Donnerstag, 22. Dezember 2016
Lukasz Urban
Vielleicht liegt es an den beiden polnischen Arbeitern, denen ich seit vorgestern zuschaue? Sie haben schweres Gerät mitgebracht, Kettensägen und Laubbläser. Am Ende jeden Jahres kommen die beiden Männer, sie sind etwa in meinem Alter, und erledigen die Arbeiten, für die mir die Werkzeuge und die Fähigkeiten fehlen. Zuverlässige Menschen einer Gartenbaufirma, die sich seit Jahrzehnten um unser Grundstück kümmert. Wenn sie hier fertig sind, fahren sie zu ihren Familien nach Polen, um Weihnachten mit Frau und Kindern zu feiern.
Stunde um Stunde sehe ich sie arbeiten, während ich am Schreibtisch sitze. Sie geben den Hecken wieder eine gerade Linie, vormals kugelförmige Büsche werden wieder kugelförmig, ich sehe plötzlich wieder ein Nachbarhaus, eine efeuumrankte Bank und das Gartenhäuschen, an dessen Außenwand das Kaminholz gestapelt ist. Ich werde nachdenklich. Zwei fleißige Männer. Und ich? Ich habe etwa fünfhundert Seiten Text in diesem Jahr produziert, aber es kommt mir wertlos vor. Ich liege auf dem Sofa und lese James Purdy. Einer der Männer kommt mit einem Korb Grünschnitt am Fenster vorbei und ich habe plötzlich ein schlechtes Gewissen.
Vielleicht liegt es an den beiden polnischen Arbeitern, dass ich immer wieder an Lukasz Urban denke. Ein Pole. Sicher hätte er in dieser Woche auch gerne mit seiner Familie Weihnachten gefeiert. Aber er hatte nicht so viel Glück wie Sie und ich. Er saß neben dem Mörder vom Breitscheidplatz in jenem schwarzen Lastwagen, unter dessen Rädern zwölf Menschen starben. Er hat dem Mörder ins Lenkrad gegriffen und dafür mit seinem Leben bezahlt. Er ist ein Held. Er hat vielen Menschen das Leben gerettet. Er ist gestorben, damit wir leben können. Einer dieser stillen Polen, die für uns die Drecksarbeit machen. Einer dieser Polen, deren Namen wir nicht kennen.
Heute stehen die Deutschen wieder auf dem Weihnachtsmarkt, klopfen sich auf die Schultern und freuen sich, dass sie noch leben. „I survived Weihnachtsmarkt 2016“ – gibt’s das schon als T-Shirt? Der Deutsche gibt sich lässig, unbeeindruckt. Wir machen einfach weiter. Die Terroristen wollen doch, dass sich unser Leben ändert. Den Gefallen tun wir ihnen nicht. In Wirklichkeit machen wir einfach weiter, weil wir eiskalt sind. Ohne Gefühl. Wie der Bundesinnenminister, der so kalt ist wie die Hände der zitternden Nutten, die im Winter an der Kurfürstenstraße stehen.
Schweigen ist reden ohne Worte! *♥seufz*
AntwortenLöschen...bzw. -> ich habe keine Worte ;(
Löschen"Schön" gesagt (also besser gut).
AntwortenLöschenDie Medien hier in der Gegend lassen dem Mann noch nicht mal sein Nachnamens-Initial sondern benutzen nur den Vornamen. War ja kein Deutscher...
Mein Stiefvater schickte gestern Nachricht, die Fernfahrer, auch wenn sie ihn nicht kannten, die er trifft denken alle an diesen Mann. Das hätte auch jedem von denen passieren können, aber niemand weiß ob sie auch den Mut gehabt hätten.
Es ist gut, dass Sie an diesen tapferen Mann erinnern.
AntwortenLöschenKein Aufheben drum machen, ist nicht gleichbedeutend mit Herzenskälte.
AntwortenLöschenVielleicht Ratlosigkeit. Ich glaube, viele machen das mit sich selber aus. Auch den Respekt vor den Toten, vor allem des gekidnappten, abgestochenen und offenbar dennoch so tapferen LKW-Fahrers. Der wird von niemandem vergessen. Dass Namen nicht genannt werden, soll wohl eher die Angehörigen schützen vor der Meute von RTL Fuzzis.
