plötzliche Erkenntnis, dass das Leben in diesem Augenblick vorbei war, die den Fuchs aufheulen ließ.
Dann erinnerte er sich an ein altes Schwarz-Weiß-Foto, das er einmal in einer Illustrierten in den frühen achtziger Jahren gesehen hatte. Vor einem Modegeschäft in Paris steht eine kleinwüchsige, völlig verwachsene, bucklige Frau in einem dunklen Regenmantel und schaut zum Schaufenster empor, in dem ein wunderschönes Hochzeitskleid ausgestellt ist. Sie wird es nie tragen, weil es viel zu lang und viel zu teuer ist. Er sah ihr Gesicht nicht, er sah nur ihren Rücken. Und in diesem Augenblick, in dem sie sehnsüchtig hinauf schaut ins gleisende Glück dieses prachtvollen, unerreichbaren, weißen Kleids, ist so viel Größe, Würde und Kraft, dass er auch jetzt wieder Tränen in den Augen hatte.
P.S.: „Luftmensch“ ist ein Begriff aus der jiddischen Sprache und bedeutet: träumerische Person, die keinen Beruf hat und kein Geschäft oder Einkommen besitzt.
Oskar – Ich mag Müll. https://www.youtube.com/watch?v=HoYuuWdD3aY

Sonntag, 17. Januar 2016

Das letzte Tabu: Sex mit Möbeln

Beate Uhse meets IKEA.
Neugierig geworden?
Schwein.
Weiter geht’s mit:
Blogstuff 19
“Merkwürdig: Wenn es ums Sterben geht, wollen plötzlich alle als Letzter über die Ziellinie.” (Lupo Laminetti)
Früher habe ich mich über die Werbung für Penisverlängerungen in meinem Postfach geärgert, jetzt bekomme ich die Reklame einer Treppenlift-Beratung und bin einfach nur deprimiert.
Hätten Sie’s gewusst? Der Hollywood-Star Tom Cruise heißt eigentlich Thomas Kruse und ist aus Heilbronn.
Er kam von der Arbeit nach Hause wie ein Besiegter.
Wir töten nicht, weil wir die Konsequenzen fürchten.
Sachbuchtipp: „Volle Lotte – die Geschichte der friesischen Behelfsgastronomie im 19. Jahrhundert“ von Johann Ungericht.
Superman und Spiderman gibt es immer noch, aber was wurde eigentlich aus Lolek und Bolek?
Früher gab es Peter Gabriel, jetzt haben wir nur noch Sigmar Gabriel. Und Gunter Gabriel im „Dschungelcamp“. Was für eine armselige Welt, in der wir leben müssen.
Die Kreidefelsen auf Rügen: Als hätte man einen Käsekuchen angeschnitten.
Am 1. April wird in Monte Carlo ein bedingungsloses Grundeinkommen von 6.000 Euro eingeführt. Außerdem kann man sich einmal in der Woche bei der Tafel kostenlos Champagner abholen.
Das helle Kreischen des einfahrenden Zuges erinnerte ihn an den klagenden Ton eines Möwenschwarms.
Ihre Augen waren riesig, wie bei einer Comic-Figur. Und ihre Lippen waren auf groteske Weise signalrot. „Es ist kalt geworden“, sagte sie und zog den Hals ein, während sie sich die Hände rieb, so als ob sie die Banalität ihrer Aussage noch pantomimisch unterstützen müsste.
Autor, Schriftsteller, Dichter, Literat, Satzbauer, Lautmaler, Wortakrobat, Sprachkünstler – für diesen Job gibt es eine Menge Namen.
Hätten Sie’s gewusst? Erst im Jahre 1833 wurde in Deutschland endgültig die Leibeigenschaft aufgehoben. Als letzter Staat folgte das Königreich Hannover, das nur von 1814 bis 1866 existierte, den anderen deutschen Staaten. Das Großherzogtum Hessen, zu dem meine Heimatstadt Ingelheim am Rhein gehörte, beendete die Leibeigenschaft am 13. Juli 1813. In Preußen, zu dem Schweppenhausen gehörte, wurden die Menschen am 11. November 1810 befreit.
Jetzt exklusiv im Kiezschreiber-Blog: Alle Transfergerüchte zum Bundesliga-Rückrundenstart!
Fachfrage für Kenner: Ist es in Nordisland eigentlich kälter als in Südisland?
Die Autobiographie von Johnny Malta ist jetzt unter dem Titel „Just another teenage rebel“ auch auf Englisch erschienen.
Werbung: Bonetti Enterprises Ltd. möchte Sie an dieser Stelle auf eine vorzügliche Möglichkeit zur Investition Ihres Jahresbonus hinweisen. Haben Sie schon einmal über Schiffsbeteiligungen nachgedacht? Die SMS Bad Nauheim hat eine Länge von über zweihundert Ellen und wird von kräftigen jungen Galeerenpraktikanten angetrieben …
The Gun Club - Brother and Sister. https://www.youtube.com/watch?v=J1yNuta9uk8

