Mittwoch, 30. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 6, Szene 9
Manfred „Hermann“ Schurack hatte ein Gesicht wie ein Lederportmonnaie nach zehn Jahren Gesäßtasche. In seiner Jugend, zu DDR-Zeiten, war er Diskuswerfer gewesen, hatte aber die Leistungsnormen für die großen Wettkämpfe nicht geschafft. Nach Jahren auf Baustellen und Motorrädern war seine Haut an Wind und Wetter gewöhnt. Besser, als jetzt am Eingang der Villa den Türsteher spielen müssen wie Ronny, dachte Hermann.
Da alle Einsatzkräfte für die Jagd nach dem Brandstifter in der Innenstadt gebraucht wurden, hatte der Polizeipräsident ein paar verlässliche Kräfte des Köpenicker Fußballvereins Union rekrutiert, die für hundert Euro pro Nase die Security übernommen hatten. Die vier Jungs hatten keine Vorstrafen und kein Stadionverbot. Da musste Daniel Burckhardt vorsichtig sein, sonst würde sich die Presse wie eine Meute Geier auf ihn stürzen. Notfalls waren ja auch noch er selbst und etliche Gäste erfahrene Polizeibeamte. Hier draußen in Schmöckwitz war es ruhig, der eine oder andere Selbstmord, sonst nichts.
Sie waren zu viert: einer an der Haustür, einer auf dem Parkplatz, einer auf dem Rasen an der Wasserfront und einer als strategische Reserve, falls jemand auf Toilette musste oder krank wurde. Hermann war der Älteste von ihnen und ärgerte sich über die jungen Leute. Zu faul zum Arbeiten und zu jung zum Sterben, dachte er. Die Jungs hielten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, ansonsten nur Saufen und Fußball im Kopf. Dabei hatten sie in ihrem Alter noch alle Möglichkeiten. Er verstand nicht, wie man sein Leben so wegwerfen konnte.
Er stand im Dunkeln zwischen den Wagen und dachte an den Kommissar, der am Ende der Straße in einem uralten Japaner hockte und auf irgendetwas wartete. Wieso ging der Mann nicht zu seinem Chef auf die Party? Hatte wohl keine Einladung, war nicht wichtig genug, traute sich nicht. Auch so ein kleines Rädchen, dachte Hermann. Auch so einer, der sich irgendwie durchschlägt und sich wegduckt, wenn es nicht anders geht.
Auf dem Rasen hinter dem Haus ging es hoch her. Laute Musik, Gelächter, gelegentlich ein hysterisches Weiberkreischen. Hermann war froh, dass er nicht bei dieser aufgedrehten Partygesellschaft stehen musste. Da war ihm seine Arbeit am Zapfhahn im braunen Haus in der Weitlingstraße lieber. Da musste man nicht den hohen Herrn in den Arsch kriechen, da wurde Klartext gesprochen. Und es war nicht so ein Lärm. Der Krach machte einen auf Dauer ja ganz verrückt. Er beschloss, eine kleine Runde zum Ende der Straße und zurück zu drehen. Vielleicht noch zwei Stunden, dann wäre es geschafft. Sicher würden die Security-Leute noch die Reste vom Buffet und ein paar Flaschen Bier mit nach Hause bekommen. Darauf freute er sich schon. Morgen konnte er gemütlich im Bett bleiben, freier Tag.
Er ging fast bis zum Toyota des Kommissars, nickte kurz ins dunkle Innere des Wagens und ging dann zurück.
War da nicht was? Hatte er nicht gerade eine Bewegung gesehen? Seine Augen waren nachts nicht mehr so gut, aber er hatte sich geschworen, niemals zu einem Optiker zu gehen. Brillen sahen einfach schwul aus und Kontaktlinsen waren nichts in seinem Geschäft. Abends hätte er bei seinen Promillewerten die Kontaktlinsen ohnehin nicht mehr aus den Augen bekommen.
Zwischen zwei Fahrzeugen flammte ein kleines Licht auf. Als hätte jemand ein Streichholz angezündet. Er ging auf das Licht zu.
Auf dem Vorderreifen eines schwarzen BMW der Siebener Reihe brannte etwas. Er zog hastig ein Messer und schob das brennende Ding vom Reifen. Dann trat er es aus.
Plötzlich hörte er durch den Partylärm ein Geräusch, das ganz nah war. Auf dem Kies des Parkplatzes knirschte es. Er drehte sich um und sah einen Schatten davon huschen.
Die dunkle Gestalt lief zwischen zwei Wagen hindurch und wollte auf die Straße. Hermann rannte instinktiv los und schrie: „Halt!“
Die Gestalt blieb stehen und zeigte Hermann ihr Gesicht. In den Händen hielt sie ein Feuerzeug und ein Stück Grillkohleanzünder.
Hermann kam näher, doch der bärtige junge Mann blieb einfach stehen und richtete sich sogar auf.
Das ist er, schoss er Hermann durch den Kopf. Das ist die Sau!
„Hab ich dich endlich erwischt. Du hast Altmann auf dem Gewissen.“
„Dieses rechtsradikale Bonzenschwein? Geschieht ihm Recht.“
Hermann ballte zornig die Fäuste. „Dafür wirst du büßen, du Ratte!“
Merck lachte nur verächtlich. „Bist du alleine? Ihr Rohrkrepierer fühlt euch doch nur in der Gruppe stark. Wo ist deine Verstärkung?“
„Fang an, um dein Leben zu laufen. Ich krieg dich sowieso.“
„Du aufgedunsenes Stück Schweinescheiße kriegst mich doch nie im Leben.“ Mercks Tonfall war hochnäsig geworden, er fühlte sich unangreifbar.
