Vor
acht Jahren musste ich Berlin verlassen, weil ich von der Polizei gesucht
wurde. Ich ließ mich im Hunsrück nieder. Es war kein Problem, dem
Sachbearbeiter der Verbandsgemeindeverwaltung zu erklären, ich habe meinen Pass
verloren und benötige einen neuen. Ich gab die Adresse eines unbebauten
Grundstücks im Nachbardorf an. Das war auch kein Problem. Ich bekam meinen
Ausweis und niemand hat meine Angaben je überprüft. Das Vertrauen der Menschen
in der Provinz ist rührend.
War es
mein fortschreitendes Alter? War es die geradezu groteske Ereignislosigkeit des
Landlebens, nachdem ich mein Leben als „Finanzberater“ eines tschetschenischen Clans
und Plutoniumschmugglers in Berlin aufgegeben hatte? Jedenfalls fing ich an,
die Todesanzeigen zu lesen. Anfang des Jahres fiel mir auf, dass ein altes
Ehepaar kurz hintereinander verstorben war. Zwischen dem Tod von Alfred und Svenja
Dingeldey lagen nur vierzehn Tage. Sie wohnten nur wenige hundert Meter von
meinem aktuellen Wohnsitz entfernt und ich beschloss, mir das Haus, zu dem ein
kleiner Vorgarten und eine Scheune gehörten, bei meinen morgendlichen
Spaziergängen näher anzusehen.
Wenn
man plötzlich auf eine gute Idee kommt, ist alles andere eigentlich ganz
einfach. Von meinen Großeltern und meiner Tätigkeit als Altenpfleger während
des Zivildienstes wusste ich, wie wenig alte Menschen den Banken vertrauten und
wie gerne sie Geld und Wertsachen versteckten. Dabei legten sie wie
Eichhörnchen mehrere Verstecke an und vergaßen einige von ihnen. Ich klebte
einen Grashalm zwischen Gartentor und Mauer. Er blieb tagelang unberührt.
Offenbar hatten die Kinder noch nicht entschieden, wie sie weiter mit der
Immobilie umgehen sollten. Ich nahm an, sie seien berufstätig und hätten selbst
Familie. Also könnten sie höchstens am Abend oder am Wochenende das Haus
aufsuchen. Laut Telefonbuch lebten sie in Simmern und in Bad Kreuznach.
Es ist
nicht so, dass ich das Geld nötig hätte. Aber wenn man acht Jahre ein kulinarisch
anspruchsvolles Leben führt und gerne in schönen Hotels absteigt, wenn man es
vorzieht, keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachzugehen, um keine Spuren für
Polizisten und Tschetschenen zu hinterlassen, gehen die Finanzmittel doch
allmählich zu Ende. Es reicht noch ein paar Jahre, aber ein zusätzliches
Einkommen, verbunden mit dem nötigen Nervenkitzel, kann nichts schaden.
An
einem Dienstagvormittag habe ich einfach die Türen des Dingeldey-Hauses geöffnet.
Die Schlösser stellten kein Hindernis dar. Der Einbruch bei Tag bietet den
Vorteil, keine Lampen oder Taschenlampen einschalten zu müssen. Es erinnerte
mich an die Spiele meiner Kindertage. Es war wie Ostern oder ein Versteckspiel
mit anderen Jungs. In der Küche stand ein altmodischer Schrank mit Glasbehältern
für Mehl, Zucker und Salz, die man herausziehen konnte. Im Salz fand ich einen
Schlüssel, der offenbar zu einer Kassette passte. Die Kassette fand ich auf dem
Dachboden hinter diversem Gerümpel. Das Schloss wäre auch ohne Schlüssel kein
Problem gewesen. Wie naiv die Menschen doch sind.
Über zehntausend
Euro. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Der Schmuck der verstorbenen Frau,
den ich im Schlafzimmer fand, war wertlos. Wie sollte ich hier im Hunsrück auch
einen Hehler finden? Ich ließ ihn liegen. Die Kassette würde niemand vermissen,
den Familienschmuck schon. Ich verließ das Haus und ging am selben Abend gut
gelaunt in ein Steakhaus. Beim örtlichen Weinhändler gab ich eine Lieferung in
Auftrag und bezahlte bar.
So
fing es an. Es ist eigentlich ganz einfach. Tote hinterlassen leere Häuser. Alte
Menschen hinterlassen Bargeld. Die Todesanzeigen gehören inzwischen zu meiner
bevorzugten Lektüre. Vielleicht sollte ich wieder in die Stadt ziehen? Wo
findet man jeden Tag eine wohlhabende Leiche? In Hamburg? München?