Donnerstag, 23. April 2015

Aus dem Leben eines Toten (1999)

„Zuweilen stand ich auf und sah durch das Fenster hinaus, ich sah allerdings nichts, eine krustige Landschaft, aber auch das war fraglich.“ (Ror Wolf: Pilzer und Pelzer)
Drei Eingänge führen ins Amt, das mich als Sekretär beschäftigt. Da aber stets nur einer von ihnen geöffnet ist – hierbei wird willkürlich gewechselt -, rütteln die Besucher, sehr zum Vergnügen der zur Kaffeepause am Fenster versammelten Beamten, oft vergeblich an den schweren Klinken.
Das Büro, in dem ich mich den ganzen Tag lesend und schreibend über den Schreibtisch beuge, umfasst zwei Zimmer. Es sind manchmal merkwürdige, bedrohliche, scheinbar aus anderen Zeiten stammende, auch meist von völlig anderen Zusammenhängen ausgehende, fremde Gesetze und Wissenschaften anführende Briefe darunter, die mich sehr verwirren. Als wäre ein zweiter Brief noch vor dem eigentlichen ersten, der alles erklärt hätte, bei mir angekommen. So werden aber weiterführende, den eigentlichen Anlass des Briefverkehrs gar nicht mehr erwähnende Aussagen getroffen, die darüber hinaus Stellung zu Briefen nehmen, die von unserem Amt ausgefertigt und versandt sein sollen, die aber in Wirklichkeit nie existiert haben.
In solchen trüben Stunden blicke ich auf, erhebe mich müde, vorsichtig und langsam wie ein sehr alter Mann, und trete ans Fenster. Durch die blätterlosen Zweige einer Ulme schaue ich in die Fenster des gegenüber liegenden Krankenhauses. Die Menschen liegen dort so vollkommen bewegungslos in ihren Betten, dass es nach einiger Zeit der Betrachtung den Anschein hat, man sähe auf eine Sammlung von Gemälden. Graue Fassade und weißkalte Neonquadrate.
Der Weg ins andere Zimmer ist nicht durch eine Tür versperrt. Ich gehe allerdings nicht oft hinein. Eine riesige schwarze Spinne haust darin, sie hat borstiges Haar und ein einziges lidloses Auge. Den ganzen Tag über hockt sie in einer Ecke, dann krabbelt sie wieder lautlos über die fensterlosen Wände, bedenkt scheinbar einige Zeit diese Veränderung und kehrt wieder an den Ausgangspunkt zurück. Sie ist nicht gefährlich und kommt auch nie zu mir herüber, aber sie beunruhigt mich. Muss ich zur Aktenablage oder Recherche in ihr Zimmer, schaue ich immer wieder nervös in den Winkel, aus dem ihr Auge in der staubigen Dämmerung funkelt. Wie sie mich wohl in diesen Augenblicken beurteilt? Mit Unbehagen gehe ich an meinen Schreibtisch zurück.
Manchmal denke ich, es sei ungerecht, mich mit allem so zu belasten, während sie nur starr, die Beine an den Leib gepresst, in ihrem Zimmer kauert. Und doch werde ich das Gefühl nicht los, sie wäre von einer höheren Instanz dazu ermächtigt, als wäre es eine wichtige, das ganze Amt umfassende und erhaltende Arbeit, die sie hier verrichtet.
The Police – Roxanne. https://www.youtube.com/watch?v=3T1c7GkzRQQ

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