Donnerstag, 31. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 7, Szene 3
Sie parkte ihren Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, blickte noch einmal in den Rückspiegel, um ihr Aussehen zu kontrollieren, und stieg dann aus.
Die Böcklinstraße lag in der vornehmen Berliner Vorstadt Potsdams, wo auch Teile der überregional bekannten Prominenz wie Günter Jauch oder Thomas Gottschalk logierte. Sie trug immer noch ihr schwarzes Kostüm von Prada, das sie für Altmanns Beerdigung auf dem Dahlemer St. Annen-Friedhof angezogen hatte.
Trajan Feldmüller empfing sie auf seiner Terrasse.
„Ich grüße Sie, Herr Feldmüller.“
„Guten Tag. Das ist ja eine Überraschung.“ Herr Feldmüller sah sie über die Lesebrille hinweg an und ließ das Einrichtungsmagazin in den Schoß sinken.
Sie lächelte. „Sie erinnern sich doch sicher noch an unser Telefonat?“
„Selbstverständlich! Setzen Sie sich doch. Ist es schon so spät? Mein Gott, Sie sind ja richtig pünktlich. Ich weiß das sehr zu schätzen. In meiner Branche ist Unpünktlichkeit leider weit verbreitet.“
Feldmüller war Modedesigner und spielte mit dem Gedanken, sich in der Berliner Innenstadt ein weiteres Atelier einzurichten. Sie setzte sich und unterdrückte dabei den Impuls, die Unterlagen aus ihrer Umhängetasche zu nehmen.
Ein Hausmädchen kam mit einem Tablett und servierte Darjeeling in Meissner Porzellan.
„Darf ich Ihnen etwas anderes als Tee anbieten?“
„Vielen Dank. Sehr freundlich.“ Sie ließ den Blick über seinen üppig wuchernden Garten schweifen. „Sehr schön haben Sie es hier. Und so schön ruhig.“
Feldmüller seufzte theatralisch. „Ein wenig zu ruhig. Und der Weg abends aus der Stadt ist doch sehr weit, wenn man mal ein bisschen mit Freunden unterwegs war. Deswegen habe ich mir gedacht, wir sollten uns mal kennenlernen.“
Sie aktivierte ihr schönstes Lächeln. „Da habe ich genau das richtige für Sie.“
Und während sie ihr Verkaufsgespräch begann, hob sie ganz entspannt ihre Tasche auf den Schoß und holte eine kleine Mappe hervor: Das Prospekt.
„Es ist eine ehemalige Bibliothek, die wir dem Bezirk Mitte abkaufen konnten. Das Gebäude hat insgesamt fünf Stockwerke, wobei die oberen vier für Lofts vorgesehen sind. Das bietet Ihnen den Vorteil, dass Sie die Raumaufteilung individuell gestalten können …“
Und während sie sich selbst zuhörte, war sie sich absolut sicher, dass sie heute einen Geschäftsabschluss unter Dach und Fach bringen würde. Verkauft!
Marion Sutter würde nicht die gleichen Fehler machen wie die alten Männer. Es gab eine kostspielige Marketingstrategie, fundierte Bodenanalysen zum Baugrundstück, Dossiers zur interessierten Kundschaft und eine finanzielle Absicherung des Projekts über einen Hedge-Fonds. Es würde keine Schwierigkeiten mehr geben. Keine Probleme, die man mit einem kleinen Feuer beseitigen müsste. Mit ein paar Grillkohleanzündern, die man sich im Sommer an jeder Tankstelle besorgen konnte, wie man es überall in den Zeitungsartikeln zur Brandserie nachlesen konnte. Altmann hatte den Fehler gemacht, Altmann hatte für diesen Fehler bezahlt. Sollte sie seine Schuld ewig als ihre Schuld ansehen? Was wäre passiert, wenn Altmann die Entführung überlebt hätte? In seinem Zorn hätte er vielleicht das ganze Unternehmen und damit auch ihre Karriere ruiniert. Altmann war ein Versager gewesen, das hatte sie früher erkannt als andere.
Als sie wieder in ihrem Auto saß, blickte sie zufrieden auf das Display ihres iPhones. Der Täter war gefunden, alle Medien berichteten darüber. Ausgezeichnet, dachte sie, es gibt sogar schon einen Sünder für meine Taten. Als sie in jener Nacht an einem brennenden Wagen vorbei gefahren war, hatte sie die Idee gehabt. Wieso sollte sie Altmann helfen? Der hatte mich doch schon auf der Abschussliste, dachte Sutter. Der wusste, dass ich in den Westen zurück wollte und mich bei der Konkurrenz beworben hatte. So etwas spricht sich leider schnell herum in der Branche. Aber jetzt bist du tot und ich bin die Chefin. Mir kann nichts mehr passieren und nur darum geht es im Leben. Ich bin oben und ich bin sicher. Nur dieser alte Herr Busch gefällt mir nicht. Für den lieben Kollegen muss ich mir also etwas Besonderes einfallen lassen. Vielleicht eine kleine Dienstreise zu unseren Geschäftsfreunden auf dem Balkan?
Sie steckte ihr Telefon in die Jackentasche, startete den Wagen und fuhr in Richtung Innenstadt. Heute würde sie sich mit einem Menü bei Borchardt in der Französischen Straße in Mitte belohnen, dem Treffpunkt der Schönen und Reichen der Hauptstadt. Das Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat soll dort vorzüglich sein. Wieso sollte sie sich ewig schuldig fühlen? Sie war endlich frei und führte das Unternehmen nach ihren Vorstellungen. Vor Glück und Erleichterung hätte sie schreien können, als sie auf der Schwanenallee in Richtung Glienicker Brücke fuhr. Dieses Gefühl war unglaublich, es war besser als alles was sie jemals erlebt hatte. Das Leben lag in ihren Händen, alles lief bestens.
Lützenkirchen - Drei Tage Wach. https://www.youtube.com/watch?v=EYG-cqyMdgs
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