Einige Wörter haben sich in
Nachnamen erhalten. Kretschmer heißt auf hochdeutsch Gastwirt. Böhm ist ein
Zehnpfennigstück. Manche Wörter benutzen wir noch heute: labern zum Beispiel.
Ich spreche vom Dialekt, der in der einstigen Provinz Schlesien gesprochen
wurde. Wo im Sommer die Bliemla bliehn.
Schlesien wurde im 18.
Jahrhundert zum Zankapfel zwischen den Hohenzollern und den Habsburgern. Es wurden
drei Kriege um diese Provinz mit etwa einer Million Einwohnern geführt. Der
dritte Krieg, der siebenjährige Krieg von 1756 bis 1763, wurde zum ersten
Weltkrieg, der den Namen verdiente. Die Kontrahenten hatten alles um sich
versammelt, was in Europa Rang und Namen hatte:
·
Team Österreich:
Frankreich, Russland, Schweden, Spanien, Heiliges Römisches Reich, diverse
deutsche Fürstentümer.
·
Team Preußen:
Großbritannien, Portugal, diverse deutsche Fürstentümer.
·
Neutral: Polen,
Dänemark, Norwegen, Schweiz, Vereinigte Niederlande, das Osmanische Reich u.v.m.
Den Auftakt des epischen Ringens
um Schlesien machte ein französischer Angriff auf die Balearen-Insel Menorca,
die zu diesem Zeitpunkt unter britischer Herrschaft stand. Die Franzosen
eroberten die Insel und Großbritannien erklärte Frankreich den Krieg. Es folgte
die Eroberung Sachsens durch die Preußen, um die strategische Ausgangslage im
Kampf gegen die Habsburgermonarchie und deren Provinzen Böhmen und Mähren zu
verbessern. Im gleichen Jahr begann auch der Krieg zwischen der französischen
und der britischen Kolonie in Nordamerika. Auf beiden Seiten kämpften
Indianerstämme für die Europäer.
1757 scheiterte Preußen bei der
Eroberung Böhmens und der Belagerung von Prag und zog seine Truppen nach
Sachsen zurück. Der deutsche Kaiser, ein Habsburger, griff die Preußen in Thüringen an, während
die Österreicher Schlesien eroberten und für einen Tag sogar Berlin besetzen
konnten. Die französische Armee griff von Westen an und besetzte preußische
Länder am Rhein und einige mit Preußen verbündete Fürstentümer.
1758 eroberten die Russen
Ostpreußen. Schweden versuchte, sein Territorium Schwedisch-Pommern (das
heutige Vorpommern inklusive der Odermündung und Stettin) zu erweitern und
marschierte in Brandenburg ein. Langsam wurde es unübersichtlich. Die Franzosen
gewannen eine Schlacht gegen die Briten in Nordamerika und verloren eine
Schlacht gegen die Preußen. Die Österreicher drangen nach Sachsen vor, scheiterten
aber. Die Preußen fielen in Mähren ein, konnten sich aber nicht halten.
1759 war Preußen in der
Defensive, aber seine Gegner konnten sich nicht zu einem finalen Angriff
entschließen. Ostpreußen, Schlesien und das preußische Vorpommern waren vom
Feind besetzt. Die britische Unterstützung beschränkte sich auf Finanzhilfen. Die
Franzosen verloren vor der portugiesischen Küste eine Seeschlacht gegen die
Briten, eine weitere vor der eigenen Küste und anschließend Quebec im heutigen
Kanada. Erst 1762 wendete sich das Blatt: die russische Zarin starb, ihr
Nachfolger war ein Fan der Preußen. Er wurde zwar kurz darauf ermordet, aber
die neue Zarin, Katharina die Große, führte seine Politik fort. Die Russen zogen
sich zurück, die Schweden schlossen sich an. Daraufhin gelang es den Preußen,
Schlesien von den Österreichern zurückzuerobern.
Was machten eigentlich Spanien
und Portugal? Der Einmarsch der Spanier in Portugal scheiterte. Die Briten
eroberten mit Havanna und Manila zwei spanische Schlüsselstellungen in Amerika
und Asien, außerdem die französische Handelsniederlassung im Senegal. Durch die
Vernichtung der französischen Flotte waren die französischen Kolonien vom
Mutterland abgeschnitten. Im Friedensvertrag von 1763 traten die Franzosen ihre
sämtlichen Besitzungen in Nordamerika an die Briten ab, Spanien übergab seine Kolonie
Florida ebenfalls an die Briten.
Auch Preußens König Friedrich der
Große schloss einen Friedensvertrag mit Maria Theresia von Österreich. Der
Status quo ante bellum war wiederhergestellt. In Europa hatten sich keine
Grenzen verschoben, aber allein auf dem europäischen Kriegsschauplatz waren
550.000 Gefallene zu beklagen.
Bedeutender waren die
politischen Folgen außerhalb Preußens und Österreichs. Frankreich hatte sich
für diesen Krieg erheblich verschuldet, die Staatsfinanzen waren zerrüttet und
die Steuern wurden erhöht. Das führte zu wachsender Unzufriedenheit in der
Bevölkerung, die 1789 in der Französischen Revolution mündete.
Auch die Briten hatten
erhebliche Kriegskosten. Die Regierung beschloss, die amerikanischen Siedler
über neue Steuern an diesen Kosten zu beteiligen. Die Folgen sind bekannt und
machten, ebenso wie die Erstürmung der Bastille, Weltgeschichte. „No taxation
without representation“ war der Wahlspruch der Amerikaner, da sie im Parlament
in London keine eigenen Abgeordneten hatten. Es kam zum Aufstand der 13
Kolonien gegen die Kolonialmacht. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg
dauerte von 1775 bis 1783 und die USA stiegen in den folgenden zweihundert
Jahren zur Weltmacht auf.
Alles begann mit dem banalen Streit zweier reicher und mächtiger Familien um
Schlesien. Eine Provinz mit der Einwohnerzahl des heutigen Saarlands. Niemand
hätte zum Zeitpunkt des Kriegsausbruchs ahnen können, was dieser Konflikt für
weltpolitische Folgen haben könnte. Vielleicht wären aus den spanischen und
französischen Kolonien eigene Staaten geworden und es hätte das „amerikanische
Jahrhundert“ nie gegeben? Über Schlesien, wo meine Mutter geboren wurde,
spricht heute niemand mehr. Es ist sanft entschlummert und wird
glücklicherweise nicht mehr politisch missbraucht wie Preußen, das ein
Kampfbegriff für Rechtsextremisten geworden ist.