Mittwoch, 11. Februar 2015
2008, Teil 2
Auszüge aus dem Notizbuch:
1. Juli. Ich kaufe Regenschirme im Großhandel für zwei Euro das Stück und verkaufe sie bei Regen vor Einkaufszentren und in Fußgängerzonen für zehn Euro. Anzeige wegen Handelns ohne Gewerbeschein und versuchter Beamtenbeleidigung (ich war heiser).
8. Juli. Idee zu einer Geschichte: Ein Millionär führt zehn zufällig aus dem Telefonbuch ausgewählte Menschen zu einem Abendessen zusammen. Jeder Teilnehmer bekommt tausend Euro, die Sache ist in der Presse angekündigt, die ganze Stadt ist über diese Wohltätigkeit informiert und tatsächlich kommen auch alle zehn Personen. Es sind aber – nicht zufällig – zwei darunter, die sich wegen eines früheren Anlasses bis aufs Blut hassen. Es kommt zu einem Eklat, die Unbeteiligten sind zu Stellungnahmen und zum Eingreifen gezwungen. Der Millionär genießt die Ereignisse als Beobachter.
24. Juli. Heute war ich bei der Obama-Rede vor der Siegessäule. Bis auf fünfzig Meter habe ich es an den „schwarzen Kennedy“ herangeschafft, wie die Presse ihn nennt. Security-Check wie am Flughafen, Typen mit Sonnenbrille und Knopf im Ohr. Viele junge Leute sind da, Bier, Bratwurst – wie zu Fußball-WM- oder EM-Zeiten. Er spricht eine halbe Stunde. Häufiger Applaus, besonders bei den Themen Frieden, Zusammenarbeit und Dritte Welt. Welcher deutsche Politiker würde 200.000 Menschen zusammenbringen?
8. August. Beginn einer Erzählung: „Ich habe eine Menge Staub von vergessenen Büchern geblasen. In den Bibliotheken finden sich Schätze, die ihren Weg nicht ins Internet gefunden haben und damit den meisten Menschen verborgen bleiben müssen. Hier ist eine Geschichte, die ich gefunden habe …“
Das Erfolgsrezept von Wasser ist seine Durchlässigkeit: Praktisch alles fällt durch Wasser hindurch, umgekehrt sickert Wasser durch fast alles oder läuft wenigstens darüber hinweg. Was können wir von Wasser lernen?
„Was sollte ich denn machen? Sie haben mich unter Druck gesetzt. Sie haben mir nur alkoholfreies Bier gegeben. Irgendwann habe ich dann ausgepackt.“
19. September. Die Finanzmarktkrise markiert hoffentlich das Ende der neoliberalen Gewissheit, man müsse den Markt nur machen lassen, der Staat störe nur und tauge allenfalls noch als Nachtwächter (für fünf Euro Stundenlohn). Plötzlich plärren die Ackermänner dieser Welt nach Vati Staat wie Säuglinge, die sich eingenässt haben. Und die Allgemeinheit soll für die Verluste geradestehen und die bankrotten Banken übernehmen. Nun beschützen wir, die man in Bankfilialen mit Maschinenkontakt abspeist, notleidende Bankiers vor dem Absturz auf unser Niveau.
5. Oktober. Wieder einmal Graubünden im Herbst und alle Jahreszeiten in einer Woche. In Splügen hole ich mir einen Sonnenbrand, kühle mein Gesicht in den wilden Schluchten des Hinterrheins, Via Mala, Rofflafall. Schnee in Sils, stundenlange Spaziergänge am Seeufer und auf der Chasté. Im Engadin tief einatmen oder in Frankfurt tief einatmen, das ist ein Unterschied wie zwischen Perrier und sudanesischem Leitungswasser.
10. Oktober. Tief unten im Haus sind afrikanische Trommeln zu hören. Ich gehe nicht hinunter, obwohl ich als einziger Bewohner eigentlich besorgt sein sollte.
Kälte, Dreck und schlechte Laune: Das ist der deutsche Winter.
22. Oktober. „Schon eher unschön – deutsche Geschichte von damals bis neulich“ (Ausstellung, Freier Palast der Republik, Bismarckstraße, Berlin-Charlottenburg)
Die Berichte, die mich von meiner eigenen Überwachung erreichen, sind stümperhaft.
12. November. Ich war zwei Wochen in Japan. Alles war sauber, alles hat funktioniert, jeder benimmt sich total korrekt – ich war froh, als ich wieder in meiner verschissenen No-Future-Heimatstadt mit ihren blindgekratzten S-Bahn-Scheiben zurück war. Ich habe bei einem Kumpel, der von seinem Konzern für zwei Jahre dorthin abkommandiert wurde, in einem 85qm-Appartment im 35. Stock eines Edelwolkenkratzers (mit Empfangsdamen im Foyer) gewohnt. Aber nachts vor der riesigen Panoramafensterscheibe, mit einer Dose Asahi- Bier in der Hand, sieht man Lichter bis zum Horizont. Das hat schon was. In Berlin sehe ich immer nur das gegenüberliegende Haus, wenn ich aus dem Fenster schaue. Am meisten begeistert mich die vollautomatische Toilette, der man alles überlassen kann, wenn man sich auf die geheizte Klobrille setzt. Und der Toilettendeckel hebt sich, wenn man näher tritt. Ausflüge zum Tempelbezirk von Nikko, zur Burg von Himeji, nach Osaka, Kyoto und Yokohama. Die Züge sind super bequem und haben keine Verspätung.
18. November. Ich habe den Job als Kiezschreiber bekommen, am 1. Dezember geht es schon los. Und im Frühling erscheint im Emons Verlag mein erster Krimi „Ich träume deinen Tod“.
21. November. Es ist, als sei die aufgehende Sonne über den Globus gewandert und hätte alle Ideologien und Wirtschaftsordnungen des 20. Jahrhunderts nacheinander ausgelöscht: in Moskau den Kommunismus, in Berlin und Paris die soziale Marktwirtschaft und schließlich in New York den ungesteuerten Kapitalismus.
8. Dezember. Oh mein Gott! Sie wollen die Glühbirne abschaffen, bis 2012. Bringt mir meine Harfe! Ich werde ein letztes Poem für unseren kleinen Freund schreiben.
17. Dezember: Ich habe keine Angst vor künstlicher Intelligenz. Ich habe nur Angst, dass sie so wird wie wir.
Fred Wesley - Funk for your Ass. https://www.youtube.com/watch?v=mUsn880UWPQ
Mir fiel gestern am Stammtisch das Wort Wirkungstrinker wieder ein.
AntwortenLöschenWurde dann noch ein schöner Abend.