Donnerstag, 10. April 2025

Untere Muhl 1, Ingelheim

 

Ich stehe vor dem Haus meiner Mutter, vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Seit Jahrzehnten bin ich nicht mehr hier gewesen. Soll ich klingeln? Ich hole meinen Schlüsselbund hervor und finde einen Schlüssel, der passen könnte. Tatsächlich öffne ich mit ihm die Haustür. Ich gehe die Treppen hinauf, den Weg, den ich tausende Male gegangen bin. Ganz bewusst nehme ich jede Stufe wahr. Im ersten Stock schaue ich wie immer aus dem großen Fenster auf die Wiese zwischen den Häuserblocks und auf das Dach über dem Eingang. Als Kind habe ich dort mal einen toten Vogel gesehen. Wie alt meine Mutter jetzt wohl ist? Über achtzig, schätze ich. Ich stehe vor der Wohnungstür im zweiten Stock. Mein Schlüssel öffnet auch diese Tür. Sie steht in der Küche, im ersten Raum auf der linken Seite. Auf dem Herd steht eine Pfanne, in der sie mit einem langen Holzlöffel rührt. Sie ist Mitte fünfzig, so wie ich sie von meinem letzten Besuch in Erinnerung habe. Ich frage, wie es ihr geht. Sie klagt über Rückenschmerzen, ohne mich anzusehen. Ich wende den Kopf Richtung Flur. „Sieh da nicht hin“, sagt sie zu mir. Ich tue es trotzdem. Alles ist wie immer. Nach dem Aufwachen fällt mir ein, dass man dort vor knapp dreißig Jahren ihre Leiche gefunden hat.



Nach einer Stunde am Computer lege ich mich wieder ins Bett und habe den nächsten Traum. Ich bin ein junger Mann und habe eine Geschäftsidee: Ich möchte Rotweinschorle in Flaschen verkaufen. Beim Mittagessen erzähle ich meinem Vater davon, der einen Geschäftsfreund anruft und für mich den Kontakt herstellt. Als ich Herrn Huf („Huf“ hieß früher ein Kaufhaus in Ingelheim) in seinem Büro besuche, habe ich ein paar Kisten als Muster dabei. Er zieht sich einen grauen Kittel an und wir tragen die Kisten in ein Lager im Keller. Danach machen wir mit seinem Motorboot eine Fahrt auf dem Rhein. Wir fahren gemeinsam mit seiner rechten Hand und einem Geschäftspartner eine Stunde an malerischen Ufern und Felsformationen vorbei. Der Angestellte von Herrn Huf bringt das Thema Lebensmittelrecht und Hygiene ins Spiel, der Geschäftspartner äußert sich zum Vertrieb und ich kenne die Preise für Glasflaschen, Abfüllung, Etikettierung und die Großhandelspreise für argentinischen Rotwein. Wir werden uns einig und fahren zum Haus der Familie Huf, um dort bei einer Flasche Sekt das Geschäft zu besiegeln. Vor dem Haus liegt seine Tochter nackt auf einer Sonnenliege; sie verzieht sich, als sie uns sieht. Der Sohn kommt heraus, er trägt einen dunkelblauen Anzug, lächelt und ist sehr höflich. Die zweite Tochter kommt, sie ist so groß wie ich und hat ein hübsches Gesicht. Sie möchte mir die Hand geben, aber ich zeige ihr, wie schmutzig ich von den Getränkekisten und vom Keller bin. Sie lacht und schüttelt sie trotzdem. Dann fasst sie sich an ihr blütenweißes T-Shirt und beschmutzt es. Ich sage, ich wäre wie der Junge bei den Peanuts, der immer in einer Staubwolke unterwegs ist. Sie kennt die Peanuts nicht. Im Gespräch merke ich, dass sie debil ist. Ihr Vater sagt, sie würde von einer Hausdame unterrichtet und betreut. Trotzdem ist es Liebe auf den ersten Blick. Dann wache ich auf.

 

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