Samstag, 26. Dezember 2015
Berliner Asche, Kapitel 2, Szene 7
Es war exakt 15:03 Uhr am Tag nach dem Brandanschlag, als Kriminaldirektorin Ute Behm, die Pressesprecherin des Berliner Polizeipräsidenten, eine Pressemitteilung folgenden Inhalts an die Agenturen und Redaktionen schickte: „In der vergangenen Nacht ist es in Berlin-Kreuzberg zu einem Fahrzeugbrand gekommen, in dessen Folge eine Person ums Leben kam. Es handelt sich bei dem Opfer um Hubert Altmann, einen Geschäftsmann aus Berlin-Dahlem. Die Kriminalpolizei ermittelt, da ein Gewaltverbrechen nicht auszuschließen ist.“ Die Nachricht verbreitete sich mit Netzgeschwindigkeit und nur eine halbe Stunde später wusste Paul Fröbel Bescheid.
Er saß in einem Lokal in der Weitlingstraße, ihm gegenüber saßen Sandro Zoschke und Florian Krautzberger. Zoschke hatte ein schmales Gesicht mit einer operierten Hasenscharte und sah aus wie die Leute auf den Schwarz-Weiß-Fotografien der Nachkriegszeit. Krautzberger war eher der unauffällige Typ, er hatte keine besonderen Kennzeichen.
Im „Braunauer Brauhaus“, kurz „braunes Haus“ genannt, verkehrten vorzugsweise die Neonazis aus Lichtenberg. Manchmal kamen auch ein paar Fußballfans, die hier gepflegt ihren Rassismus ausleben konnten. „Wer lässt sich nicht vom Westen kaufen? Eisern Union.“ So stand es auf dem Spruchband über der Theke.
„Das darf nicht wahr sein“, stöhnte Fröbel. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und der massige Körper schwoll gefährlich an, als er tief einatmete. „Hört mal zu, Kameraden. Im Weltnetz steht, dass Altmann tot ist.“ Weltnetz, so nannten die Nazis das Internet.
„Ach du Scheiße“, sagte Zoschke und stellte vor Schreck erst mal das Bier zurück auf den Tisch. „Und wo kriegen wir jetzt die Kohle her.“
„Der Wessi mit der dicken Kohle?“ fragte Krautzberger dazwischen.
Fröbel, Anführer der Freien Kameradschaft Lichtenberg, hatte gar nicht zugehört. „Das war doch alles schon abgesprochen. Wir stehen doch bei den anderen Kameradschaften im Wort.“
„Ich war ja noch nie überzeugt, dass die Bonzen uns helfen können. Der ganze angelsächsische Kapitalismus dient doch nur dazu, die arische Rasse gegen andere Völker auszuspielen. Das fleißige deutsche Volk muss schuften und bluten für die jüdischen Profite an der Wallstreet …“
„Halt einfach mal das Maul“, unterbrach Fröbel unsanft. „Ich muss nachdenken.“ Von Beruf war er eigentlich gelernter Dreher, arbeitete aber als Hausmeister im Weitlingkiez. So lang das Deutsche Reich besteht, wird jede Schraube rechts gedreht.
Eine Weile starrten alle schweigend in ihre Biergläser.
„Was sollen nur die anderen Kameraden denken“, sagte Fröbel schließlich. „Ihr unerschütterlicher Glaube an die ewige Reichshauptstadt Berlin wird untergraben. Wir wollten doch eine ganz große Sache aufziehen. Riesenlager, Occupy-Schwachköppe nix dagegen. Waren doch alle schon eingeladen, Autonome Nationalisten aus Sachsen und Bayern, selbst der ‚Nationale Widerstand Ostmark‘ aus Österreich sollte kommen. Alles schon organisiert. Und jetzt ist unser Geldgeber tot.“
Wieder schwiegen sie. Wenn Fröbel wütend oder ratlos war, was des Öfteren vorkam, hielten die Kameraden besser den Mund.
Plötzlich stand Chantale Dompfaff an ihrem Tisch, Fröbels Freundin. „Mensch, Paul, ich habe eine gute Nachricht. Endlich habe ich einen Job. Und das ist was richtiges, nicht wie dieser Mist von dieser Wessi-Firma am Rosenthaler Platz. Die haben mir erzählt, das wäre ein Praktikum im Bereich Event-Marketing und dann habe ich zwei Wochen lang Flyer auf dem Ku’damm verteilt. Jetzt mach ich eine Ausbildung als Kaufrau in der Systemgastronomie. Hamburger futtern die Leute immer.“
Paul Fröbel blickte nur kurz zu ihr hinauf und grunzte. Zoschke deutete nur stumm auf einen Platz am Tisch, Chantale setzte sich. Mal wieder dicke Luft, toll.
Schließlich brach sie das Schweigen, dass immer noch nicht enden wollte, und fragte ganz behutsam: „Mensch, was ist denn los?“
„Altmann ist tot“, antwortete Krautzberger.
„Wer ist Altmann?“ fragte sie.
„Der wollte ganz groß investieren, der wollte hier mit uns was aufbauen“, zischte Fröbel nur und hieb dann mit der Faust auf den Tisch.
„Wie kann denn so was passieren?“ fragte Chantale ganz naiv.
„Das waren bestimmt die linken Zecken, diese asoziale Brut“, brach es wütend aus Zoschke hervor.
„Diese Brut verpestet die ganze Stadt“, pflichtete ihm Krautzberger bei.
„Sind ja alles Wessis, die sind gar nicht von hier“, ergänzte Chantale.
„Das wäre ja ein Ding“, brummte Fröbel drohend. „Wenn dieses linke Ungeziefer dahinter steckt, machen wir sie fertig.“
„Linkes Gezeter – neun Millimeter“, gröhlte Krautzberger.
Dann stießen sie gemeinsam an.
Nullkommafünf Promille später waren sie beim Thema Politik.
„Die Regierung? Die taugt keinen Schuss Pulver. In Afghanistan düngen die Taliban ihre Opiumfelder mit den Knochen deutscher Landser. Deutsche Kinder lernen in deutschen Schulen nicht mehr unsere Sprache. Kreuzberg, Neukölln, Wedding.“ Fröbel war voll in seinem Element, thematisch und getränketechnsich, als das Telefon klingelte.
„Heil Hitler, Fröbel am Apparat.“
„Guten Tag, Herr Fröbel. Mein Name ist Marion Sutter. Ich rufe Sie von der Maximum AG an. Können wir uns treffen?“
P.S.: Szene 8 ist auf den 25.12. gerutscht. Sie finden Sie nach Szene 9 - also nicht wundern :o)
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