Der Lebenslauf des Täters wird opulent ausgebreitet, von den Toten erfahren wir so gut wie nichts. Bisher sind sechs Leichen identifiziert, kein einziger Berliner war bisher darunter. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Leute in Berlin es so locker sehen. Blut aufgewischt - und drei Tage später gibt's am selben Ort wieder Glühwein. Das ist für mich eher Verdrängung oder die Unfähigkeit zu trauen als Ratlosigkeit und Introvertiertheit.
LöschenLocker sieht das niemand. Die Büdchen sind wieder auf, weil die Leute ihren Lebensunterhalt damit verdienen. Mulmig ist denen bestimmt. Gleichwohl, aus Pietät hätte man diesen Weihnachtsmarkt unbedingt schließen müssen.
LöschenUnd Verdrängung gehört unbedingt dazu. Ein Schutzmechanismus, der nicht mal bewusst gewählt wird. Manche sind zu manchen Zeiten sehr durchlässig und verzweifeln an Trauer und Angst. So schrecklich das sich anhört: niemanden geht es besser und die Toten werden nicht mehr wach, wenn ich selbst vor Kummer nicht mehr schlafen kann. Das hört sich kaltherzig an, aber so ist das überhaupt nicht gemeint. Aber wie gesagt, das durchlässige sucht sich auch niemand aus.
P.S. Ich wünsch dir frohe Tage. Feierst du wieder mit den wunderbaren Sekretärinnen?
LöschenGenau. Nr. 1 holt mich gleich ab, Nr. 2 hat Geburtstag und Nr. 3 kommt auch. Auftakt zu einem mehrtägigen Kalorienfestival ... dir auch schöne Tage, liebe Annika!!!
LöschenBedenklich finde ich abscheulich tendenziöse aber den Zustand der deutschen Massenmedien entlarvende live Kommentare, parallel zu Bildern der Kanzlerin auf dem Weihnachtsmarkt am Di. 20.12.2016 um 15:26 :
AntwortenLöschen"... unklar ist ob es sich nicht vielleicht um einen Streit betrunkener polnischer Fahrer handelt !!! ". Das live auf ntv von Redakteur Michael Behrend "Die Welt".
Ja klar. Die Polen fliegen ja auch besoffen, wie der Absturz der Präsidentenmaschine in Smolensk "beweist".
so wurde über lukasz berichtet in den deutschen medien. ich habe dies selber live gesehen und habe mich gefragt, ob unsere nachbarn noch alle tassen im schrank haben. wenn in warschau ein deutscher lastwagen menschen überfahren hätte. dann gäbe es solche spekulationen nicht. weil sie pietätslos sind meiner meinung nach.
ich für meinen teil bin jedenfalls davon überzeugt, dass er ins steuer gegriffen hat. da der schwenker keinen sinn ergibt sonst. und auch sehr wahrscheinlich ist, dass ihn seine letzte aktion das leben gekostet hat.
schade auch wie die deutschen medien ein bild von polen malen, als ob es sich um das 3te reich handeln würde. ja unsere politiker sind nicht besonders toll. aber uns als nazis bezeichnen von den linken hippie medien in deutschland. ist im grunde genommen nichts anderes als vor 70zig jahren. damals waren wir dumme polacken untermenschen und heute sind wir dumme rassistennazis. immer das gleiche und immer von oben herab.
und dies finde ich ehrlich gesagt schade. da wir beide von einander proftieren könnten. und sollten als direkte nachbarn. und ich hoffe dies wird mal ehrlich von eurer seite versucht.
anstatt zb ins fass ohne boden (griechenland) weiter geld zu versenken, könnte man zb polizeistellen in ostdeutschland finanzieren. damit könnte man die polnischen diebe jagen. was unseren ruf vielleicht in ostdeutschland auch verbessern würde. denn im gegensatz zur schweiz. sind wir gerne bereit kriminelle zu jagen. und machen kein bankgehemniss um eure steuern zu stehlen...