Montag, 15. Dezember 2014
Die Habermanns
Die Habermanns lebten noch nicht lange bei uns in Wichtelbach. Sie waren im vergangenen Jahr aus Frankfurt in unser Dorf gezogen. Sie hatten einen alten Bauernhof am Dorfrand gekauft und wir hatten erfahren, dass sie nur 50.000 Euro für den Hof nebst Stallungen und einem halben Hektar Weideland bezahlt hatten. Der Vorbesitzer hatte den Grundbesitz von seinen Eltern geerbt und Stück für Stück die Äcker und Weiden verkauft. Er war inzwischen in die Kreisstadt gezogen, hatte von dem Geld die Hypothek bezahlt und lebte nun von Hartz IV. Anfangs bekamen wir die Habermanns nicht zu Gesicht, sie kamen weder in die Dorfkneipe noch in das kleine Lebensmittelgeschäft. Aber die Handwerker, die das Bauernhaus renovierten, ein neues Bad und eine neue Küche einbauten, in den Stallungen Garagen und Ateliers einrichteten, das Dach neu deckten und den Hof pflasterten, erzählten uns eine ganze Menge.
Die Habermanns arbeiteten weiter in Frankfurt, denn unser Dorf liegt verkehrsgünstig direkt an der Autobahn. Herr Habermann war Unternehmensberater und hatte sich auf Lean Management und Ethik spezialisiert. Er entwickelte komplette Unternehmensphilosophien und leitete Qualitätszirkel zur Steigerung der ethischen Leistung in den Unternehmen. Seine Frau hatte eine psychologische Praxis im Frankfurter Westend und behandelte fast ausschließlich Burn-Out-Patienten. Ihre Tochter studierte Marketing an der privaten EBS Universität für Wirtschaft und Recht auf Schloss Reichartshausen in Oestrich-Winkel. Für sie hatte man auch ein Reitpferd angeschafft, ansonsten fuhr sie einen Smart, Herr Habermann einen Porsche Cayenne S E-Hybrid und Frau Habermann einen Lexus GS, ebenfalls mit Hybridantrieb.
Die Habermanns verdienten gut und konsumierten nur hochwertige Lebensmittel aus den besten Fachgeschäften. Sie führten ein gutes Leben und ließen andere Menschen auch daran teilhaben - zumindest im Gespräch mit unserem Bürgermeister. Aus ihrem Lebensstil hatten sie eine Ideologie gemacht und ihre Sprache war, wie in allen Ideologien, von Fachausdrücken und Glaubensgrundsätzen durchsetzt wie ein Stück Kobe-Rindfleisch mit Fettaugen. Laktose und Glutamat, Neuland und Fairtrade. Man hatte den Eindruck, schon die Zubereitung eines Mittagessens grenze an die Höchstleistungen eines wissenschaftlichen Labors. Die Habermanns kauften nicht ein, sie hatten Hoflieferanten. Stolz zählten sie auf, welche Geschäfte es in den erlauchten Kreis geschafft hatten und ihnen Waren verkaufen durften. Wer keine Nahrungsmittelunverträglichkeiten aufzuweisen hatte, machte sich in ihren Augen verdächtig. Allergien und Intoleranzen waren Zeichen von Sensibilität und bürgerlicher Verfeinerung. Selbstverständlich wählten sie die Grünen.
Und diesen Sommer sind dann die Tannenburgs nach Wichtelbach gezogen. Sie haben das alte Armeegelände am Waldrand aufgekauft, wo die Amerikaner bis in die neunziger Jahre ihre Mittelstreckenraketen stationiert hatten. Sie wollen auf dem riesigen Grundstück ein Seminarzentrum und ein Tagungshotel bauen. Und der Bürgermeister hat uns erzählt, dass neben der katholischen Dorfkirche ein Yoga-Studio eröffnen möchte. Neulich, als ich mit dem Hund spazieren war, habe ich eine Gruppe buntgekleideter Menschen mit Skistöcken gesehen, die ganz aufgeregt miteinander geschnattert haben. Und im Frühling sollen auf dem Bergrücken die alten Buchen gefällt werden, um Platz für zwei Windräder zu schaffen. Der Wirt von unserer Dorfkneipe überlegt schon, ob er nicht einen Veggieday einführen soll, um die neuen Bürger in sein Gasthaus zu locken. Erst haben wir gelacht – aber wer weiß schon, wie viele Leute noch aus der Großstadt zu uns aufs Land kommen? Ein Haus mit Garten kostet bei uns so viel wie ein Tiefgaragenparkplatz in der Frankfurter Innenstadt.
P.S.: Ich benutze übrigens zur Reinigung meines Monitors immer Brillenputztücher aus nachhaltigem FSC-zertifiziertem Brillenputztuchzellstoffanbau aus regionalen Brillenputztuchzellstoffanbaugebieten, um nicht nur einen Beitrag zum Umweltschutz, sondern auch zur lokalen Ökonomie zu leisten. Smiley.
Creedence Clearwater Revival: Suzie Q. https://www.youtube.com/watch?v=1mxaA-bJ35s
Ja.............
AntwortenLöschenVerdammt, auch ich habe einen guten Job ( Dipl. Ing. ) und gehe in's Joga.
