Dienstag, 31. Dezember 2013
2014
Ich lache über meine zehnjährige Pilgerschaft.
Verschossenes Gewand, zerschlissener Hut, Klopfen an die Tore des Zen.
In Wahrheit ist das Gesetz Buddhas so einfach:
Iß deinen Reis, trink deinen Tee, trage deine Kleider!
(Aus: Eiji Yoshikawa: Musashi, München: Droemer Knaur 1984, S. 1090. Übrigens ein sehr empfehlenswerter Abenteuerroman für lange Winterabende)
Der Traum als verschlüsselte Botschaft
Es war auf einer Konferenz in einem Landhotel. Zum Thema der Veranstaltung, die Altersvorsorge selbständiger Landwirte in Kleinbetrieben, hatte ich vor einigen Jahren Nachforschungen im Fichtelgebirge angestellt. Während die anderen Konferenzteilnehmer in kleinen Gruppen im Saal verteilt waren, stand ich allein am Fenster und blätterte in meinem Notizbuch. Manche Seiten enthielten kurze Sätze, andere Zeichnungen, wieder andere waren völlig leer. Ich erinnerte mich an einen Bauern, an dessen Tür ich damals geklopft hatte. Als er mir öffnete und ich meinen kaum mit einem Pepitahut bedeckten Kopf in sein Haus gesteckt hatte, war ich überrascht gewesen über die Winzigkeit seiner Stube und die karge Möblierung.
Da die Konferenz in zehn Minuten beginnen sollte, beschloss ich, die Toilette aufzusuchen. Der weiß gekachelte Raum der Herrentoilette war bereits mit vier Männern gefüllt, die vor zwei geschlossenen Kabinen warteten. Offensichtlich hatten wir alle die gleiche Idee gehabt. Ich stellte mich dazu und wagte es ebenso wenig wie die anderen, das Urinal in dem engen Raum zu benutzen. Ein junger Mann blickte mir ins Gesicht und sagte: „Sie sind früher mein Diakon gewesen.“ Dann fing er an zu weinen. Eine Kabinentür öffnete sich und ein beleibter Herr in einem Anzug trat heraus. Er warf mir einen fragenden Blick zu, während er den Raum verließ. Der zweite Wartende sagte zu mir: „Sie haben viel erreicht“. Der dritte schloss die Kabinentür hinter sich, während der vierte mit Tränen in den Augen sagte: „Das war vielleicht der wichtigste Augenblick dieser Konferenz.“ Auch ich kämpfte mit den Tränen, aber ich lächelte freundlich und nickte den hilfsbedürftigen Männern zu.(Literatur und Kunst waren zu allen Zeiten die besten Mittel, sich unbeschwert zu äußern - Agenten und ihren Computerprogrammen fehlt schlicht die Intelligenz zur Entschlüsselung komplexer Inhalte)
Samstag, 28. Dezember 2013
Ratschläge für das Leben im Überwachungsstaat im neuen Jahr
Planen Sie Ihren nächsten Terroranschlag nicht mehr am Computer, sondern benutzen Sie gewöhnliches Schreibpapier!
Recherchieren Sie die Themen Sprengstoffherstellung und Bombenbau nicht mehr online, sondern fragen Sie Teilnehmer des Zweiten Weltkriegs oder vertrauenswürdige Angehörige der Bundeswehr in Familie und Freundeskreis!
Treffen Sie die Mitglieder Ihrer Terrorzelle in handyfreien und abhörsicheren Räumen, beispielsweise in der Sauna oder einer Diskothek! Verabreden Sie sich hierzu mit Brieftauben!
Richten Sie Ihren Fremdenhass und ihre Aktivitäten im terroristischen Untergrund nicht mehr gegen Moslems, sondern gegen die angelsächsischen Feindstaaten!
Boykottieren Sie als verantwortungsbewusster Wirtschaftsbürger angelsächsische Unternehmen wie Coca-Cola und Apple! Machen Sie Ihre Online-Einkäufe nicht mehr bei Amazon, sondern bei Thalia oder anderen inländischen Anbietern! Weisen Sie bei Reklame-Mails freundlich darauf hin, dass Sie den Boykott aufheben, falls die Unternehmen Ihre Zusammenarbeit mit NSA und anderen Geheimdiensten einstellen und Ihre persönlichen Daten respektieren!