„Das muss ich auch gar nicht. Wir machen euch alle fertig, einer nach dem anderen.“
„Ihr wollt Krieg gegen uns führen? Euch fehlen die Leute, die Waffen und euch fehlt schlicht die Intelligenz.“
Hermann lachte kurz auf. „Du bist doch nur ein Blender, ihr habt gar nichts. Seit Jahren nur ein bisschen Sprengstoffanschläge auf Bahnstrecken, das ist doch albern. Wir schaffen Fakten. Ich sage nur: Dönermorde.“
Merck wurde wütend. „Wir töten keine Menschen, weil wir gesehen haben, dass uns die Gewalt nicht weiter gebracht hat. Aber wir sind immer noch jederzeit in der Lage, innerhalb von achtundvierzig Stunden jedes Personenziel in dieser Republik zu liquidieren, wenn wir das wollen. Du glaubst nicht, wie schnell wir eine unserer Kommandoeinheiten aktiviert haben.“
„Das ist doch nur Geschwalle, ihr seid doch seit der RAF tot. Nur noch Schwätzer.“
„Das kannst du ja gerne mal ausprobieren. Euer versoffener Sauhaufen hat sich ja vorgenommen, die Dönerstände einzeln zu bekämpfen. Viel Spaß, ihr Holzköpfe.“
„ Mit Demonstrationen erreicht ihr doch nichts, das habt ihr doch schon gemacht, als ich noch ein kleines Kind war. Gebracht hat es nichts.“ Hermann würde ihm gleich die Faust in seine arrogante Fresse donnern und ihn dann persönlich beim Polizeipräsidenten abliefern. Diese Plaudertaschen hatten doch keine Ahnung von Nahkampf.
Merck redete sich in Wut. „Wir haben eure Adressenlisten, deine Adresse haben wir bestimmt auch schon. Eure Internetseiten zu hacken ist ja nicht schwer. Wenn ihr richtig Krieg wollt, könnt ihr das haben. Ihr kriegt ein paar Hundert Deppen auf die Straße, wir garantiert zehntausend. Wir werden Euch jagen wie Ratten und wenn du glaubst, dass du hier glücklich wirst, dann täuscht du dich gewaltig. Du wirst nicht unter uns wohnen und du wirst deine Kinder nicht mit unseren Kindern großziehen. Wir werden dich und deine Familie kaputt machen und wir werden nicht damit aufhören, bis du endlich von hier verschwunden bist. Verpiss dich einfach von hier, du asoziales Stück Rattenscheiße aus der Gosse. Nazi-Ungeziefer sollte sich eh nicht fortpflanzen.“
Hermann blieb unbeeindruckt. „Ihr seid doch nur Feiglinge, linker Polackenabschaum. Was wollt ihr denn gegen uns machen?“
„ Wir kommen einfach zu deinem Haus. Immer wieder. Und egal, wie oft du uns verjagst – wir kommen zurück. Wir sind schlimmer als Zigeuner, wir holen unsere Familien und unsere Freunde dazu. Es wird immer aggressiver und es hört nie auf. Und dann gehen wir zu deiner Schwester, dieser arischen Hure. Deine Nichte spielt völlig unbewacht, hast du darüber mal nachgedacht? Du musst lebensmüde sein, wenn du gegen die militante Antifa in den Krieg ziehen willst. Kein Mensch kann dir dann noch helfen. Wir werden dich Tag für Tag in deinem versifften Dreckloch zermürben und wenn du vor die Tür gehst, sind immer zwei von uns bei dir. Sie setzen sich zu dir an den Tisch im Restaurant, sie stehen in der Supermarktschlange hinter dir und sie fragen dein kleines Kind auf dem Spielplatz, ob es durstig ist. Hast du es verstanden? Wir wollen hier keine Nazis!“ Er blickte ihn wütend an, seine tränengefüllten Augen glänzten wie Leuchtfeuer.
Hermann sah über die Schulter von Merck. Vom Haus näherte sich einer von den Jungs, der den Streit offenbar gehört hatte. Er redete einfach weiter. „Mach dich doch nicht lächerlich. Wie viele seid ihr denn?“
„Wir sind überall und es gibt für dich und deine verpissten Kameraden auch überall einen Ansprechpartner in Sachen aufgesetzter Genickschuss.“
„Guck dir doch mal deine dämliche Hackfresse im Spiegel an, du Ungeziefer! Welcher Hund hat eigentlich deine Mutter gefickt, dass du so eine Visage hast?“
Kommissar Leber hatte längst mitbekommen, dass der Brandstifter tatsächlich in die Falle gegangen war. Da stand der Mann, den ganz Berlin suchte, und stritt sich mit einem Parkplatzwächter herum.
Ganz langsam war er aus dem Wagen gestiegen. Das Öffnen der Tür ging im Partylärm unter. Er schlich gebückt an den hinteren Rand des Parkplatzes, wo ein hoher Lattenzaun das Grundstück des Polizeipräsidenten vor unliebsamen Blicken schützte. Dann pirschte er sich Meter für Meter in den Rücken des Täters, der mit dem Security-Menschen lautstark diskutierte.
Als er in der richtigen Position war, sprang er von hinten auf den Mann in der dunklen Kapuzenjacke zu und trat ihm die Beine weg. Bevor sich der Täter noch einmal bewegen konnte, kniete Leber schon auf ihm und drehte ihm den Arm auf den Rücken.
„Keine Bewegung! Polizei! Sie sind verhaftet.“
Dann legte er dem Brandstifter die Handschellen an.
In Hermanns Blick sah man die Enttäuschung. Er hätte den Typen gerne mit den Jungs fertig gemacht, bevor sie ihn der Polizei übergeben hätten.
Fettes Brot – Jein. https://www.youtube.com/watch?v=tcV7VN3l3bY
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