(Sorry, bringt's für die alten Knochen einfach ! )
Ja, auch ich achte mehr oder weniger darauf, was ich esse.
Regional muss es sein ! Kaufe mein Gemüse lieber beim Bauern, geht bei Uns, als das Plastikzeug aus dem Supermarkt.
Trotzdem kann ich diese Typen auch nicht leiden.
Weil die noch erfolgreicher sind wie ich ?
Eher nicht, ich halte es privat eher mit den Schmuddelkindern.
Trotzdem gehöre ich dazu. Irgendwie. Es ist lachhaft.
Nun, ich erwarte jetzt keine Lebensberatung oder Absolution.
Man, was schreib ich hier eigentlich für einen Sch............
Machen Sie weiter so !
(Will man von so einem ein Lob ? )
Mir geht es ja genauso. Ich bin Samstagabend der einzige Literat in der Dorfkneipe. Hinter meinem Rücken nennt man mich "Professor", weil man sich im Hunsrück schon mit Abitur verdächtig macht. Ich habe weder Auto noch Bohrmaschine, weder Frau noch Kinder! Ich weiß, wie es Ihnen geht. Und noch sind keine Habermanns in meiner Nachbarschaft aufgetaucht ;o)
LöschenSie können ohne Bohrmaschine leben ?
LöschenUnvorstellbar ! Habe 3 Stück .
Ich habe drei Nachbarn ;o)
LöschenUnd selbst der Rechtsanwalt zur Linken ist ausgerüstet wie Herr OBI persönlich!
Ich habe zwei Bohrmaschinen und leider immer noch keine Schneefräse. Dafür aber Hasen und Hühner. Lebe aber auch in diesem ewigen Zwiespalt: wir wollen, daß mehr Leute aufs Land ziehen, aber die, die da kommen, passen uns nicht. Es ist zum Verrücktwerden.
AntwortenLöschenMan sollte seine Freunde aufs Land locken.
LöschenVielleicht kannst du ja eine lustige Liste mit Push- und Pull-Faktoren zum Thema Odenwald vs. Berlin erarbeiten?
Seit ich im Odenwald lebe, HABE ich keine Freunde mehr. Ähem.
LöschenAber Hasen und Hühner. Und das sind oft die dankbarsten Zuhörer - schon weil sie kein Wort verstehen ;o)
LöschenGentrifizierung auf dem Land ???????????????
AntwortenLöschenEs wird doch nicht so weit kommen ??
Habe am Wochenende einen kleinen Kurzurlaub genossen.
Im Schwarzwald. Jaaaa, auch dort kann man eine gute Zeit haben.
Schönes Hotel, Sauna, gutes Essen........
Was es dort an leer stehenden Ferienwohnungen gab.
Alles riesen Bunker, die Gegend vollgebaut und alles für ein kleines Klientel, daß nur 3 Wochenenden im Jahr dort verweilt.
Irgendwann sind selbst die letzten Plätzchen weggegrabscht.
Das kenne ich aus Sils. 700 Ureinwohner und 1000 Nistplätze für schräge Vögel im Betongoldfieber ...
LöschenJa, bald werden sie öd und leer sein, die Frankfurt Westends und Blankeneses dieses Landes. Dann ziehen Schanzenbewohner in leerstehende, halbverfallene Elbchausseevillen. Regentrifizierung jetzt!
AntwortenLöschenUnd wir ziehen dann wieder zu günstigen Konditionen ins leere Schanzenviertel. Harr, harr! Aber nicht weitersagen, unser Plan muss geheim bleiben ...
LöschenSils ?? Engadin und Nietzsche ?
AntwortenLöschenDieser Vergleich hinkt, weil zwischen Schwarzwald ( ööööhde ) und Schweizer Engadin schon noch ein Unterschied herrscht.
Schon alleine von der Steuergesetzgebung ??
Schweppenhausen sollte sich auf die Gentrifizierung ganzheitlich vorbereiten. Ansiedlung eines Aldi-Marktes ist obligatorisch, für das schlechte Gewissen auch noch einen Alnatura. Dann bittesehr einen Montessori-Kindergarten. Eine Waldorfschule ist ebenfalls obligatorisch, bitte den drive-in nicht vergessen. Wie sind die Kapazitäten an der Pferdefront? Können alle Mütter und Töchter versorgt werden? Genügend Parkplätze vorhanden?
AntwortenLöschenIch seh schon, meine wahre Berufung liegt in der Stadtentwicklung. Vielleicht sollte ich nach Berlin, wo jetzt der Wowi nicht mehr will. Schlielich hab ich 10 Jahre in Stuttgart gelebt, das ist wohl genug Qualifikation.
In Berlin ist gerade eine Stelle frei geworden! Flughafententwicklung ist erst mal angesagt. Dafür macht Mehdorn am Stuttgarter Bahnhof weiter ;o)
LöschenIn Sachen Pferde liegen wir in Schweppenhausen ganz weit vorne. Wir haben auch einen McDonalds-Drive-In an unserer Autobahnabfahrt. Nur Kindergarten und Grundschule müssen bisher ohne pädagogisch wertvolles Präfix auskommen. Ein Lebensmittelgeschäft fände ich sehr gut, aber wir haben ein paar Winzer, die einen mit dem Notwendigsten versorgen ...