Donnerstag, 21. Mai 2015
Zebulon Pike
In einem düsteren Waldstück hinter Wichtelbach, verborgen hinter dornigen Büschen und im Schatten uralter Eichen steht ein Grabstein. Einsam und nur dem ortskundigen Einheimischen bekannt ruhen hier die sterblichen Überreste von Zebulon Pike. Unter seinem Namen lesen wir: „Geboren am 5. Januar 1779 in Lamberton, USA, starb er am 27. April 1813 an diesem Ort den Fiebertod im Dienste der Wissenschaft“. Wer war Zebulon Pike?
Es ist einer jener endlosen, unerträglich heißen Sommertage, in denen die Luft schwarz ist vor Stechmücken, die aus den tückischen Sümpfen aufsteigen. Der junge amerikanische Forschungsreisende, der sich vorgenommen hat, eine Expedition in jene Gegend zu wagen, die wir heute Hunsrück nennen, wischt sich zum wiederholten Male den Schweiß aus dem Nacken und von der Stirn. Hinter ihm gehen Reginald Grisby, sein treuer Begleiter, und zwei Träger, die sie in einem Eingeborenendorf am Rhein angeworben haben. Sie durchqueren einen finsteren Wald und folgen dabei einem Bachlauf. An den Bäumen finden sie gelegentlich furchterregende Fratzen, die von den Mitgliedern der hier ansässigen Stämme ins Holz geschnitzt wurden. Hexen und Dämonen, Kobolde und Trolle. Einige Male halten sie an, um kleine Skizzen von den Ungeheuern anzufertigen. Über ihre Bedeutung ist sich Zebulon Pike nicht im Klaren. Sollen sie Fremde oder Feinde abwehren? Sind es Wegmarken?
Bald darauf treten sie auf eine Ebene hinaus und haben einen freien Blick über das Land. In der Ferne sieht man in blauem Dunst einen Berg. Der Forschungsreisende beschließt, diesen unbekannten Berg Pikes Peak zu nennen. Der weiten Ebene, die sich bis zum Pikes Peak zieht, gibt er den Namen Pennyland, nach seiner Verlobten Penny, die im fernen Boston auf seine Rückkehr wartet. Alles trägt er sorgfältig in die Landkarte ein, die er von diesem unerforschten Land zeichnet. Dann holt er, misstrauisch beäugt von den Eingeborenen, die den Proviant und das Zelt tragen, seinen Kompass hervor. Der Berg liegt im Westen. „Frischauf“, ruft er seinen Begleitern zu. Dann gehen sie weiter.
Es ist eine jener endlosen, unerträglich heißen Sommernächte, in denen sie am Lagerfeuer sitzen und an ihrem zähen Pökelfleisch nagen. Egal, wie sie sich setzen – immer haben sie den Rauch in den Augen. Gerade, als sie sich zur Ruhe begeben wollen, hören sie es: Trommeln. Ein unheimlicher monotoner Rhythmus, der immer schneller wird. Ein Crescendo, das in einem fürchterlichen Geschrei und Geheul endet. Das müssen die Ureinwohner dieses Landstrichs sein. Die beiden Träger rollen ängstlich mit den Augen und rücken enger zusammen. Grisby spricht ihnen Mut zu und gibt ihnen noch etwas Pökelfleisch, während Zebulon Pike aufgestanden ist und aufmerksam in die Nacht hinaus lauscht. „Morgen werden wir dorthin gehen, wo die Trommeln geschlagen werden“, sagt er mit fester Stimme. „Nein, nein“, wimmern die beiden Träger. „Sie werden uns töten.“ Pike sieht sie nur verächtlich an. Am nächsten Morgen sind sie verschwunden.
Pike und Grisby beschließen, alleine das Dorf zu suchen, und ihr Gepäck im Lager zu lassen. Tatsächlich treffen sie nach einer Stunde Fußmarsch auf eine Ansammlung von Holzhütten. Kinder entdecken die beiden Forschungsreisenden und laufen schreiend ins Dorf. Auf dem Feuerplatz in der Dorfmitte tritt ihnen ein würdiger alter Krieger entgegen. Er trägt eine Kutte aus Hirschleder und hat sein langes graues Haar zu einem Zopf zusammengebunden. Die beiden amerikanischen Forschungsreisenden verbeugen sich artig und überreichen dem Krieger eine Kette aus Glasperlen, die prachtvoll in der Sonne glitzern. Der Alte lächelt und lässt die Kette durch seine Finger gleiten. Er bittet Pike und Grisby, sich zu setzen. Eine Frau bringt einen Tonkrug und drei Tonschalen heran. Der Krieger schenkt ihnen ein und sie trinken. Es ist ein berauschendes Getränk, das schon die alten Germanen kannten: Met. Alsbald ist das ganze Dorf zusammengelaufen und die Bewohner umringen staunend die beiden Fremden.
Als es dunkel wird, werden Feuer entzündet und wenig später duftete es nach gebratenem Wild. Zum Klang der Trommeln tanzen die jungen Männer und Frauen um die Lagerfeuer und singen in ihrer unverständlichen Sprache. Aber der Forschungsreise ist kein Glück beschieden. Zwei Tage später verstirbt Zebulon Pike, sein Geist ist umwölkt von den Fieberphantasien des Deliriums. Er spricht davon, die gesamte Gegend liege auf dem Rücken eines riesigen schlafenden Hundes, der eines Tages aufwachen würde. Ihm zu Ehren nennen wir diesen Landstrich auch heute noch: Hunsrück.
Bronski Beat & Marc Almond– I Feel Love. https://www.youtube.com/watch?v=sYFRFyvhGRY
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