Samstag, 16. Januar 2016

69 ist das neue 27

„Ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt.“ (Hölderlin: Hyperion)
Früher starben ja viele Stars wie Amy Winehouse, Jim Morrison, Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Curt Cobain mit 27. Jetzt sterben sie mit 69: Achim Mentzel, David Bowie, Alan Rickman. Lemmy Kilmister starb nur wenige Tage nach seinem 70. Geburtstag, als praktisch auch mit 69. Vielleicht hat man ihn ja einfach nur später gefunden?
Jetzt frage ich mich natürlich: Wer ist noch 69? Wer stirbt als nächstes? Die Antwort wird Sie (hoffentlich) freuen: His Hairness Donald Trump.
Howard Carpendale wurde am 14. Januar siebzig. Glück gehabt (obwohl: unverdient)!
Wer gehört zum noch 69er-Club?
Udo Lindenberg
David Lynch
Bernd Hölzenbein
Liza Minelli
Chris Roberts
David Gilmour
Ed O’Neill (aka Al Bundy)
Cher (teilweise)
Barry Manilow
Stefan Aust
George W. Bush
Sylvester Stallone
Mireille Mathieu
Bill Clinton
Henryk M. Broder
Tommy Lee Jones
Steven Spielberg
Berti Vogts
Reichlich Arbeit für den großen Schnitter. Dazu ein kleines Gedicht:
Bitte, lieber Sensenmann,
Nimm Donald Trump als nächsten dran.
Den Rest erledigst du später.
Großstadtgeflüster – Fickt-Euch-Allee. https://www.youtube.com/watch?v=kPMRkQK2szI

Freitag, 15. Januar 2016

Preisrätsel der Woche

Wir suchen einen Schriftsteller, der als Marineattaché an der tschechischen Botschaft in Covent Garden, London, gearbeitet hat. 1997 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband „Podivný Okurka a černá Marnost“ („The long story of my short life“). Die berüchtigte Bonetti Mockery Unit zog ihn damals gnadenlos durch den Kakao. Kennen Sie seinen Namen? Dem Gewinner des Preisrätsels winkt eine Einladung nach Bonetti Castle in den hessischen Highlands. Sie werden eine Privataudienz bei Meister Bonetti bekommen und die Gelegenheit haben, mit dem Grandseigneur der deutschen Trivialliteratur eine Tasse Earl Grey zu trinken.
Ideal – Schwein. https://www.youtube.com/watch?v=dkNa-yke21w&index=2&list=PLpKx6HYPySaQvpme8jNQx8EzlDOScrj3u

The Great Antikmöbel Swindle

„Der Unternehmer ist ein moderner Alchimist, der aus dem Schweiß der Armen Gold und Geschmeide machen kann.“ (Lupo Laminetti)
Es ist viele Jahre her, ich war noch ein junger Geschichtenerzähler und lebte in Wichtelbach. Es muss zur Zeit von Helmut I. gewesen sein, der auch als Helmut der Selbstgerechte bekannt war, und auf den Helmut II. folgte, Helmut der Schwere. Gelegentlich hatte ich in der großen Stadt zu tun, stöberte durch die Geschäfte, besuchte alte Studienfreunde und trieb in den Schänken allerlei Unfug.
Und so begab es sich, dass ich eines Abends am Tresen mit einem Zahnarzt ins Gespräch kam, der – selbstverständlich mit allem Wohlstand ausgestattet, der Zahnärzten zu eigen ist – mich fragte, ob ich in meinem Dorf nicht einen Bauern kennen würde, der mir einen alten Sessel verkaufen könnte.
„Nichts leichter als das“, antwortete ich ihm frohgemut. „Ich besitze selbst einen Sessel, in dem schon mein Ururgroßvater gesessen hat. Die Ahnen meiner Ahnen haben bereits dieses wunderbare Stück besessen und es durch alle Fährnisse der Zeiten, durch alle Kriege und Feuersnöte hindurch gebracht“, fabulierte ich munter drauf los.
Der Wein hatte mir die ohnehin lockere Zunge gelöst und alsbald fand ich mich mit diesem Zahnarzt in ernsthaften Verhandlungen über den Preis. Ein solches Erbstück ist eigentlich unverkäuflich, es gehört zur Familie und wie könnte ich mich von ihm trennen, anstatt es dereinst meinen eigenen, noch ungeborenen Kindern zu vererben. Unter dreitausend Mark war nichts zu machen. Mein allerletztes Angebot.
Ich schwöre es beim Glasauge meiner Großmutter: In der darauffolgenden Woche holte er den mottenzerfressenen Sessel, den ich mir ein Jahr zuvor beim örtlichen Sperrmüll besorgt hatte. Und ich hatte natürlich Lunte gerochen. Aus meinem Wohnzimmer war der ganze andere Sperrmüll- und IKEA-Ramsch verschwunden. Dafür lehnte malerisch ein altes Wagenrad an der Wand, ein Dreschflegel und ein Kummet zierten die Wände und allerlei antiker Flohmarkttinnef wie alte Apothekerfläschchen und blau bemaltes Steingut standen in den Regalen.
Der Zahnarzt war begeistert. Und weil ich ein guter Geschichtenerzähler bin, gab es zu jedem Stück auch eine schöne Geschichte. Ein Salzfässchen hatte eine nicht unbeträchtliche Rolle in der unglücklichen Liebesgeschichte einer Baroness gespielt, eine Tabaksdose hatte zur Kaiserzeit einem Mordopfer gehört. Er versprach, am nächsten Wochenende mit Freunden wiederzukommen.
Und so begann das einträgliche Geschäft. Ich kaufte den Wichtelbacher Bauern ihren Trödel ab, leerte die alten Scheunen und brachte frisches Geld ins Dorf. Die reichen Stadtmenschen kauften mir die antiken Stücke ab, um die sich – im Gegensatz zur Fabrikware in den Geschäften – immer so herrlich pittoreske Geschichten rankten. Und als die alten Möbel des Dorfes verhökert waren, ließ ich von einem befreundeten Tischler neue Möbel anfertigen, neue Dreschflegel und Wagenräder, denen er mit geschickter Hand Patina verlieh.
Leider haben die jungen Leute ja heutzutage keinen Geschmack mehr.
The Muppets - Bohemian Rhapsody. https://www.youtube.com/watch?v=T5ZU3TGf7Iw

Donnerstag, 14. Januar 2016

Hall of Fame

„Sehr geehrter Herr Pantoufle,
im Namen der Bonetti Empty Promises Ltd. darf ich Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, dass Sie in unsere Blogroll aufgenommen wurden. Sehen Sie es als Zeichen unserer Wertschätzung für Ihre bisherige Arbeit und nehmen Sie es als Ansporn, endlich die Themen “Transfergerüchte in der Fußballbundesliga” und “Achim Mentzel – Wie starb er wirklich?” in Ihrem Blog zu bearbeiten. Da es in der Blogroll nur fünf Plätze gibt, muss ich tikerscherk leider mitteilen, dass sie ihren Platz räumen musste.
His Awesomeness Johnny Malta“


The Hall of Fame
Kiezneurotiker
Studio Glumm
Schrottpresse
LandLebenBlog
Leo/Gutsch

Mike Batt - Whispering fools. https://www.youtube.com/watch?v=-RFJ-Wk1bfg
Die ganze Platte – eine Dystopie aus den frühen Achtzigern – finde ich sehr gut:
https://www.youtube.com/watch?v=qLW91ZF96ms
P.S.: Herzliche Grüße an die Prospects Ackerbau in Pankow, Annika, dergl, Fefes Blog, Feynsinn, Was weg muss und Zurück in Berlin.

My two cents

“American jazz, Hollywood movies, American slang, American machines and patented products, are in fact the only things that every community in the world, from Zanzibar to Hamburg, recognizes in common.” (Henry Luce: The American Century, 1941)
Mir ist es an Weihnachten aufgefallen. Ihnen natürlich nicht, deswegen erzähle ich es ja. Nach dem gemeinsamen Essen rund um das Raclette-Gerät ---
Seit wann genau stehen eigentlich Küchengeräte beim Essen auf dem Tisch? Und wieso wird aus einem Festessen mit der Familie eine profane, um nicht zu sagen hundsgemeine Do-it-yourself-Angelegenheit, wo alle ständig in irgendwelchen Schüsseln rumgrabbeln, Pfännchen beobachten, sich kreuz und quer Teller voller Käse und Schinken reichen, als wäre ich bei den Scheiß-Waltons gelandet, und noch nicht einmal ein banale Plauderei zustande kommt, weil man ja permanent abgelenkt wird? Bin ich bei OBI oder IKEA? Und da sind wir ja schon genau beim Thema, aber ich wollte anders anfangen ---
Nach dem Essen an Heiligabend führt uns die Tochter des Hauses ihr schwarzes Ballkleid vor. Sie macht dieser Tage ihr Abitur und danach soll es im März eine rauschende Ballnacht geben. Das ist – wie ich als kinder- und ahnungsloser Waldschrat erfahre – inzwischen so Sitte in Deutschland. Wir kopieren den High School-Abschlussball der Amerikaner, „Prom“ genannt. Grandpa Simpson erzählt der jungen Dame, wie das Abitur 1985 lief: Vormittags eine kurze Veranstaltung in der Schule (die auch deswegen so kurz war, weil Grandpa Simspon die versprochene Abi-Rede seines Jahrgangs nicht gehalten hat), man bekommt das Abschlusszeugnis in die Hand gedrückt, geht mit seinen Kumpels zur nächsten Tankstelle, requiriert ein paar Sixpacks, besäuft sich auf einer Parkbank, macht abends mit den anderen Abiturienten eine Grillparty auf einer Wiese, besäuft sich weiter, kotzt in den Kartoffelsalat und ist anschließend erwachsen.
Es sind ja nicht nur die amerikanischen Worte, mit denen unsere Sprache inzwischen durchsetzt ist, sondern auch die Sitten und Gebräuche, die unser Verhalten prägen. Besagte junge Dame sagt zum Beispiel ständig „O my god“ in diesem theatralischen Tonfall, den ich gar nicht nachmachen kann. Wir haben das schöne Wort „Scheiße“ für solche Fälle – nicht mehr gut genug, oder was? Oder der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie Freundschaft und Liebe, obwohl wir Deutschen doch bekanntlich etwas kühler und zurückhaltender mit unseren Gunstbezeugungen sind, die aber – wenn sich denn kommen – auch ehrlich gemeint sind. Wir haben bei Facebook oder generell im Internet keine Freunde, wir haben Bekannte. Und wie brüchig diese Bekanntschaft ist, zeigt sich sehr schnell, wenn man nur ein einziges Mal unterschiedlicher Meinung ist. Man kennt oft weder Namen noch Adressen seiner virtuellen Freunde, man hat ihnen noch nie die Hand gegeben. Und Liebe ist offensichtlich etwas, was der amerikanisierte Mensch schon einem lauwarmen und klebrigen Stück Nahrungsmittelsurrogat entgegenbringt. „Ich liebe es“ – so lautet der Werbespruch der Fressbudenmafia aus Amerika. „Ich liiiebe Schokopudding“ plärrt es aus der jungen Dame.
Selbst diejenigen, die gerne die amerikanische Politik kritisieren, untergraben fleißig die eigene Kultur. Man kann ja durchaus alles beschissen finden, was aus Deutschland kommt. Geht mir auch oft so. Aber warum nehmen wir uns nicht wenigstens ein paar neue Vorbilder? Von den Spaniern die Siesta, von den Franzosen das ausgiebige Kochen mit frischen Zutaten, von den Griechen das Feiern mit Freunden und Familie? Was hat uns Indonesien zu bieten? Was können wir von den Peruanern lernen? Warum feiern wir statt Halloween nicht am 24. Juni Inti Raymi, das alte Sonnenwendfest der Inkas, bei dem wir aus den Eingeweiden eines weißen und eines schwarzen Lamas die Zukunft lesen? Ich bin dabei.
Stevie Nicks - Stand Back. https://www.youtube.com/watch?v=7VU-42MGKb0

Demnächst an Ihrem Kiosk

Risco Tanner, Privatdetektiv.
Die neue Serie von Andy „Content Machine“ Bonetti.
Nervenkitzel hat einen Namen und eine Hausnummer.
Von Ihrem Discount-Autor frisch auf den Tisch.
Jeden Dienstag eine neue Ausgabe am Kiosk um die Ecke.
Band 1: „Glanz und Elend der Sultaninen“.
Spitzbuben, aufgepasst! Hier kommt Risco Tanner.
Martha & The Vandellas - Dancing In The Street. https://www.youtube.com/watch?v=RGpgkCE41x8

Mittwoch, 13. Januar 2016

Blogstuff 18

„Eine Wahrsagerin legte mir die Karten. Aber alle Karten waren weiß.“ (Lupo Laminetti: Ich spreche in Rätseln)
Ein bisschen Akupunktur von den Chinesen, ein bisschen Yoga von den Indern, ein bisschen Zen-Buddhismus von den Japanern, dazu eine Dosis Schamanismus von den Indianern, ein magisches Amulett aus Afrika und ein Didgeridoo von den Aborigines – wir nutzen die Kulturen dieser Welt wie einen Supermarkt, wir plündern selektiv die spirituellen Bestände anderer Völker für unseren oberflächlichen Narzissmus, für irgendwelche Albernheiten, die wir mit Etiketten wie „Sinn“, „Glück“ oder „Erfüllung“ versehen. Wir kriegen wirklich alles kaputt, jeder von uns auf seine Weise – ob als Unternehmer oder Politiker, ob als Konsument oder Sinnsucher.
Wir schlagen keine Wurzeln im Raum wie Bäume, aber Wurzeln in der Zeit. Wenn es ein Problem gibt, dessen tiefere Ursachen wir erkennen wollen, müssen wir nur in der Zeit zurückgehen.
Hätten Sie’s gewusst? 1956 wurde bei der Deutschen Bundesbahn die Zweiklassengesellschaft eingeführt. Zu Beginn gab es noch drei Klassen, in Preußen sogar vier Klassen. U- und S-Bahnen gehören zu den klassenlosen Gesellschaften.
Das Bürogebäude der Zukunft: Unter einer gigantischen Glaskuppel sind Arbeits- und Besprechungsräume, ebenfalls aus Glas, aber nach oben offen wie ein Kelch. Diese Räume sind durch schmale lange Glasbrücken miteinander verbunden.
Der Spiegel ist eine ungewöhnliche Erfindung. Aber niemand spricht darüber, obwohl diese Innovation viel über unsere Eitelkeit aussagt. Warum haben wir das Bedürfnis, uns selbst zu betrachten? Seine Geschichte reicht ins Mesopotamien des dritten Jahrtausends vor Christus zurück, die Spiegel bestanden damals aus polierter Bronze. Seit fünftausend Jahren gibt es Spiegel, sie gehörten zur Grundausstattung wohlhabender Frauen in der Antike. In Rom entstanden bereits im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung die ersten Spiegel aus Glas, wie wir sie heute kennen.
Die summenden Kabel, in denen Millionen Stimmen wispern.
Natur? Ich bitte Sie, wir haben doch „Landschaftsarchitekten“. Wo bleiben denn die Buschmacher und Baumschlosser?
Die als Stilmittel der Ironie gebrauchten Anführungszeichen sind, nach Victor Klemperer, ein Element der Lingua Tertii Imperii, der Sprache des Dritten Reiches. Man sollte also bei ihrem Gebrauch vorsichtig sein, um nicht den Ludergeruch des Faschismus … - Sie verstehen? Wussten Sie eigentlich, dass Adolf Hitler ständig Schuhe getragen hat? Es gibt kein einziges Foto, das ihn in Socken, Badelatschen oder gar barfuß zeigt. Seien Sie also Menschen in Schuhen gegenüber ebenfalls vorsichtig. Ein Schnürsenkel kann auch eine Waffe sein …
Weil er in der Nahrungskette bzw. Ausbeutungspyramide weit oben steht, ist der Deutsche zufrieden. Symbol dieses feisten und widerwärtigen Selbstbewusstseins ist Sigmar Gabriel.
Rezept: Falscher Sellerieauflauf auf altkatholische Art. Man nehme zwei Wiener Würstchen …
Es gibt Fluchthelfer und Flüchtlingshelfer. Die einen sind die Guten, die anderen die Bösen.
Schminke und Wet-Gel fallen doch unter die Kategorie Hohlraumversiegelung, oder?
Wir spielen vor anderen Menschen immer wieder den anständigen Bürger. Am deutlichsten wird dieses Schauspiel, wenn wir an der Fußgängerampel neben einem kleinen Kind stehen und ihm beweisen wollen, wie artig wir auf das grüne Licht warten können.
Warum sind in Deutschland die Banken systemrelevant – und nicht die Kinder?
Werbung: Sie möchten auch so schreiben können wie Andy Bonetti? Das ist überhaupt kein Problem. Ab nächsten Monat gibt es auf RTL II jeden Samstagabend „The Andy Bonetti Nitty Gritty Show“, die live aus Bad Nauheim übertragen wird und Ihnen die wesentlichen Eigenschaften, die Sie für eine Karriere in der Weltliteratur benötigen, spielerisch vermittelt. Mit großer Tombola!
Leider kein Witz, Stichwort Klimawandel: In Wiesbaden ist es inzwischen so warm, dass die Störche im Winter nicht mehr nach Afrika fliegen. Dutzende Paare überwintern seit einigen Jahren am Rhein.
Die Zeit ist vorbei, in der Briefmarkensammlungen noch eine Rolle in humoristischen Szenen spielten („Klimbim“), heute lachen die Menschen über Begriffe wie „Rosettenhengst“ („South Park“).
Sie wollen wissen, wann der Weltfrieden ausbricht? Wenn „Anatevka“ in Teheran aufgeführt wird.
Über zehn Jahre alt, aber immer noch aktuell: „Arschlochalarm!“ von Tom Schimmeck: http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/09/17/a0015
Green Day - Wake Me Up When September Ends. https://www.youtube.com/watch?v=GKLntE2Y9dQ

