Dienstag, 10. Juni 2014
Xiè xiè, Asante, Merci, Danke – The Global Value Chain Gang
Shen Yu hatte wieder einmal schlechte Laune, als er auf seinem Fahrrad durch eine endlos scheinende Vorstadt zur Fabrik fuhr. Es lag weniger am bleigrauen Himmel über Chongqing, von dem man nicht wusste, ob er seine Farbe dem aktuellen Wetter oder den industriellen Blähungen des Dreißig-Millionen-Molochs verdankte, sondern an dem Streit, den er gestern Abend mit seiner Frau hatte. Während andere Familien im Viertel schon über Satellitenschüsseln auf dem Dach oder Kleinwagen vor der Tür verfügten, mussten die beiden mit jedem Yüan rechnen. Aber es war unmöglich, um eine Gehaltserhöhung zu bitten, und ein anderer Arbeitsplatz war nur schwer zu finden. Er stellte sein Fahrrad zwischen den vielen tausend anderen Rädern ab und ging in Halle 27. Als er an seinem Arbeitsplatz saß und wie jeden Tag Feuersteine in Feuerzeuge montierte, hätte er am liebsten geheult, aber es half ja nichts. Das Leben musste weitergehen und bald hatte ihn die Arbeitsroutine betäubt.
Paul Molombo musste sich am Geländer der Eisentreppe festhalten, als ein schwerer Brecher die „Barbara“ mittschiffs traf. Die Stürme in der Malakkastraße zwischen dem südchinesischen Meer und dem Golf von Bengalen waren ebenso tückisch wie die Piraten, die in diesen Gewässern regelmäßig Jagd auf Handelsschiffe machten. Vorsichtig stieg er Stufe um Stufe in den Frachtraum hinab. Im Schiffsrumpf stapelten sich die Stahlcontainer. Fleece-Jacken, Schrauben, Plastikenten, Radiowecker und Feuerzeuge für Europa, bares Geld für ihn und seine Familie, wenn er in Rotterdam ankam. Er hasste und fürchtete das Meer, denn er konnte nicht schwimmen. Aber das würde ihm auch nichts nutzen, hatten ihm seine Kameraden lachend erklärt. Falls das Schiff sank, würde er entweder vom entstehenden Strudel in die Tiefe gerissen, nach ein paar Stunden verzweifelten Kampfes ertrinken oder von Haien gefressen. Paul dachte an seine Eltern und Geschwister in Somalia. Über die Sprechfunkanlage meldete er der Brücke, dass die Fracht sich nicht verschoben hatte.
Jacques Dupont zündete sich eine Zigarette an und betrachtete gelangweilt, wie riesige Kräne die Container aus den Bäuchen der Frachtschiffe zogen. Es würde noch eine Stunde dauern, bis sein Lkw beladen werden konnte. Und die Fahrt nach Berlin war lang. Er wusste, dass er das Lager im Westhafen erst nach 18 Uhr erreichen würde, egal wie schnell er vom Rotterdamer Hafen auf die Autobahn käme. Spätestens im Ruhrgebiet wurde der Verkehr dichter und zähflüssiger. Es wird wie immer, dachte er, als er seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte. Den Lkw vor der Lagerhalle parken, noch ein wenig in die Kneipe gehen, bei Bier, Buletten und Sportfernsehen den Abend verbringen und anschließend in die gemütliche Koje hinter dem Fahrersitz klettern. Vielleicht gönne ich mir heute auch eins von den weizenblonden ukrainischen Mädchen, dachte er und lächelte, während von der Mole her das dumpfe Scheppern der Container zu hören war, die der Kran absetzte.
Inge Grabowski hatte Schmerzen. Der verdammte Rücken! Früher hatte sie noch einen Hocker in ihrem Kiosk gehabt und konnte sich gelegentlich hinsetzen. Aber ihr Chef hatte den Hocker weggeräumt, um Platz für die Kisten mit dem neuen Energy-Drink zu schaffen. Die jungen Leute hatten alle möglichen Modegetränke, die sie selbst noch nie probiert hatte: Red Bull, Mate, Bionade, Fritz Cola. Und es kamen immer wieder neue Sorten dazu. Früher hatte sie hauptsächlich Zeitungen und Zigaretten verkauft, aber die jungen Leute rauchten nicht mehr und lasen die Nachrichten auf ihren Smartphones. Dafür war die Zahl der billigen Illustrierten explodiert, deren Namen sie sich nicht merken konnte. Früher gab es die Frau im Spiegel, die Tina und die Neue Post. Fertig! Heute suchte sie ewig nach dem gewünschten Titel und musste ihren schmerzenden Rücken beugen. Sie nahm eine Schmerztablette und spülte sie mit einem Schluck Kaffee aus ihrer Termoskanne hinunter. Ein dicker Mann Ende Fünfzig trat vor ihren Verkaufstresen und verlangte eine Schachtel Marlboro und ein Feuerzeug.
Dante Steinmüller stand an der Bushaltestelle und wartete. Er fingerte eine Zigarette aus seiner Schachtel und holte das Einweg-Feuerzeug aus der Hosentasche. Hastig ließ er seinen linken Daumen über den Feuerstein rollen, einmal, zweimal, dreimal. Aber es wollte einfach nicht funktionieren und mit einem leisen Fluch schleuderte er es auf die Straße. Irgendwo in den Tiefen seiner Jacke musste noch eins von den Dingern sein.
Talk Talk – It’s My Life. http://www.youtube.com/watch?v=nhLcB2yjhgU
Großes Kino, wie so oft hier! Musste ich mal wieder loswerden...
AntwortenLöschenDanke! Auch für die Tipps in deinem Blog. Habe mit deiner Hilfe neue Quellen gefunden ...
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