Samstag, 29. November 2014
Atemzüge eines Kartenhausbewohners 2
Im Informationszeitalter ist nur das Geheimnis voller Schönheit und Größe.
Seit es die Champions League und die Europa League gibt, ist das schöne Wort „Europapokalspielabend“ völlig aus unserem Wortschatz verschwunden. Schnelle Fremdwörter ersetzen altehrwürdige Begriffe wie beispielsweise „Dunstabzugshaubenbeleuchtung“, die güterzugartig an uns vorüber gerollt sind.
Prag ist inzwischen so grellbunt geschminkt, dass man ihr Alter kaum noch ahnen kann. Vor der Wende hatte die Stadt ein ehrlicheres Gesicht. Und dennoch werde ich diesen Ort vermutlich schon im nächsten Jahr wieder mit meiner Anwesenheit schmücken.
Unnatürliche Menschen, unmenschliche Natur.
Gutes Versteck: Wichtige Unterlagen in altem Umschlag am Boden des Papierkorbs deponieren, darüber anderes Altpapier legen. Kein Dieb durchwühlt die Mülleimer.
Man muss einen Politiker nur einmal bestechen. Danach erpresst man ihn. Das macht die Politik so billig.
Warum ist Chinas Kommunismus so erfolgreich? Weil dort Kapitalismus ohne Demokratie und Rechtsstaat praktiziert wird.
Jetzt gibt es also auch die Ampelfrau (mit Quote), nicht nur rote und grüne Ampelmännchen. Wo bleiben Migranten (mit Sombrero), Rollstuhlfahrer, Afrikaner (Schwarzlicht!) und Transsexuelle?
Klimawandel: Ein See vereist immer von außen nach innen. Es beginnt an den Ufern und die Fische im Zentrum des Sees bemerken es als letzte. Und selbst dann dauert es noch eine Weile, bis der Sauerstoff knapp wird.
Ich bin nicht mitgegangen. Ich war noch nicht einmal auf der Straße. Ich bin auch nicht zum Fenster gestürzt, als sie kamen. Ich bin im Bett liegen geblieben und habe mein Gesicht zur Wand gedreht.
Linda (11) will mit der Herstellung von Kuscheltieren sehr reich werden und dann in einer Villa auf dem Mond wohnen. Vor einem Jahr hat sie auf meine Frage nach ihrem Berufswunsch noch geantwortet: „Irgendwas mit Kunst“. Wir dürfen gespannt sein.
Alle finden Erdmännchen toll, aber wir haben in Europa den Ziesel, der in Aussehen und Sozialverhalten dem Erdmännchen nicht nachsteht. Vergesst mir den guten alten Ziesel nicht!
Weihnachtsgeschenke? Von mir gibt’s Taliban aus Marzipan.
Den alternativen Nobelpreis haben in diesem Jahr Gottlieb von Pech und Jefferson Flop für die Erfindung des unglücklichen Zufalls erhalten.
Mit zunehmendem Alter sollte man wählerischer werden und nicht gleichgültiger.
Die letzten Rosen im Garten sind verblüht, als ich wieder nach Hause komme. Sie sind verblüht, aber nicht gestorben. Die Sträucher werden sich im nächsten Jahr einfach neue Blüten wachsen lassen. Sie schlafen nur und während sie schlafen, sammeln sie neue Kraft. Einatmen, ausatmen.
Cape – Anyong. http://www.youtube.com/watch?v=nxdcC8-nzdY
P.S.: Die „Atemzüge“ sind Einträge in meinem Notizbuch, die im Laufe des Novembers hauptsächlich in Berlin entstanden sind. Ich habe in Berlin wieder Musil gelesen, dessen „Mann ohne Eigenschaften“ zu meinen Lieblingsbüchern gehört. Musil starb 1942 in seinem Schweizer Exil bei der Bearbeitung des wunderbaren Schlusskapitels „Atemzüge eines Sommertags“, als ihn im Badezimmer der Schlag traf. Der Tod hat ihn aus dem Schreiben herausgerissen. Lassen Sie bitte in diesem Winter den Computer und das „Smart“phone aus und lesen Sie dieses Buch. Zitat: „Wir haben keine inneren Stimmen mehr, wir wissen heute zu viel, der Verstand tyrannisiert unser Leben.“
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