Freitag, 24. Februar 2017
Oscar Wilde: Die Seele des Menschen im Sozialismus
Es liegt mir fern, in diesem Blog Produktwerbung zu machen, aber heute werde ich diese Regel für einen Augenblick suspendieren. Die Edition Nautilus hat den Essay „Die Seele des Menschen im Sozialismus“ von Oscar Wilde aus dem Jahr 1891 neu herausgegeben. Das Buch erscheint am 1. März. Hier einige schöne Zitate aus dem Text.
„Man versucht (…) das Problem der Armut zu lösen, indem man die Armen am Leben erhält; oder, wie es eine sehr fortgeschrittene Schule vorschlägt, indem man sie amüsiert. Aber das ist keine Lösung; es verschlimmert die Schwierigkeit. Das wahre Ziel heißt, die Gesellschaft auf einer Grundlage neu zu errichten, die die Armut ausschließt.“
„In einer Gemeinschaft wie der unsrigen, in der das Eigentum unbegrenzte Auszeichnung, gesellschaftliche Stellung, Ehre, Ansehen, Titel und andere angenehme Dinge dieser Art verleiht, setzt sich der von Natur aus ehrgeizige Mensch das Ziel, dieses Eigentum anzuhäufen, und er sammelt hartnäckig und mühevoll immer neue Schätze an, wenn er schon längst mehr erworben hat als er braucht oder verwenden oder genießen oder vielleicht sogar überschauen kann. Der Mensch bringt sich durch Überarbeitung um, damit er sein Eigentum sicherstellt, und bedenkt man die ungeheuren Vorteile, die das Eigentum bringt, so ist man kaum darüber verwundert. Es ist bedauerlich, dass die Gesellschaft auf einer solchen Grundlage aufgebaut ist, und der Mensch in eine Bahn gedrängt wird, wo er das Wunderbare, Faszinierende und Köstliche seiner Natur nicht frei zu entfalten vermag - wo er in der Tat das echte Vergnügen und die Freude am Leben entbehrt.“
„Es ist fraglich, ob wir jemals die volle Entfaltung einer Persönlichkeit erlebt haben, außer auf der imaginativen Ebene der Kunst. Im Bereich des Handelns haben wir sie nie kennen gelernt.“
„Das Publikum ist immer und zu jeder Zeit schlecht erzogen gewesen. Es hat immer von der Kunst verlangt, dass sie volkstümlich sei, dass sie seiner Geschmacksvorstellung entspreche, dass sie seiner absurden Eitelkeit schmeichle und wiederkäut, was längst bekannt ist, ihm vorführt, wessen es längst müde sein sollte, es unterhält, wenn es sich nach dem üppigen Mahle beschwert fühlt, und es zerstreut, wenn es seiner eigenen Dummheit überdrüssig ist. Die Kunst sollte aber niemals versuchen, volkstümlich zu sein. Das Publikum sollte vielmehr versuchen, künstlerisch zu empfinden. Das ist ein sehr großer Unterschied. Wenn man einem Mann der Wissenschaft sagen würde, die Ergebnisse seiner Forschungen, die Schlussfolgerungen, zu denen er gelangt ist, müssten dergestalt sein, dass sie mit der gängigen Meinung des Publikums übereinstimmen, seine Vorurteile nicht stören oder die Gefühle von Leuten nicht verletzen, die nichts von der Wissenschaft verstehen; wenn man einem Philosophen zugestehen würde, dass er in den höchsten Gedankensphären spekuliert, vorausgesetzt, dass er zu denselben Schlussfolgerungen gelangt wie jene, die niemals in irgendeiner Sphäre nachgedacht haben, nun, der Mann der Wissenschaft und der Philosoph wären heutzutage darüber regelrecht erheitert. Und doch ist es nur wenige Jahre her, seit Philosophie und Wissenschaft einer brutalen öffentlichen Kontrolle unterworfen waren - genauer gesagt der Autorität der allgemeinen Unwissenheit der Gesellschaft oder dem Terror und der Machtgier einer geistlichen oder regierenden Klasse.“
„Die wahre Persönlichkeit des Menschen wird wunderbar sein, wenn sie in Erscheinung tritt. Sie wird natürlich und einfach wachsen, wie eine Blume oder wie ein Baum wächst. Sie wird nicht zwiespältig sein. Sie wird nicht überreden wollen und nicht streiten. Sie wird nichts beweisen wollen. Sie wird alles wissen. Und doch wird sie sich nicht um das Wissen bemühen. Sie wird Weisheit besitzen. Ihr Wert wird nicht an materiellen Maßstäben gemessen werden. Sie wird nichts ihr eigen nennen. Und doch wird sie über alles verfügen, und was immer man ihr wegnimmt, wird sie nicht ärmer machen, so groß wird ihr Reichtum sein. Sie wird sich anderen nicht aufdrängen oder verlangen, wie sie selbst zu sein. Sie wird sie lieben, weil sie so verschieden sind. Und gerade weil sie sich nicht um die andern kümmert, wird sie allen helfen, wie etwas Schönes uns hilft, durch das, was es ist. Die Persönlichkeit des Menschen wird wundervoll sein. So wundervoll wie das Wesen eines Kindes.“
