Dienstag, 26. Juni 2012
Eine teuflische Begegnung
Neulich habe ich den Teufel getroffen. Er sah gar nicht gut aus. Es war schon später Abend, als ich ihn auf einer Parkbank in meinem Viertel getroffen habe. Der Volkspark hatte sich längst geleert, das Kinderlachen war verstummt und ein hartnäckiger Nieselregen kitzelte mich im Gesicht. Als ich gerade an ihm vorüber ging, blickte er zu mir auf. Ein trauriger Blick traf mich. Offenbar war er ein Obdachloser, der sich in die Einsamkeit zwischen den hell erleuchteten Häusern zurück gezogen hatte.
„Abend“, sagte ich automatisch.
„Abend“, murmelte er zurück und sah mich weiter an.
Seine Augen schienen in der Dämmerung zu glühen. Ich blieb stehen. Das war sicher ein Fehler, weil man sich in der großen Stadt nie um fremde Menschen kümmern darf. Aber ich konnte nicht anders.
„Alles klar?“ fragte ich unbeholfen.
„Nein“, antwortete er. "Es geht mir schlecht.“
Ich hielt ihm wortlos meine Flasche hin, aber er schüttelte nur den Kopf. Das war es also nicht.
„Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?“ fragte ich übertrieben höflich.
„Ja, das ist nett. Es reden so wenige Menschen mit mir.“
Ich setzte mich und betrachtete den Mann zum ersten Mal aus der Nähe. Er hatte eine ungesunde rote Gesichtsfarbe, die auf Bluthochdruck schließen ließ, und pechschwarzes Haar, das trotz des schwachen Lichts wie frischer Asphalt glänzte. Er trug einen löchrigen Lodenmantel und abgewetzte Lederstiefel.
„Warum sind Sie denn allein?“ fragte ich naiv und lehnte mich ein wenig zurück.
„Die Menschen hören mir einfach nicht mehr zu. Früher war es meine Aufgabe, Menschen zu verführen. Ich war ein großer Künstler der Verführung. Klugen Menschen habe ich meinen Willen aufgezwungen, selbst dem großen Doktor Faust …“
„Die Romanfigur?“ Offensichtlich war der Mann nicht ganz bei Trost.
„Nein, den echten Faust. Ich bin der Teufel.“
„Sie? Der Teufel?“ Verblüfft schüttelte ich den Kopf.
Er lächelte und sprach weiter: „Früher haben die Menschen auf mich gehört, wenn ich Ihnen Reichtümer versprochen habe. Sie haben mir ihre Seele verkauft, ich konnte mit ihnen spielen. Und jetzt? Bin ich arbeitslos.“
„Aber warum denn?“ Ich glaubte dem Mann kein Wort, war aber doch zu neugierig, um zu gehen.
„Die Menschen brauchen den Teufel nicht mehr, um schlecht zu sein“ fuhr er fort. „Warum soll ich noch jemanden zum Diebstahl verführen, wenn die Banker legal Millionen stehlen? Wie soll ich einem Politiker Macht verschaffen, der seine Seele längst an jemand anderen verkauft hat? Welche Motivation brauchen die Generäle und anderen Massenmörder noch, die sie selbst nicht längst schon hätten?“
Der Mann hatte recht. Schlechte Zeiten für den Teufel.
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