Mittwoch, 25. Februar 2015
Schweigepresse
Es ist in letzter Zeit häufig von der „Lügenpresse“ gesprochen worden. Der Ausdruck trifft den Sachverhalt nicht richtig. Es werden keine Unwahrheiten verbreitet, sondern einseitige Betrachtungsweisen. Es ist beschämend genug, dass sich CDU und SPD, dass sich Regierung und Opposition im Bundestag etwa so unterscheiden wie Ariel und Persil. Aber dass wir in der Presse von BILD bis SPIEGEL, dass wir von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bis zu den Privatsendern mit einem faden Einheitsbrei abgespeist werden, ist ein Armutszeugnis für diese Republik.
Und manche Informationen, die nicht ins beschränkte Weltbild der zahnlos gewordenen „vierten Gewalt“ passen, bekommt die Öffentlichkeit erst gar nicht präsentiert. Zumindest nicht in Deutschland. Hier ein aktuelles Beispiel:
Der ukrainische Präsident Poroschenko hat gerade - gemeinsam mit Putin, Merkel und Hollande - eine Waffenstillstandsvereinbarung unterzeichnet („Minsk II“). Gestern besuchte er die IDEX, eine Waffenmesse, in Abu Dhabi. Dabei traf er sich mit hochrangigen arabischen Politikern und bestellte neue Waffen für seine Armee. Der Deal läuft so: Amerikaner, Deutsche, Franzosen und andere westliche Staaten verkaufen den Arabern Waffen, die sie an die Ukrainer weiterliefern. So wird über Bande der Kriegsschauplatz Ukraine mit Waffen versorgt. Der Westen verdient eine schöne Stange Geld und fördert zugleich seine politischen Interessen. Schließlich hat man der Ukraine gerade einen Kredit über elf Milliarden Euro bewilligt. Die Kohle war ja nicht für eine Rentenerhöhung oder neue Schulen gedacht.
Diese Nachricht passt natürlich nicht ins Bild vom friedlichen Westen und der friedlichen Ukraine. Also taucht sie in den deutschen Medien einfach nicht auf. Auch nicht auf den Seiten von Reuters, dpa oder afp. Ein Lob der neutralen Schweiz, die uns in diesen finsteren Zeiten mit den nötigsten Informationen versorgt. Hier der Artikel aus der Basler Zeitung:
http://bazonline.ch/ausland/europa/Poroschenko-auf-Shoppingtour/story/23736965
Bei aller Abneigung gegenüber dem dümmlichen Begriff »Lügenpresse«: Das kann man so nicht stehen lassen. Es wird gelogen, es werden Unwahrheiten verbreitet und das nicht zu knapp.
AntwortenLöschenDas beginnt mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, aus denen mal eben die Antisemitismus-Keule geschnitzt wird und hört auch bei der Verbreitung offensichtlicher Unwahrheiten nicht auf.
Niggemeier
Misik
Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Gerade der von Misik angesprochene Spiegelartikel »Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Alexis Tsipras« widerlegt überdeutlich die These, daß es sich um eine lediglich eine »einseitige Betrachtungsweise« handelt. Das auch, aber eben mit allen Mitteln.
In dem aktuell publizierten Konglomerat aus Polemik, Propaganda, Fakten und Fiktionen ist es schwer geworden, sich wirklich noch zu informieren. Aber die Art der Berichterstattung dient nur einem einzigen Zweck, der Rechtfertigung der deutschen und der amerikanischen Regierungspolitik. Das meinte ich mit "einseitig" und an anderer Stelle mit "eindimensional". Der Begriff "Lügenpresse" ist durch die Pegida-Schreihälse verbraucht. Wir brauchen also einen neuen Ausdruck für diese Art von Berichterstattung. "Schweigepresse" deckt nur einen Aspekt ab. Oder wir verwenden den guten alten Terminus "Propaganda". Denn darum handelt es sich ja offensichtlich.
LöschenP.S.: Schweigepresse klingt ja auch irgendwie nach Schweinepresse, oder?
LöschenJunge Welt von heute auf Seite 1 mit Bildunterschrift: "Gut gerüstet in die Feuerpause: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko ... auf der internationalen Waffenmesse in Abu Dhabi." Grundsätzlich teile ich Deine Meinung hinsichtlich der deutschen Medienlanschaft.
AntwortenLöschenSPON hat als einziges Leitmedium heute Nachmittag die Meldung gebracht, die schon gestern z.B. im Sputnik zu lesen war. Da ich aber den russischen Hetzkampagnen so wenig traue wie den deutschen, habe ich gewartet, bis die Meldung heute Morgen um neun Uhr bei den Schweizern aufgetaucht ist.
LöschenSchweigepresse: So kann man das natürlich auch nennen.
AntwortenLöschenhttp://meedia.de/2015/02/26/umstrittene-protestaktion-bild-ruft-leser-zum-grexit-selfie-auf/
LöschenEs ist eine interessante Frage, welche politische Wirkungskraft Selfies entfachen können. Auf hunderttausend Handys von Hauptschülern (Alter Albane! Achtbare Alliteration) ist jetzt also ein Fetzen Gestapo-Müll abgebildet ... Wir dürfen gespannt sein.
Die BILD verliert jedes Jahr etwa zehn Prozent ihrer Leser. Angeblich soll die Redaktion demnächst aus Kostengründen von Kokain auf Speed umgestellt werden ;o)
P.S.: Angeblich plant der Evangelische Landbote eine Gegenaktion. "Je suis Alexis Tsipras".
LöschenDas fände ich noch schlimmer ...
Was ich im ersten Moment dachte, waren die braunen Horden, die mit ihren Zetteln und Plakaten »Kauft nicht beim Juden!« durch die Straßen laufen. Ja ja – ich weiß! Godwin und so. Aber welche politische Sprengkraft darin liegt, sich willen- und haltlos einen Schuldigen zu suchen, ist Allgemeingut. Was die BILD da treibt, ist professionell aufgezogene Pegida; zur Abwechslung mal mit Unterstützung der »Lügenpresse«. Die Selfie-Aktion ist – abgesehen davon, den Rabauken ein Gesicht zu geben – die Realität gewordene Idee Martin Sonneborns von der iDemo (gehen Sie zu einer Demo, ohne Arsch aus dem Haus bewegen zu müssen.) Eigentlich nur konsequent.
LöschenUdo Vetter hat sich ja bereits zum Tatbestand der Volksverhetzung geäußert und abgewunken. Es wäre zwar Realitätsverweigerung, aber nicht strafbar. So lotet man die Grenzen der Pressefreiheit aus.