Freitag, 20. Dezember 2013
Stasi 2.0
Das größte Armutszeugnis 2013, in einem an solchen Dokumenten sicher nicht armen Jahr, haben sich die amerikanische und die englische Regierung selbst ausgestellt. Ihre Überwachung von Milliarden Computern und Mobiltelefonen, der Rechts- und Vertrauensbruch gegenüber der gesamten Menschheit (wer ist eigentlich nicht ein potentielles Opfer?) machen mich immer noch sprachlos. Den Kommunisten hat man ja viel zugetraut – aber die beiden ältesten Demokratien der Welt haben das noch übertroffen. Den feuchten Traum eines fanatischen Stasi-Generals, die lückenlose Überwachung jedes Bürgers und jeder Organisation, der unbemerkte Zugang zu allen Wohnungen und Büros, haben die NSA und der GCHQ wahr gemacht. Selbst in Online-Spielwelten waren sie auf der Jagd nach arabischen Terroristen, chinesischen Hackern und anderen Bedrohungen. Verdächtig war jeder Angehörige der Art Homo sapiens, selbst das Handy der Bundeskanzlerin und das Telefonnetz der Bundesministerien wurden jahrelang überwacht. Zeitungsredaktionen, die wie der britische Guardian ihre Leserschaft zu diesen Vorgängen informiert haben, wurden von Polizeieinheiten gestürmt und von demokratisch gewählten Parlamentariern unter Druck gesetzt. Das passiert, wenn man Geheimdienstfanatikern freie Hand lässt und unbegrenzte Mittel zur Verfügung stellt. Offensichtlich sind die angelsächsischen Schlapphüte völlig außer Kontrolle geraten. Gelernt haben wir alle bisher nichts daraus. Mit deutschem Untertanengeist wurde hierzulande die Debatte abgewürgt, bevor sie noch entstehen konnte. Ehemalige Verteidiger der Bürgerrechte in der Politik, FDP und Grüne, haben sich feige weggeduckt. Und der arglose Michel zuckt wieder einmal in seiner kindischen Einfalt mit den Schultern und freut sich auf Glühwein und Gänsebraten, iPhone 17 und Playstation 58. 2014 kann kommen – und mit uns kann man’s machen.P.S.: Man stelle sich nur mal den umgekehrten Fall vor: BND oder MAD hätten zehn Jahre lang das Weiße Haus und die Ministerien in Washington bis hinter die letzte Toilettentür belauscht. Dann würden amerikanische Panzer durch das Berliner Regierungsviertel rollen. Aber so wird mitten in Snowdens Enthüllungen über den Abhörskandal in Wiesbaden ein neues NSA-Abhörzentrum errichtet. Übrigens sind nur amerikanische Baufirmen beteiligt, selbst das Baumaterial stammt aus den USA. Seit 1945 haben die Amerikaner und ihre Alliierten das Recht, das später im Grundgesetz verankerte deutsche Brief- und Fernmeldegeheimnis zu brechen und ihre Geheimdienste nach Belieben schalten und walten zu lassen. Amerikanisches Militärgelände in Deutschland kann genutzt werden, als sei es amerikanisches Territorium. Diese Rechte sind in den Verträgen von 1955 durch Adenauer bis zu den Verträgen zur deutschen Wiedervereinigung durch Kohl immer wieder bestätigt worden und gelten bis zum heutigen Tag. Wir sind tatsächlich Untertanen, für die das Grundgesetz nur eingeschränkt und mit amerikanischer Erlaubnis gilt. Von der staatlichen Souveränität Luxemburgs oder Maltas können wir Deutschen nur träumen. Daher entschuldigen sich die Amerikaner auch nicht für die NSA-Aktivitäten und beenden sie selbstverständlich ebenso wenig. Unsere heutige Stasi spricht Englisch. Wer solche „Freunde“ hat, braucht keine Feinde mehr.
Montag, 9. Dezember 2013
Was Banker von Fußballern lernen können
Das Lieblingsargument jedes drittklassigen Banklobbyisten gegen die staatliche Regulierung seiner Geschäfte ist ja: „Die Politiker haben doch sowieso keine Ahnung von Wirtschaft.“ Mein Gegenargument ist noch schlichter: „Na und?“ Seit wann muss jeder Parlamentarier Ahnung von Wirtschaft haben? Es gibt schließlich wichtigere Themen. Wo steht geschrieben, dass jedes Regierungsmitglied die komplizierten Bescheißereien im Kleingedruckten der Anlageprospekte durchschauen muss? Der Mensch vom Gesundheitsamt, der die Gaststätten kontrolliert, ist ja auch kein ausgebildeter Koch und der Polizist, der eine Verkehrskontrolle durchführt, hat keine Lehre als Kfz-Mechaniker gemacht. Entscheidend ist die lückenlose Durchsetzung der Gesetze. Bei einem Fußballspiel – um ein einfaches Beispiel zu nennen - braucht man eben einen Schiedsrichter. Ohne Schieri kommen vielleicht die Kinder auf dem Bolzplatz aus, aber schon ein Punktspiel zwischen zwei Dörfern ist ohne neutrale Instanz unmöglich. Und wo es nicht nur um Punkte, sondern um viel Geld geht, steht nicht nur ein Schiedsrichter auf dem Platz, da gibt es auch zwei Linienrichter und inzwischen sogar einen „vierten Mann“, der die Trainer im Zaum zu halten versucht. Man stelle sich eine solche Banker-Argumentation bei einem Champions League-Finale vor: „Wir brauchen keinen Schieri, denn der hat sowieso keine Ahnung vom Fußball. Wir überlassen alles den 22 Profis auf dem Platz.“ Vielen Dank auch! Ein solches Finale würde im Chaos enden, im Stadion gäbe es Krawalle, diplomatische Verwicklungen bis hin zu Handelsboykotten zwischen zwei Ländern und internationalen bewaffneten Konflikten wären womöglich die Folge. Wem dieses Szenario übertrieben erscheint, sollte bei Wikipedia mal den Suchbegriff "Fußballkrieg" eingeben.
