Sonntag, 2. November 2014
Wenn der Scheich kommt
Es geschah anlässlich einer jener sagenhaften Abendgesellschaften, die Andy Bonetti im opulenten Ballsaal seiner Villa zu geben pflegte. Der Anlass war die Einweihung eines riesigen handgewobenen Gobelins, der die deutsche Fußballnationalmannschaft nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 zeigte. Der bekannte Bad Nauheimer Pianist Alfred „Freddy“ Wasserstrahl hatte sich gerade an den Konzertflügel gesetzt und hob an, das Präludium seiner jüngst komponierten Fuge „Ehre sei Satan in der Tiefe“ zu spielen. Sein Bruder Moritz Wasserstrahl, der bereits vor vielen Jahren nach Belgien ausgewandert war und es dort unter seinem neuen Namen Maurice Lafontaine zu einem berühmtem Chocolatier und Pralinenerfinder gebracht hatte, stand neben ihm und nippte an seinem Champagner.
Der apostolische Nuntius Monsignore Grasso di Manzo, der offizielle Vertreter des Heiligen Stuhls in Bad Nauheim, kam mit zornesrotem Kopf auf den Pianisten zu. „Sie werden es nicht wagen, diesen Schmutz vor all diesen Leuten zu spielen“, zischte er empört.
„Ich glaube nicht an Gott, aber an den Teufel, Monsignore“, sagte Freddy Wasserstrahl mit einem süffisanten Lächeln und senkte seine Hände drohend über die Tasten.
Da erschütterte ein schriller Schrei … - ja was? Die Stille? Die Abendgesellschaft? Oder sagte der Botschafter des Papstes noch etwas? Er hatte den Faden verloren und hob den Blick vom Monitor. Unter ihm lag der Mainzer Winterhafen mit seinen vielen Segelbooten, auf denen trotz der frühen Stunde schon einige silberhaarige Herren in weißen Hosen und marineblauen Pullovern zu sehen waren. Es versprach, ein sonniger Frühlingstag zu werden. Genau das richtige Wetter für eine Segelpartie auf dem Rhein. Und er saß an seinem Schreibtisch und arbeitete an seinem globalisierungs- und kapitalismuskritischen Roman mit dem Titel „Belphegor“. Er sah sein Buch schon im Schaufenster der Mainzer Gutenberg-Buchhandlung Dr. Kohl auf der Großen Bleiche: „Belphegor“ von Jimmy Stoppelkamp. Oder sollte er sich ein Pseudonym zulegen?
Seit dem Herbst saß er jeden Vormittag an diesem riesigen polierten Mahagonitisch mit kostbaren Intarsien und kam nicht wirklich voran. Er hatte eine Menge Figuren erschaffen, aber es gelang ihm nicht, sie wirklich in Bewegung zu setzen. Sie waren mit charakterlichen Eigenschaften, optischen Details und merkwürdigen Gewohnheiten überfrachtet, aber es fiel ihm keine mitreißende Handlung ein. Was machten reiche und bedeutende Menschen eigentlich den ganzen Tag?
Da klingelte das Telefon. Das Telefon? Erschrocken starrte er es an. Warum nicht sein Handy? Nach mehrmaligem Klingeln hob er ab. Es war der Sekretär des Scheichs. Er würde übermorgen mit seiner Familie anreisen. Das Haus habe bis dahin in tadellosem Zustand zu sein.
Er bekam augenblicklich eine Panikattacke. Sein Herz raste. „Mandy“, schrie er und rannte aus dem Arbeitszimmer auf den Flur, wo er fast auf dem spiegelglatten Parkett ausgerutscht wäre. „Mandy, wach auf!“ Seine Stimme überschlug sich. „Wach auf, der Scheich kommt!“
Mandy öffnete die verquollenen Augen und war verwirrt. „Was? Wer kommt?“ fragte sie mit schwerer Stimme.
„Der verdammte Scheich! Du musst hier verschwinden!!“ Dann rannte er weiter ins Wohnzimmer.
Der ganze Tisch, ein filigranes Meisterwerk aus japanischem Kirschholz, stand voller leerer Bierflaschen, auf dem prächtigen weißen Ledersofa lagen überall Chips-Krümel verstreut. Er riss die Fenster auf, um den kalten Zigarettenrauch hinaus zu lassen. Was muss ich noch machen, fragte er sich wie im Fieber. Er hatte sich mit seiner Freundin im ganzen Haus breit gemacht. Die kleine Dienstbotenwohnung, die ihm als House Sitter, als Hausverwalter, als Facility Manager oder was auch immer in seinem Vertrag gestanden hatte, im Keller neben den Garagen zugewiesen war, hatte er seit dem Herbst nicht mehr betreten. Der Scheich kommt! Denk nach! Die Schweinekoteletts und der Whisky müssen weg. Das Sex Pistols-Poster muss von der Wand. Und sicher lag irgendwo im Badezimmer dieser Scheiß-Dildo von Mandy Seidelwitz.
P.S.: Scheich Mohammed Ibrahim Al-Hudaithi aus Saudi-Arabien hat 2013 im Mainzer Winterhafen ein Haus gekauft, das er einmal im Jahr benutzt, wenn er mit seinem Harem, seinen zahlreichen Kindern und Verwandten in die Stadt kommt, wo die ganze Sippschaft in der Uni-Klinik einem ausführlichen Gesundheits-Check unterzogen wird. Den Rest des Jahres steht die Immobilie an der Uferpromenade der Innenstadt leer.
Les Rita Mitsouko – Marcia Baila. https://www.youtube.com/watch?v=t6FVlfOgTo8
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen