Mittwoch, 30. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 6, Szene 3
Marion Sutter, Walter Busch und die Empfangsdame saßen an einem Esstisch in Klein-Machnow. Der Tisch war Teil der Einrichtung einer Musterwohnung in der Stadtrandsiedlung, die eigentlich schon zu Brandenburg gehörte.
Die neue Chefin der Berliner Maximum-Dependance lächelte eine wenig zu lang und zu oft, als ob sie sich schon eine Million Mal gesagt hätte: „Lächeln!“ Aber es blieb ihr auch nichts anderes übrig. Psychologisch betrachtet ist unsere Arbeitswelt nichts anderes als eine Reise nach Jerusalem. Wer die Nerven verliert, wer zusammenbricht oder durchdreht, verliert seinen Platz.
Die Büros lagen immer noch in Trümmern, allerdings hatte die Polizei den Schauplatz des Anschlags inzwischen frei gegeben. Ihre Privatwohnungen waren nach dem gescheiterten Angriff des österreichischen Killerkommandos auf Gruschenko und seine Leute bis auf weiteres ein eher ungünstiger Aufenthaltsort. Lars Buchholz, ihr Mitarbeiter, hatte per SMS gekündigt und war bereits auf dem Weg nach Westdeutschland. Die Immobilienbranche boomte gerade in Deutschland, Sachwerte waren in Zeiten der Wirtschaftskrise immer gefragt. Buchholz würde schnell eine andere Arbeit finden. Den Verlauf der Aktion von Derfflinger und Swoboda hatte sie sich aus dem Internet zusammen recherchiert. Hasso Otzenköttl, der oberste Chef der Maximum AG, war sicher auch schon informiert. Also versuchte sie, Business as usual zu machen. Die Geschäfte mussten weiterlaufen. Ihre Gehälter waren von der Rendite abhängig, die sie erwirtschafteten. Ohne Bonuszahlungen konnte sich keiner von ihnen seinen derzeitigen Lebensstil leisten.
„Diese Kretins mit ihrem Gentrifizierungsgeschrei, die haben doch keine Ahnung, was wir für diese Stadt tun. Mit unserem Kapital werten wir herunter gekommene Stadtteile auf, wir erneuern die Stadt, wir lassen die hässlichen Narben von Krieg und Teilung verschwinden. Wer, wenn nicht die privaten Investoren? Wie würde der Prenzlauer Berg heute aussehen? Die herrlichen Altbauten wären endgültig verfallen, Verwahrlosung und Kriminalität wären die Folge. Der Staat hat sich längst aus dem Wohnungsbau zurückgezogen, wir bauen neue Wohnungen für junge Familien. Will man uns ernsthaft vorwerfen, dass wir die derzeitigen Mieten und Kaufpreise am Markt erwirtschaften?“
Busch, der alte Kämpe, pflichtete ihr bei. Auch er wollte nicht über die vergangenen Ereignisse sprechen. „In Berlin gibt es immer noch zu viele sozialistische Traumtänzer. Die Preise entstehen auf dem Markt, nicht an der Wahlurne oder in der Bürokratie. Diese Stadt wäre ohne den permanenten Kapitalzufluss von außen schon längst verrottet. Und Ost-Berlin zuerst. Zu DDR-Zeiten hat man ganze Stadtviertel wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain aufgegeben, wir haben ihnen wieder Leben eingehaucht. Oder gefällt es diesen Salonbolschewisten nicht, dass wir Marmorbäder und Aufzüge einbauen? Wer im Dreck sitzt, hat wohl immer Recht!“
„In Neukölln müssen wir anders vorgehen. Da setzen wir gleich Security ein, damit uns die paar Spinner nicht die Käufer und die Mieter verscheuchen. Auch die größeren Baustellen müssen wir sichern. Die halten sich wohl für die Kiezpaten, die uns erzählen wollen, wo und wie wir unser Eigentum sanieren dürfen. Wenn wir solche Typen unter den Altmietern haben, werden die konsequent entsorgt. Strom und Wasser abstellen, Handwerkerbesuche – das ganze Programm.“
„Jawohl, Frau Sutter. Notfalls setzen wir erst einmal Polen in die Wohnungen.“
„Ich habe nichts gegen Polen. Die Polen sind so, wie wir uns die Türken immer gewünscht haben: unauffällig und fleißig. Aber wir brauchen diesen Standort unbedingt. Der stillgelegte Flughafen in Tempelhof ist der größte zentrale Entwicklungsschwerpunkt in dieser Stadt. Hier sind gigantische Wertsteigerungen zu erwarten, das wird der Central Park von Berlin werden.“
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