Mittwoch, 15. Oktober 2014
Das Preisausschreiben
Er hätte es wissen müssen. Nur der Mond schien auf die Wellen und sein Smoking hatte sich voll Wasser gesogen. In einiger Entfernung glitzerten die Lichter am Ufer. Mühsam paddelte er weiter und widerstand dem Drang, die schweren Sachen einfach auszuziehen. Es würde ohnehin eine Odyssee voller Peinlichkeiten werden, bis er wieder zu Hause war.
Alles hatte gestern Vormittag begonnen, als ein „singendes Telegramm“ vor seiner Haustür stand. Johann hatte die junge Dame, die eine rote Pagenuniform trug, ins Empfangszimmer gebeten und ihn gerufen. Dann hatte sie ihren Text gesungen: „Mister Bonetti, wir laden Sie ein, wir laden Sie ein, unser Gast zu sein. Auf unserem Schiff, da gibt es ein Essen, und dieses Essen wird keiner vergessen. Morgen um acht, da geht es los, all you can eat, ist das nicht famos?“ Dazu überreichte sie ihm einen kostbaren Umschlag aus handgeschöpftem Papier, das in Thailand aus der Rinde des Maulbeerbaums hergestellt wird. Darin lag eine Einladung, die auf feinstes Seidenpapier aus dem Himalaya gedruckt war. Bonetti hatte ein luxuriöses Abendessen auf dem chinesischen Restaurantschiff „Shangdang“ gewonnen, das im Hafen von Bad Nauheim lag. Komisch, hatte er noch gedacht, ich habe doch an gar keinem Preisausschreiben teilgenommen.
Gut gelaunt und hungrig hatte er sich am nächsten Tag von seinem Kammerdiener ankleiden lassen und sein Chauffeur hatte ihn an das Restaurantschiff gebracht. Die Tische des Restaurants waren mit exotischen Blumen geschmückt, Bonetti setzte sich und sah sich um. An jedem Tisch saßen Menschen, die offenbar die gleiche Einladung erhalten hatten und die sie den Kellnern entgegenhielten. Zu Beginn wurden Dim Sum in einem Bambuskörbchen gereicht, die mit Meeresfrüchten und Gemüse gefüllt waren. Dann kamen ein brodelnder Feuertopf mit verschiedenen Fleischsorten, Pilzen, Blattgemüse und Glasnudeln auf den Tisch. Währenddessen begann das Schiff zu vibrieren. Offenbar hatte man die Motoren angelassen und verließ den Hafen zu einer nächtlichen Rundfahrt. Nach dem Feuertopf wurde Peking-Ente serviert, die kleingeschnittenen knusprigen Hautstücke wurden in hauchdünne Pfannkuchen gewickelt, zum zarten Fleisch gab es diverse Soßen. Die abschließende Suppe und den Quallensalat ließ er aus.
Nach dem Digestif, Bonetti hatte einen 1999er Pflaumenwein Shanghaier Südhang gewählt, kam ein asiatisch aussehender Herr in einem schwarzen Anzug an seinen Tisch. Er hatte ein fast faltenfreies Gesicht, aber unglaublich alte Augen mit fürchterlichen Tränensäcken. Sein Haar war glatt zurück gekämmt und wirkte wie schwarz lackiert. Die dünnen Lippen unter seinem schmalen Schnurrbart kräuselten sich zu einem schwachen Lächeln.
„Würden Sie mir bitte folgen, Mister Bonetti. Wir schreiten nun zur Verleihung des Hauptpreises.“
Bonetti folgte ihm in ein Hinterzimmer, das von einem langen Mahagonitresen mit etlichen leeren Barhockern fast vollständig ausgefüllt war. Auf der Theke standen eine Flasche Veuve Clicquot in einem Eiskübel nebst zwei Champagnerschalen aus Kristallglas.
„Champagner!“ rief Bonetti erfreut aus. „Lassen Sie mich das machen.“ Er setzte sich an die Bar.
