Montag, 28. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 4, Szene 6
Flughafen Tegel. Während die Augustsonne durch die Glasfassade des Terminalgebäudes gleißte, warteten die beiden österreichischen Auftragsmörder geduldig auf ihre Koffer.
Der Schalter des deutschen Zolls war heute ausnahmsweise besetzt, überall wurde nach den Anschlägen vom gestrigen Tag Alarmbereitschaft demonstriert.
Derfflinger, ein braungebrannter, breitschultriger Glatzkopf mit hellgrünen Augen und hellgrauem Maßanzug kam problemlos an den Zollbeamten vorbei.
Swoboda war ein kleiner hagerer Mann in einem schlecht sitzenden dunkelblauen Anzug, den er vermutlich von seinem Vater geerbt hatte.
„Darf ich bitte Ihren Personalausweis sehen“, sagte die blondgelockte Zollbeamtin mit einem angedeuteten Lächeln.
„Warum gerade ich?“ fragte Swoboda ungeduldig.
Derfflinger hörte es und ging einfach weiter. Das war wieder typisch Swoboda. Old School. Sein Partner war Anfang fünfzig und hatte insgesamt über zehn Jahre in der Justizanstalt Wien in der Josefstadt eingesessen. Man sah ihm seine kriminelle Vergangenheit schon von weitem an. Im Gefängnis hatte er auch den Kontakt zu den technischen Entwicklungen verloren. Während Derfflinger immer das neueste Modell von Apple dabei hatte, sah Swobodas Mobiltelefon aus wie ein Walkie-Talkie aus einer alten Flipper-Folge.
„Allgemeine Personenkontrolle. Würden Sie mir bitte Ihren Ausweis zeigen?“
Swoboda kramte in den Innentaschen seines fürchterlichen Jacketts und zog eine abgewetzte braune Brieftasche hervor.
Die Beamtin nahm das Dokument und tippte die Daten ein. Während sie wartete, fragte sie: „Woher sind Sie jetzt gekommen?“
„Wien. Mit der Austrian Airlines.“
„Gehört zur Lufthansa, oder?“ fragte sie mit einem Grinsen und gab ihm seinen Ausweis zurück. „Angenehmen Aufenthalt“, sagte sie zum Abschied. Falls ihr sein umfangreiches Vorstrafenregister aufgefallen war, hatte sie sich jedenfalls nichts anmerken lassen.
Vor dem Terminal wartete schon Derfflinger mit seiner schwarzen Umhängetasche, Swoboda zog mit gesenktem Haupt einen Rollkoffer hinter sich her. Derfflinger öffnete die Tür des ersten Taxis in der Schlange und ließ sich auf die Rückbank gleiten. Der Fahrer drehte sich um und sah zunächst Swoboda, dann Derfflingers sonnengebräunten Schädel. Er stieg aus, wuchtete Swobodas Koffer in den Kofferraum und setzte sich wieder ans Steuer.
„Wo soll es hingehen?“
„Waldorf Astoria.“
Der Fahrer pfiff leise durch die Zähne, legte den ersten Gang ein und fuhr los. Das Waldorf Astoria Berlin lag direkt am Breitscheidplatz, wo die Ruine der Gedächtniskirche gerade mit Millionenaufwand renoviert wurde. Derfflinger hatte hier zwei Einzelzimmer für eine Nacht gebucht, denn gerade in den Nobelhotels war man vor der Polizei naturgemäß am besten geschützt. Der Chef trug die Spesen gerne, wenn im Gegenzug solide Arbeit abgeliefert wurde.
Zwei Stunden später saßen die beiden Österreicher am fein gedeckten Tisch des „Züri“, eines Schweizer Lokals in der Sächsischen Straße. Das Restaurant war nur wenige Minuten zu Fuß vom Hotel und vom Ku’damm entfernt. Derfflinger hatte ein „Chalbs-Steak Pilzi und Röschti“ genossen, das Flaggschiff der Hauptspeisenkarte, während Swoboda schlecht gelaunt in einer kleinen Portion Tessiner Lachs Risotto herumgestochert hatte. Er war magenkrank und war im Laufe des Lebens immer dünner geworden. Seine ungesunde Gesichtsfarbe wechselte jedes Jahr zwei Mal zwischen winterlichem Grau und sommerlichem Gelb.
Walter Busch, der ältere Herr von der Maximum AG, betrat das Restaurant, schaute sich ein wenig um und erkannte die beiden Österreicher.
Derfflinger nickte ihm kurz zu, Busch trat näher und setzte sich zu ihnen.
„Sie sind Herr Busch, nehme ich an.“
„Ganz richtig.“
„Haben Sie alles organisiert.“
„Selbstverständlich.“
Ein Kellner kam und Busch bestellte sich eine Tasse Kaffee. Es gab Kellner, die für ihren Beruf geboren wurden, und es gab Kellner, die wirkten in einem guten Restaurant wie schlechte Schauspieler. Erstere kann man in Wien besichtigen, letztere in Berlin, dachte Derfflinger. Der kaum ein Meter siebzig große breitschultrige Mann mit dunklenblondem Borstenschnitt wirkte auf ihn wie ein Prototyp der Berliner Gastronomie: früher als „DJ Feinripp“ in Clubs Platten aufgelegt, dann Messebau, Drogenhandel, Knast und jetzt eben Kellner. Niemand schien hier den Beruf des Kellners wirklich gelernt zu haben.
Als der kleine Ober wieder fort war, blickte Busch sich vorsichtig im Lokal um. Dann zog er einen unbeschrifteten und verschlossenen weißen Umschlag aus der Jackentasche und schob ihn zu Derfflinger hinüber. Er hatte den jungen drahtigen Typen gleich als Macher identifiziert. Swoboda sah nur aus trüben blutunterlaufenen Augen zu.
„Der Schlüssel gehört zu einem Schließfach im Bahnhof Zoo. Das ist direkt gegenüber von ihrem Hotel.“
„Geht das alles nicht einfacher? Der Chef will Ergebnisse sehen.“ Derfflinger runzelte die gewaltige Stirn.
Normalerweise reiste er zu seinen Aufträgen mit der Eisenbahn und seiner heißgeliebten Glock 38 an, um lästigen Kontrollen zu entgehen (außerdem ließ sich in einem Zug alles Mögliche verstecken). Es gab zwar als Prototypen auch eine Glock aus Keramik, die jedoch weder legal noch illegal zu kaufen war. Eine Keramikwaffe und die entsprechende Munition konnten von einem Metalldetektor nicht erkannt werden. Das wäre perfekt für eine Flugreise gewesen, dachte Derfflinger. Natürlich konnte man auch eine Waffe zerlegen und die Einzelteile mitsamt einer umfangreichen Fotoausrüstung als Gepäck aufgeben, aber dies erschien ihm angesichts der Dringlichkeit des Auftrags als zu riskant.
„Wir hatten einen Anschlag auf unser Hauptquartier, wie Sie ja wissen. Die Räume sind von der Polizei versiegelt worden. Da musste ich kurzfristig umdisponieren.“
„Gut. Bleiben Sie noch ein wenig sitzen. Ich werde gleich die Rechnung ordern und dann bezahlen. Draußen auf der Straße trennen sich dann unsere Wege. Wenn wir uns nicht mehr bei Ihnen melden, hat alles geklappt. Ansonsten telefonieren wir. Aber nur, um einen neuen Treffpunkt auszumachen, kapiert?“
Busch nickte nur stumm. Er wusste auch, dass die Polizei und die Geheimdienste Millionen von Telefonaten und Mails nach Schlüsselwörtern untersuchten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen