Freitag, 2. Januar 2015
Wie unser Haus gespensterfrei wurde
Es war gegen sieben Uhr und wir saßen alle am Küchentisch und aßen zu Abend. Die beiden Kinder waren noch gar nicht müde und Kaya stand sogar auf ihrem Stuhl, um uns ein Kunststück vorzuführen. Wir spielten immer zusammen Zirkus, ich war der Dompteur und sie war der Wolf in einer weltbekannten Dressurnummer, die wir in allen großen Städten aufzuführen pflegten. Mara sah mit großen Augen zu ihr hinauf, während sie ihre Milch aus einer winzigen Tasse trank. Ihrer Lieblingstasse.
Anna musste noch einmal los. Eine Theateraufführung in der Volksbühne. Früher waren wir noch gerne ins Theater gegangen. Inzwischen war es eine lästige Pflicht und ich war froh, zu Hause bleiben zu können. Aber Anna arbeitete als Kulturredakteurin für eine Tageszeitung und hatte bis morgen Nachmittag sechzig Zeilen zu dieser Premiere abzuliefern. Ich würde die Mädchen ins Bett bringen und mir mit einer eiskalten Flasche Bier, die schon im Kühlschrank unserem Rendezvous entgegenfieberte, das Fußballländerspiel im Fernsehen anschauen.
Als wir Anna an der Haustür verabschiedeten, hatte ich Mara auf dem Arm. Sie weinte und wollte ihre Mutter nicht fortlassen. Wir trösteten sie und erklärten ihr, dass die Mama ja bald wieder nach Hause käme. Sie war erst zwei Jahre alt und von dieser Erklärung kein bisschen überzeugt. Kaya war bereits vier und schaute nur still zu ihrer Mutter hinauf.
Mara hatte sich so müde geweint, dass sie sofort einschlief, als ich sie in ihr Bett gelegt und sie zugedeckt hatte. Kaya setzte sich in ihr Bett und machte das Nachtlicht an, ohne das sie nicht einschlafen konnte. Es hatte die Form eines Halbmonds mit einem freundlich lächelnden Gesicht. Ich las ihr ein Märchen vor, das ich selbst geschrieben hatte. Kara hörte schweigend zu und blickte zur Decke.
Als ich mit der Geschichte fertig war, sah ich sie an und sagte: „Gute Nacht. Schlaf gut und träum was Schönes.“ Dann wollte ich aufstehen und gehen.
„Nein, geh noch nicht“, sagte sie mit einem klagenden Tonfall.
„Was ist denn? Bist du noch nicht müde?“
„Ich habe Angst. Da sind Gespenster.“
„Wo denn?“
„Da.“ Sie zeigte mit dem Finger in eine Zimmerecke. „Hinter dem Schrank.“
Ich wusste, dass ich sie ernst nehmen musste, wenn ich das Spiel nicht verpassen wollte. Also ging ich zum Schrank hinüber, beugte mich zum dunklen Spalt zwischen Schrank und Wand und sagte: „Hier sind keine Gespenster.“
„Doch.“
Mit Vernunft würde ich nicht weit kommen, so viel stand fest. Also griff ich zur List. „Dann müssen wir sie verjagen“, sagte ich zu ihr. „Komm her!“
Sie sprang aus dem Bett. Ich nahm einen Zauberstab aus ihrer Spielzeugkiste und drückte ihn Kaya in die Hand.
Sie nahm ihn wie einen Degen in die Hand und stocherte wild in der Ritze zwischen Schrank und Wand. „Verschwindet, ihr bösen Gespenster!“
Beruhigt ging ich zur Tür und sagte: „So, jetzt wird aber geschlafen.“
Sie sah mich misstrauisch an. „Aber in den anderen Zimmern sind doch auch Gespenster.“
„Gut“, sagte ich mit einem theatralischen Seufzen. „Dann verjagen wir die ganzen Gespenster.“
Ich nahm sie an der Hand und wir gingen in die Küche. Ich knipste das Licht an und rief: „Verschwindet, ihr bösen Gespenster!“
Kaya riss sich von meiner Hand los und stocherte wild in allen dunklen Ecken der Küche herum. Unter der Sitzbank, hinter dem Schrank, zwischen Spüle und Altglas. Sie war begeistert.
Dann gingen wir in mein Arbeitszimmer. Sobald das Licht an war, flitzte sie los und bekämpfte tapfer wie eine Piratin mit ihrem Zauberstab die Armee der Finsternis.
„Siehst du, sie haben Angst vor uns und laufen weg“, erzählte ich ihr. „Entweder du hast Angst vor den Gespenstern oder die Gespenster haben Angst vor dir. Es gibt nur die zwei Möglichkeiten“, fabulierte ich.
Als nächstes war das Wohnzimmer dran. Ruckzuck gespensterfrei. Ich machte den Fernseher an und setzte mich auf das Sofa. Kaya, abgekämpft und glücklich, legte sich neben mich. Die Fußballübertragung war so langweilig, dass sie in den ersten Minuten einschlief. Ich deckte sie zu und trug sie in der Halbzeitpause in ihr Bett. Dann holte ich mir das Bier und wartete auf Anna.
The Mills Brothers – Dream a little dream of me. http://www.youtube.com/watch?v=vFo3-ayTWhg
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