Jetzt hat er es schon wieder getan. Der Ossi. Hat Protestwahl veranstaltet. Will dem Wessi-Bonzenkartell in Berlin eins auswischen. Jahrzehntelang hat er dazu die angeblich linksradikale PDS (später „Die Linke“) gewählt. Hat nicht funktioniert. Die Linke ist längst Teil des Establishments und hat sich einen warmen Platz am großen Schweinetrog gesucht. Jetzt eben rechtsradikal. AfD. Linksrum sind wir nicht weitergekommen, denkt sich der Ossi, jetzt probieren wir es mal rechtsrum. Weil sie es denen da oben zeigen wollen. Denkzettel. Sie wissen schon.
Warum wird in Windeseile aus einem Sozialisten, der er nie war, weil er nämlich gar nicht teilen will, ein Faschist, der er auch nicht ist, weil er gar keine Ausländer kennt? Was will der Ossi? Das ist gar nicht so einfach. Denn in den boomenden Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Potsdam wohnen die Gewinner, die längst die Grünen wählen, die Partei der besserverdienenden Bauernmarktbesucher und birkenstocktragenden Hollandradfahrer. Der Problem-Ossi lebt auf dem Land und er ist abgehängt. Fühlt sich als Bürger zweiter Klasse. Und wissen Sie was? Er hat recht.
Abgehängt. Man liest es so oft. Der Stadtmensch denkt: Soll sich mal nicht so anstellen, der Waldschrat. Gibt doch Internet. Oder der Abgehängte hängt sich selbst wieder an, indem er in die Stadt zieht. Wohnraum ist ja kein Problem. Parkplätze gibt’s hier auch in rauen Mengen. Kita-Plätze bis zum Abwinken. Aber was heißt „abgehängt“ konkret?
Ich berichte aus einem Hunsrückdorf, nennen wir es Schweppenhausen, wo man seit Jahrzehnten systematisch abgehängt wird, aber die AfD zum Glück nicht im Gemeinderat sitzt. In meiner Kindheit gab es im Dorf noch einen Arzt. Alte Leute, die kein Auto hatten, konnten einfach zu Fuß zum Arzt gehen. Dieser Mann hat sogar noch Hausbesuche gemacht. Erklären Sie mal einem Kind, was ein „Hausbesuch“ ist. Das denkt doch gleich ans Jugendamt!
Wir hatten in meiner Kindheit auch einen Bahnhof. Die Strecke wurde vor langer Zeit stillgelegt. Im ganzen Tal. Die Gleise sind noch intakt und werden von der Deutschen Bahn regelmäßig geprüft. Güterzüge, eine Dampflok für Touristen. Geht alles. Könnte man schnell wieder reaktivieren. Stattdessen fährt gelegentlich ein Bus. Sie können aber abends nicht in die Stadt gehen, wenn sie kein eigenes Auto haben. Der letzte Bus von der Kreisstadt fährt um 19:38 Uhr in Richtung Schweppenhausen (Wochenende: 19:36).
Wir hatten mal einen kleinen Supermarkt. Da konnte man auch frische Brötchen und die Zeitung holen. Ältere Bewohner erinnern sich sogar noch an den Dorfbäcker. Es gab mal eine Dorfkneipe und ein Restaurant. Vorbei. Sie bekommen heute nichts mehr in diesem Dorf. Alles ist verschwunden. Auch die Arbeit. Gibt es nur noch in der Stadt.
Der Handyempfang funktioniert bei einigen Netzanbietern gar nicht. Im Nachbardorf kann man keine bewegten Bilder im Internet sehen. Die kennen Netflix oder YouTube nur vom Hörensagen. Wer jung ist und endlich gehen kann, ist sofort verschwunden. Kommt gelegentlich zu Besuch und schüttelt den Kopf über unsere Rückständigkeit. Aus der Stadt kommt nur noch Mitleid und Häme, meistens aber schlichte Gleichgültigkeit.
Niemand redet über die abgehängten Regionen im Westen. Über den Hunsrück, die Pfalz, die Eifel, den Westerwald und den Taunus – um nur mal die Ecken in meinem Bundesland zu benennen. Warum nicht? Weil wir hier nicht durchdrehen und die Nazis wählen. Sonst hätte hier auch mal so ein schickes Kamerateam aus der Hauptstadt aufgeschlagen und würde fragen, was bei uns los ist. Nix. Nix ist hier los. Und es wird auch nicht besser. Das ist das Problem.
Was kann die Politik für die Abgehängten machen? Was kann sie gegen die AfD machen? Politik. Für die Leute „draußen im Lande“, von denen die sogenannten Volksvertreter immer schwadronieren, die sie aber noch nie persönlich getroffen haben. Macht mal was. Nicht reden. Machen. Auch wenn es die Politiker nicht mehr gewohnt sind, ihren Talkshowauftritten und Zeitungsinterviews auch Taten folgen zu lassen. Es könnte so einfach sein. Aber nach der Wahl ist das alles wieder ganz schnell vergessen. Ist ja nochmal gutgegangen.
Bis zum nächsten Mal. Danke für nichts. In der Ferne bellt ein Nazi.