Samstag, 26. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 2, Szene 2
Kommissar Leber war ein großer Freund des Umweltschutzes und der technischen Innovation im operativen Einsatz der Kriminalpolizei. Daher hatte er es auch vehement begrüßt, als vom Polizeipräsidenten elf Elektrofahrzeuge beschafft wurden. Möglicherweise war diese unbedacht geäußerte, überschwängliche Freude die Ursache für seine momentane Situation: zusammengepresst auf dem Beifahrersitz eines Smart rollten Leber und sein Assistent Laschka in der Max-Eyth-Straße in Dahlem ein. Zwischen den teuren Zweitwagen, die am Straßenrand geparkt waren, kam er sich richtig mickrig vor. Nachdem er sich auf dem Bürgersteig wieder zu voller Größe entfaltet hatte, betrachtete der Kommissar die Villa. Hier hatte das Opfer des Brandanschlags also gelebt.
Er hatte bereits am Morgen, als er sein Büro betreten hatte, die nötigen Informationen auf seinem Schreibtisch gefunden. Der ausgebrannte Porsche Cayenne war auf den Namen Hubert Altmann gemeldet gewesen. Laschka hatte daraufhin bei Altmanns angerufen und wurde von der Ehefrau informiert, ihr Mann sei seit dem gestrigen Morgen nicht mehr zu Hause gewesen. Die identifizierbaren Überreste in der Brieftasche des Opfers ließen sich Altmann zuordnen, zusätzlich wurden die Befunde von Altmanns Zahnarzt mit den Zähnen des Opfers verglichen. Noch im Schlafanzug hatte der wackere Dentist die Daten in seiner Privatwohnung online überprüft und die Identität seines Patienten bestätigt. Dazu hatte das Opfer einen Ehering mit der Gravur „Elke und Hubert, 1. August 1972“ getragen. Altmann hieß Hubert mit Vornamen, seine Frau Elke, geborene Wagner.
Das alles ging in Windeseile, denn der Polizeipräsident war so zornig, dass Leber diesen Zorn noch durch den Filter der diversen Hierarchieebenen spüren konnte. Seit Monaten brannten Autos in dieser Stadt, längst war die Brandserie ein bundesweites Thema und es wurde öffentlich darüber spekuliert, ob die Berliner Polizei das Problem überhaupt alleine in den Griff bekommen konnte. Aber jetzt hatte er das Untersuchungsergebnis. Ein Lob der Technik, diesmal hoffentlich ohne böse Folgen. Jedenfalls wusste Uwe Leber an diesem Nachmittag, wer das Opfer war. Nun stand er vor der hellgrauen Fassade der Villa und dachte, dass es bei dieser Sache mit Sicherheit um Geld gegangen war. Die Fesseln des Opfers deuteten auf eine Entführung hin, dass hätte ihm jeder Grundschüler sagen können.
Er klingelte am Gartentor, wartete auf das elektrische Summen und betrat mit Laschka das ausgedehnte Grundstück. An der Haustür stand eine hochgewachsene Dame um die fünfzig, die Wangen dezent gepudert und mit einem Hauch Rouge versehen.
„Sie müssen Kommissar Leber sein. Guten Tag.“
„Guten Tag, Frau Altmann. Das ist mein Assistent, Herr Laschka.“
„Sehr angenehm. Kommen Sie doch rein.“
Sie führte die beiden Kriminalbeamten in einen großen hellen Raum, der mit schneeweißen Ledersofas und Sesseln gefüllt waren. Leber war froh, dass er in der sommerlichen Hitze nicht Mantel und Hut ablegen oder einem Hausangestellten übergeben musste. Er fühlte sich in diesen großbürgerlichen Behausungen nicht wohl, zumal deren Bewohner einen verhängnisvollen Hang zu leichtfertig eingereichten Dienstaufsichtsbeschwerden hatten.
Dieser Moment war für den Kommissar der schlimmste Teil seines Berufsalltags, denn er konnte mit den Gefühlen anderer Menschen nicht sonderlich gut umgehen. Insbesondere, wenn es sich bei diesem anderen Menschen um eine Frau handelte.
„Frau Altmann, leider haben wir keine guten Nachrichten für Sie.“ Blöder Anfang, aber die Angehörigen ahnten ja meistens schon, was kommen würde. Wenn jemand von der Lottogesellschaft vor der Tür steht, ahnt man es ja schließlich auch.
„Ist meinem Mann etwas zugestoßen?“ Sie wirkte ganz ruhig und gefasst.
