Freitag, 16. April 2010
Briefkasten heute
Gehen Sie noch gerne an Ihren Briefkasten? Und wenn ja: warum? Ich gehe nicht mehr gerne dorthin. Der Grund: Früher war alles besser. Ja, ich weiß, Sie werden jetzt sagen, dass alle alten Menschen sagen, früher sei alles besser gewesen. Aber ich bin erst Dreiundvierzig und in diesem Falle stimmt es einfach. Früher habe ich im Briefkasten tatsächlich Briefe gefunden. Sie erinnern sich, diese länglichen viereckigen Dinger mit Inhalt - und ich rede jetzt nicht vom neuesten Plasma-Bildschirm. Es gab farbige Ansichtskarten mit einsilbigen Erzählungen, Aufrufe zum politischen Protest und gelegentlich habe ich sogar Schokolade von der Nachbar-WG entdeckt. Und heute? Nur noch Rechnungen und Reklame, alles Nette kommt per E-Mail. Im Briefkasten nur Mörgel und Schlunz, ich mag ihn gar nicht mehr aufmachen. Aber gelegentlich tut man es doch, so wie man einen Mülleimer leert oder seine Blase. Und was finde ich dieser Tage? Einen unauffälligen Umschlag, der einen merkwürdig antiquierten und seriösen Eindruck macht. Es schreibt mir die VG Wort, eine Organisation, die die Rechte der Autoren vertritt, ähnlich der GEMA für die Musiker. Man habe in meinem Namen über viele Jahre einen Prozess bis vors oberste Bundesgericht getrieben und schließlich gewonnen. Über meinen Anteil an der erstrittenen Summe habe man mir einen Scheck ausgestellt, der beiliege. Es sind fast tausend Euro, die ich auf diese Weise im Briefkasten finde. Seitdem schlendere ich jeden Morgen pfeifend, die Hände in den Hosentasche, die Treppen zu den Briefkästen hinunter. Welche Wunder erwarten mich heute?
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