Donnerstag, 20. Januar 2022

Ganz unten

 

Als er aufwachte, war es kurz vor Mitternacht. Wie lange hatte er geschlafen? Um drei Uhr nachmittags war er in einer Besprechung mit den Kollegen seiner Abteilung gewesen. Etwa eine Stunde lang, mehr nicht. Dann war er in sein Büro zurückgegangen, hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und war irgendwann eingeschlafen, den Kopf auf seine Unterarme gebettet. Er hatte fast acht Stunden geschlafen. Jetzt war er hellwach.

Sicher war er ganz allein im Gebäude. Ein beunruhigender Gedanke. Er war noch nie allein in dem riesigen Hochhaus gewesen. Er zog sein Jackett an und richtete seine Krawatte. Dann verließ er sein Büro und ging den Flur hinunter zu den Fahrstühlen. Er drückte den Knopf und sofort öffnete sich die Tür, als ob der Fahrstuhl auf ihn gewartet hätte. Er trat ein und drückte E für Erdgeschoss. Der Aufzug setzte sich in Bewegung.

Wie immer beobachtete er die elektronische Anzeige, die das Stockwerk anzeigte. 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, E. Aber der Fahrstuhl hielt nicht. Er fuhr in Richtung Keller weiter. -1, -2, -3. Er fuhr immer weiter. Bei -43 blieb er plötzlich stehen. Das konnte unmöglich sein. Das Gebäude hatte keine 43 Kellergeschosse. Das konnte nicht stimmen. Die Tür öffnete sich.

Vor im lag ein kahler Flur mit grauen Betonwänden, der nur spärlich erleuchtet war. Das Ende des Gangs war nicht zu sehen. Es gab auch keine Türen. Er blieb im Aufzug und drückte E. Aber er bewegte sich nicht. Er probierte es mehrfach. Keine Reaktion. Dann drückte er den Knopf, auf dem „Tür schließen“ stand. Wieder nichts. Nochmal „Tür schließen“. Nichts. Er drückte den Notrufknopf. Niemand meldete sich. Vielleicht war um diese Uhrzeit die Notrufzentrale nicht besetzt.

Was sollte er machen? Er stand ein paar Minuten unschlüssig im Aufzug. Die Tür blieb offen. Stille. Träumte er das alles nur? Er schlug mit der Faust gegen die Metallwand des Fahrstuhls. Es fühlte sich echt an. Er musste etwas machen. Er drückte noch einmal E, diesmal ohne Hoffnung. Nichts passierte. Dann stieg er aus.

Er ging den Flur entlang, der Klang seiner Schritte erschreckte ihn anfangs. Es klang unheimlich. Dann hörte er ein Geräusch. Die Tür des Fahrstuhls schloss sich und er fuhr davon. Er rannte zurück und hämmerte panisch auf den Knopf. Er wartete. Der Aufzug kam nicht mehr.

Er war gefangen. In einem Stockwerk, das es nicht gab. Er ging den Flur entlang. Nach einer Weile kam er auf einen anderen Flur, der sich nach links und rechts in der Ferne verlor. In welche Richtung sollte er gehen? Es gab keine Kriterien für eine Entscheidung. In beiden Richtungen waren die Flure kahl und grau. Er ging nach rechts. Ein endlos langer Gang, der schließlich in ein Foyer mündete. Dort war eine verschlossene Tür. Auf ihr stand „Archiv“.

Er ging auf die Tür zu und öffnete sie, ohne anzuklopfen. Vor ihm standen lange Reihen hoher Regale, die mit Akten gefüllt waren. Vor den Regalen saß ein Mann an einem Schreibtisch, der ein Schriftstück studierte. Graue Haare, grauer Anzug, graue Krawatte.

„Guten Abend“, sagte er zu ihm.

Der Mann blickte auf und lächelte ihn an.

„Guten Abend, Herr Müller. Es freut mich, Sie als neuen Mitarbeiter begrüßen zu dürfen. Willkommen im Archiv.“

Die Hölle ist ein kalter Ort.

Yello - Vicious Games - YouTube

The IT Crowd - Season 1 - 01 Yesterday's Jam - YouTube

 

 

 

 

1 Kommentar:

  1. Eine interessante Vorstellung. In Wirklichkeit ist die Hölle aber eine Mischung aus Jobcenter, Altenheim und Krankenhaus.

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