„Ihr Mann ist beim Brand seines Fahrzeugs ums Leben gekommen. Mein herzliches Beileid, Frau Altmann.“ Leber legte die professionelle Anteilnahme eines Bestattungsunternehmers in den letzten Satz. Sein verständnisvoller Blick hätte in diesem Augenblick die Seele eines Investmentbankers berührt und sein Herz erweicht. Leber hatte ihn in langen und schmerzvollen Ehejahren erlernen müssen.
„Wissen Sie, wie das passieren konnte?“ Frau Altmann wirkte etwas zu gefasst.
Leber blickte kurz zu Laschka hinüber, der aber mit seinem iPad beschäftigt war. Wieder die moderne Technik – hoffentlich gingen die Notizen seines Assistenten nicht irgendwann einmal im digitalen Orkus verloren.
„Ihr Mann war zum Tatzeitpunkt gefesselt. Wir können daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Entführung nicht ausschließen.“ Leber tastete sich mit der Vorsicht eines Spinnenmännchens weiter.
„Eine Entführung?“ Frau Altmann schien ehrlich verblüfft.
„Ja. Haben Sie gestern irgendwelche Anrufe bekommen?“ Leber würde sicher die Genehmigung bekommen, die Anrufe im Hause Altmann und auf Frau Altmanns Mobiltelefon überprüfen zu lassen. Vorläufig genügte ihm Frau Altmanns Anblick bei seinen Fragen.
„Sie meinen, Lösegeldforderungen oder etwas in dieser Art?“ Sie versuchte zu lächeln, aber es misslang ihr völlig.
Wenn diese Frau erpresst wurde und geglaubt hatte, sie könne die Geldübergabe oder die weiteren Verhandlungen ohne die Polizei durchführen, dann war sie eine großartige Schauspielerin.
„Sie wissen also nichts von einer möglichen Entführung oder Erpressung Ihre Mannes?“
„Nein“, Frau Altmann schüttelte ungläubig den Kopf. „Mein Mann leitet ein Unternehmen, das Immobilien entwickelt. Ich kann mir gar nicht vorstellen …“ Sie brach mitten im Satz ab und schüttelte wieder den Kopf.
Leber betrachtete eine gerahmte Fotografie, die auf einer Biedermeierkommode stand: Frau Altmann und ihr verstorbener Mann. Er wirkte wie eine selbsternannte Majestät im Maßanzug: hochgewachsen, mit feinen Gesichtszügen und zurück gewandertem eisengrauen Haaransatz.
„Aufgrund der Indizien müssen wir von einem Gewaltverbrechen ausgehen, dem Ihr Mann zum Opfer fiel. Das war nach unseren Erkenntnissen kein normaler Unfall. Hatte Ihr Mann Feinde, Frau Altmann?“
„Wir haben Geschäftsfreunde, wir haben seriöse Kunden, aber wir haben keine Feinde. In solchen Kreisen verkehren wir nicht. Mein Mann hat nichts unrechtes getan.“ Sie blickte dem Kommissar fest in die Augen.
Leber erkannte die Gefahr sofort. „Natürlich ist Ihr Mann das Opfer einer Straftat und keinesfalls verdächtig, das müssen Sie mir glauben. Wir versuchen nur, die Hintergründe der Tat zu klären und fragen uns, wer ein Motiv haben könnte, ihren Mann zu entführen oder ihn zu töten.“
Frau Altmann schwieg einige Sekunden und blickte zu Boden. „Da fällt mir wirklich niemand ein. Aber wenn es etwas mit seinen Geschäften zu tun hat, dann sprechen Sie am besten mit seinen Leuten bei der Maximum AG. Haben Sie die Adresse?“
„Ja haben wir bereits.“ Leber schaute wieder zu Laschka hinüber, der eifrig mitschrieb. „Dann möchten wir Sie in dieser schweren Stunde auch nicht weiter mit Fragen belästigen. Falls Ihnen noch etwas einfallen sollte, rufen Sie mich doch bitte an.“
Der Kommissar war schon aufgestanden und auf dem Weg zur Tür, als Frau Altmann leise fragte: „Muss ich meinen Mann im Leichenschauhaus identifizieren?“
„Nein, da kann ich Sie beruhigen. Wir warten den DNA-Test ab, das dauert mehrere Tage. Die Identifikation nehmen wir über die Papiere und persönliche Gegenstände vor. Das wird also nicht nötig sein.“
Leber hinterließ eine Visitenkarte und verließ mit Laschka die Villa Altmann.
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