Der Mann wirkte für einen kurzen Augenblick irritiert. Dann lächelte er und nickte Bonetti zu. „Ich habe lange auf diesen Augenblick gewartet, Mister Bonetti. Unser Volk wartet seit über einhundert Jahren auf diesen Augenblick. China hat, wie die ganze Welt außerhalb Europas, schrecklich unter dem Imperialismus gelitten. Ihr habt uns viele Dinge gestohlen, deren Wert ihr noch nicht einmal ahnen könnt. Aber Europa wurde das Opfer seiner eigenen Gier: Als die Imperialisten die ganze Welt unter sich aufgeteilt hatten, fuhren sie sich wie Kannibalen gegenseitig an die Kehle und zerfleischten sich in zwei mörderischen Weltkriegen, um im Anschluss sämtliche Kolonien wieder zu verlieren.“
„Woher rührt eigentlich der Irrglaube, der Westen sei fortgeschrittener oder der Osten hole auf? Osten und Westen waren schon immer gleich gut, gleich blöd und auf gleiche Weise oberflächlich dem materiellen Erfolg verpflichtet.“ Bonetti lächelte.
Der Chinese lächelte nicht, er zog eine Pistole aus der Innentasche seines Jacketts.
Bonetti hatte die Champagnerflasche schon in der Hand, jetzt ließ er sie langsam sinken. „Wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“
„Sie kommen sehr schnell auf den wesentlichen Punkt, das gefällt mir. Man nennt mich Longwang, das bedeutet Drachenkönig. Und ich möchte die Formel, Mister Bonetti.“ Seine Stimme klang jetzt kalt und hart.
„Welche Formel?“ fragte Bonetti.
„Spielen Sie keine Spielchen. Sie sind ganz allein auf diesem Schiff. Ich habe alle anderen für diesen Abend engagiert.“
„Daran bin ich gewöhnt, ich bin Einzelkind.“ Bonetti versuchte, Zeit zu gewinnen. Natürlich ging es um die tibetanische Pergamentrolle, auf der die Formel für ein lebensverlängerndes Elixier stand.
Longwang grinste. „Eins ist die Zahl des Himmels.“ Er entsicherte die Waffe. „Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort, Mister Bonetti: Im Auge des Tigers ist kein Platz für die Ameise.“
„Der weise Mann hütet sich in der Jugend vor der Fleischeslust, in den mittleren Jahren vor der Streitsucht und im Alter vor der Habgier. Auch ein altes chinesisches Sprichwort“, antwortete Bonetti.
„Donnerwetter, was Sie alles wissen!“
„Ich staune selbst immer wieder.“
„Genug geplaudert, Mister Bonetti. Die Formel, bitte.“
„Das Unendliche ist ein Quadrat ohne Ecken, wie es im Daodejing heißt.“ Und mit diesen Worten ließ Bonetti den Champagnerkorken knallen.
Er traf Longwang mitten ins Gesicht, ein Schuss löste sich aus dessen Waffe und traf den Kronleuchter, der krachend zu Boden stürzte. Bonetti schleuderte die Flasche auf den Chinesen und rannte zum anderen Ende der Bar. Er nutzte diesen kurzen Moment der Verwirrung, um ein Fenster zu öffnen und in die dunklen Fluten zu springen. In den alten Schriften über die nördliche Qi-Dynastie heißt es, man solle im Falle einer Niederlage lieber als zerschlagenes Juwel denn als unversehrter Dachziegel enden.
P.S.: Der Restaurantname „Shangdang“ bedeutet „In eine Falle geraten“. Er hätte es wissen müssen.
Beck Bogart & Appice – Superstition. http://www.youtube.com/watch?v=xyyhm1D7zlI
Kann Bonetti schwimmen? Konnte er sich aus den reißenden Fluten der USA befreien?
AntwortenLöschenWir fiebern mit!
Schalten Sie auch nächste Woche wieder ein, wenn es heißt: "Bonetti, Bonetti, I love You, but we have only 14 hours to save the earth!"
LöschenWo sind Jonny Malta und Heinz Pralinski wenn ,man sie braucht.
AntwortenLöschenGuter Punkt! Vielleicht retten die beiden Andy Bonetti aus höchster Seenot? Er ist noch nicht am Ufer und wir wissen, dass vor der Küste Bad Nauheims unser alter Freund, der weiße Hai, sein gar schröckliches Unwesen treibt. Das schreit nach einer Fortsetzung, die dermaßen action-packed ist, dass man das Blog erst nach 22 Uhr anklicken darf.
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