Soviel zum Thema Regulierung. Jetzt zum Thema Sanktion. Ein Schiedsrichter kann nicht immer nur mit Ermahnungen an das Fairplay reagieren. Spieler, die permanent foulen oder Elfmeter mit Schauspieleinlagen schinden wollen, müssen eben irgendwann vom Platz gestellt werden. Beim aktuellen Bankenskandal helfen die ausgesprochenen Geldstrafen nur wenig. Geld haben die Banken, auch dank der Flut billigen Geldes von den Notenbanken, wahrlich genug. Einem üblen Treter gibt man die rote Karte und schickt ihn einfach vom Spielfeld. Schon ist Ruhe. Einen Ferrarifahrer halten Sie ja mit Bußgeldern auch nicht von der Geschwindigkeitsübertretung ab, sondern nur mit Führerscheinentzug. Für die verantwortlichen Banker muss es also Haftstrafen geben. Man stelle sich vor, ein Zockeridol wie Josef Ackermann würde fünf Jahre im Zuchthaus sitzen. Eine ganze Generation von Investmentbankern und Finanzberatern wäre ein für alle Mal von Habgier und Spielsucht geheilt.P.S.: Der Autor dieser Zeilen hat in seiner Jugend für die Spielvereinigung Ingelheim und später für den TuS 09 Schweppenhausen als Linksaußen auf dem Fußballplatz gestanden.
Sonntag, 8. Dezember 2013
Neuanfang: Der erste Text des Dorfschreibers von Schweppenhausen
An den Banken können wir exemplarisch erklären, wie Marktwirtschaft eigentlich funktioniert und wie deren Spielregeln aktuell manipuliert werden. Schon bei den alten Griechen, etwa in Platons „Staat“, können wir die Regeln des Marktes und deren Schutz nachlesen: Auf dem freien Markt kommen Käufer und Verkäufer ins Geschäft, in dem sie im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage die Preise von Gütern und Dienstleistungen ermitteln. Dem Staat, der sich nicht in diesen Markt einmischen darf und dessen Vertreter darum auch nicht gleichzeitig professionelle Marktteilnehmer sein dürfen, obliegt die Aufgabe, den Markt vor Gewalt zu schützen (so dass nicht das Recht des Stärkeren gilt, sondern über Marktpreise angstfrei verhandelt werden kann), die Einhaltung der Spielregeln zu gewährleisten und alle Maßeinheiten der Handelsgüter zu kontrollieren. Soviel zur theoretischen Grundlage, die seit tausenden von Jahren bekannt sein dürfte.
Nun zur Praxis: Jeder einfache Metzger weiß bis zum heutigen Tage, dass er seine Waage nicht selbst justieren darf, sondern sein Messinstrument von einem amtlich bestellten Eichmeister regelmäßig kontrolliert wird. Würden wir es den Metzgern selbst überlassen, die Waage einzustellen, würden wir sie einer Verlockung preisgeben, denen die charakterlich schwächsten unter ihnen nicht widerstehen könnten. Die „schwachen“ Händler würden die Waage und damit den Kaufpreis zu ihren Gunsten ändern und die Kunden um ihr Geld betrügen (und den ehrlichen Kollegen auf dem Markt schaden). Darum legt der Staat nicht nur fest, wie viel ein Kilogramm ist, sondern auch, wie es auf den Messinstrumenten der Marktteilnehmer exakt angezeigt werden kann. Hätten Käufer und Verkäufer ihre eigenen Waagen, würden die endlosen Debatten um das tatsächliche Gewicht einer Ware nur die Geschäfte stören.
Dieses Grundprinzip ist in der Finanzwirtschaft zerstört: Die Banken, also die Marktteilnehmer, legen inzwischen den Libor (Zinssatz im Geldgeschäft zwischen den Banken) und die Referenzwerte für Währungen und Gold fest, nicht mehr der neutrale Staat. Und offensichtlich sind die charakterlich schwächsten unter ihnen der Verlockung erlegen und haben diese Werte zu ihren eigenen Gunsten manipuliert. Die Deutsche Bank und andere Unternehmen der Branche sind gerade dabei erwischt worden. Ähnlich wie ein Metzger, der seinen Daumen auf der Waage hat und uns hundert Gramm Wurst für den Preis von zweihundert andrehen will, steht das Frankfurter Wettbüro nun am öffentlichen Pranger. Traurig ist in diesem Zusammenhang nicht die Dreistigkeit, mit dem die Oberbuchmacher wie Fitschen auf diese Enthüllungen reagieren, anstatt bußfertige Reue zu zeigen, sondern die Schwäche des Staates, der seiner elementaren Ordnungsfunktion für das Funktionieren der Marktwirtschaft nicht mehr nachzukommen vermag. Und darum regen sich die Menschen zurecht nicht nur über einzelne betrügerische Banken, sondern auch über unsere gewählten Volksvertreter auf, die ihre Pflichten nicht erfüllen wollen.