In Memoriam Achim Mentzel

„Das Leben ist im Kleinen absurd und im Großen und Ganzen sinnlos.“ (Johnny Malta)
Fans in aller Welt sind erschüttert. Die Musikwelt hält den Atem an. Achim Mentzel ist tot. Lemmy, Bowie, Mentzel – Hört das denn nie auf? Wen verlieren wir als nächstes? Peter Maffay? Die Spider Murphy Gang?!
Der unsympathische Gebissträger wird am 13. April 1921 unter dem Namen Slatko Kuttelmacher im schlesischen Smhnsk geboren. Sein Vater verlässt seine Mutter direkt nach dem Schwangerschaftstest und wandert nach Uganda aus. Mentzels Mutter, Mandy Kuttelmacher, heiratet einen Andy Mentzel und heißt fortan Mandy Mentzel. Sie schlägt sich in den folgenden Jahren in der bulgarischen Indie-Rock-Szene durch. So kommt der kleine Achim, wie er sich seit seinem ersten Auftritt im Gemeindezentrum Bad Hindelang nennt, zur Musik. Er tritt nicht nur als Musiker in Erscheinung, sondern erlangt auch als Schauspieler Weltruhm. „Mentzel in Black“, „Mentzel Reloaded“ und „Achim Balboa“ heißen die Filme, die wir alle kennen.
Was nur wenige wissen: in den achtziger Jahren lebte Achim Mentzel zusammen mit Iggy Pop und den Jakob Sisters in Berlin-Schöneberg. In dieser Zeit komponierte er auch den Soundtrack zu „Wir Kinder vom Bahnhof Köln“. Achim Mentzel bekannte sich offen zu seinem Mundgeruch und seiner Bisexualität. Er war abwechselnd mit Mick Jagger und Bianca Jagger verheiratet. Zusammen mit Grace Jones nahm er 1989 den Welthit „Ebony and Ivory“ auf, der bekanntlich zum Fall der Berliner Mauer führte. In diesem Zusammenhang wurde er von David Hasselhoff verklagt. Man einigte sich auf ein Unentschieden. Teile der Mauer sind darum bis heute erhalten. Achim Mentzel starb an einem Fischbrötchen. Wir sind alle tief bewegt. Sehr tief.
Thee Flanders feat. Achim Mentzel - Enjoy the Silence. https://www.youtube.com/watch?v=LrhltYG6pas