„Alle Arten des Regierens erweisen sich als Missgriff. Der Despotismus ist ungerecht gegen alle, auch gegen den Despoten, der vielleicht zu etwas Besserem bestimmt war. Oligarchien sind ungerecht gegen die vielen, und Ochlokratien sind ungerecht gegen die wenigen. Einmal hat man große Hoffnungen in die Demokratie gesetzt; aber Demokratie ist nichts anderes als das Niederknüppeln des Volkes durch das Volk für das Volk. Das ist erwiesen. Ich muss sagen, es war höchste Zeit. Denn jede Autorität erniedrigt. Sie erniedrigt gleichermaßen Herrscher und Beherrschte. Wird sie gewalttätig, brutal und grausam ausgeübt, so ruft sie eine positive Wirkung hervor, indem sie den Geist der Revolte und den Individualismus anstachelt, der sie vernichten soll. Wird sie mit einer gewissen Großzügigkeit ausgeübt und werden Preise und Belohnungen vergeben, so ist ihre Wirkung furchtbar demoralisierend. In diesem Fall werden sich die Menschen des furchtbaren Druckes, der auf ihnen lastet, weniger bewusst und gehen in einer Art von vulgärem Wohlbehagen durch das Leben wie zahme Haustiere, ohne jemals zu erkennen, dass sie wahrscheinlich die Gedanken anderer Menschen denken, nach den Normen anderer Menschen leben, dass sie gewissermaßen nur die abgelegten Kleider der anderen tragen und niemals, auch nicht einen Augenblick lang, sie selbst sind. »Wer frei sein will«, sagt ein kluger Kopf, »darf sich nicht anpassen.« Und die Autorität, die den Menschen zum Konformismus verleitet, bewirkt unter uns eine sehr grobe Form der übersättigten Barbarei.“
„Handarbeit ist durchaus nicht etwas, das Würde verleiht, zumeist ist sie absolut erniedrigend. Irgendetwas zu tun, das man ohne Freude ausführt, ist geistig und moralisch verwerflich, und viele Arbeiten sind völlig freudlose Tätigkeiten und sollten auch als solche betrachtet werden. Eine schmutzige Straßenkreuzung während acht Stunden des Tages bei scharfem Ostwind zu fegen, ist eine widerliche Beschäftigung. Sie mit geistiger, moralischer oder körperlicher Würde zu fegen, scheint mir unmöglich. Sie mit Freude zu fegen, erscheint mir geradezu ungeheuerlich. Der Mensch ist für Besseres geschaffen, als Dreck aufzuwirbeln. Alle diese Arbeiten sollte eine Maschine ausführen.“
„Ich zweifle nicht, dass das einmal der Fall sein wird. Bislang ist der Mensch in gewissem Sinne der Sklave der Maschine gewesen, und es liegt etwas Tragisches in der Tatsache, dass er zu hungern begann, sobald er Maschinen erfand, die seine Arbeit verrichten. Dies ist jedoch nur das Ergebnis unserer Eigentumsordnung und unseres Wettbewerbssystems. Ein Einzelner ist Eigentümer einer Maschine, die die Arbeit von fünfhundert Menschen leistet. Dadurch sind fünfhundert Menschen arbeitslos, und weil sie keine Beschäftigung haben, fallen sie dem Hunger und dem Diebstahl anheim.“
„Gegenwärtig konkurriert die Maschine mit dem Menschen. Unter den richtigen Verhältnissen wird die Maschine dem Menschen dienen. Dies ist ohne Zweifel die Zukunft der Maschine; und so wie die Bäume wachsen, während der Landwirt schläft, so wird die Menschheit sich vergnügen oder sich der geistvollen Muße hingeben - denn Muße, nicht Arbeit ist das Ziel des Menschen -, oder sie wird schöne Dinge hervorbringen oder schöne Dinge lesen oder einfach die Welt mit Bewunderung und Entzücken betrachten, während die Maschine die notwendige, unangenehme Arbeit verrichtet. Es ist eine Tatsache, dass die Zivilisation Sklaven erfordert. Darin hatten die Griechen ganz recht. Wenn nicht Sklaven die hässliche, unangenehme, uninteressante Arbeit ausführen, werden Kultur und Kontemplation beinah unmöglich sein. Menschliche Sklavenarbeit ist unrecht, inkonstant und demoralisierend. Von der Sklavenarbeit der Maschine, dem mechanischen Sklaventum, hängt die Zukunft der Welt ab.“
„Eine Weltkarte, die das Land Utopia nicht enthielte, wäre nicht wert, dass man einen Blick darauf wirft, denn auf ihr fehlte das einzige Land, in dem die Menschheit immer landet. Und wenn die Menschheit dort gelandet ist, hält sie wieder Ausschau, und sieht sie ein schöneres Land vor sich, setzt sie die Segel. Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.“
Wenn man nicht wüsste wann es geschrieben wurde, könnte man es für aktuell halten, da man es weiß, müsste man vor der Aktualität erschrecken.
AntwortenLöschen(Den Soundtrack für den letzten Absatz haben Alphaville vor 31 Jahren gemacht. In deren Utopia kommt Mr. Wilde allerdings nicht vor. Könnte natürlich daran liegen, dass sie nur einen Nachmittag da waren.)