Freitag, 31. Oktober 2014
Bonetti im Weltraum
„ … 7 … 6 … 5 … 4 … 3 … 2 … 1 … Ignition … Lift off.“
Mit einer gewaltigen Explosion hob die Raumfähre vom Boden ab und ließ das Weltraumzentrum Bad Nauheim hinter sich. Andy Bonetti nickte seinem Piloten anerkennend zu. Heinz Äugelein, sein treuer Chauffeur, hob den Daumen und lächelte. Er trug eine braune Lederhaube, deren Kinnriemen er nicht geschlossen hatte. In wenigen Stunden würden sie an der Raumstation „Nova Hassia“ (Neuhessen) andocken. Die beiden Antriebsraketen vom Typ Roland wurden abgeworfen, ihre ausgebrannten Hüllen verglühten hinter ihnen, als sie den Orbit erreichten.
Bonetti stand am Fenster seiner Kabine und sah auf den zarten Flaum der Atmosphäre hinab, die den wolkenverschleierten Erdball umgab. Ein paar kleine Schwäne, die er aus Papier gefaltet hatte, schwebten um seinen Kopf. Immer, wenn Bonetti lange nachdenken musste, beschäftigte er sich mit Origami. Der Fall war schwieriger, als er angenommen hatte. Aber wenn es einfach gewesen wäre, hätte man ihn nicht auf die Station hinaufgeschickt. Commander Friedemann Luft war zu diesem Zeitpunkt schon vierundzwanzig Stunden tot.
Äugelein brachte den ersten Astronauten zum Verhör in Bonettis Kabine. Alois Breitkopf war ein kleiner breitschultriger Mann mit Stirnglatze und dunklen Augen, die tief in seinem fleischigen Gesicht saßen. Äugelein gab ihm einen kleinen Schubs, so dass er näher zu Bonetti schwebte, und verließ die Kabine.
„Was wissen Sie über den Mord an Commander Luft?“ begann Bonetti.
„Der Commander war draußen, um eins der Sonnensegel neu zu justieren, das sich verklemmt hatte. Er war nur mit einem Schlauch mit der Station verbunden. Irgendjemand muss ihm den Sauerstoff abgedreht haben. Ich habe den Commander sofort an Bord geholt, aber er war schon tot. Dann habe ich die Erdleitstelle informiert.“
Breitkopf erschien Bonetti übertrieben diensteifrig. Aus den Akten, die er über Breitkopf studiert hatte, wusste er, dass der Astronaut sehr ehrgeizig war und sich Hoffnung auf die Leitung der Mission gemacht hatte. „Sie sind der neue Commander?“ fragte er.
Breitkopf konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und nickte.
„Bitte halten Sie sich zu meiner weiteren Verfügung bereit. Außerdem möchte ich mit Ihrer Erlaubnis nach den Verhören die gesamte Raumstation und alle Mannschaftskabinen inspizieren.“
„Selbstverständlich, Mister Bonetti.“
Das zweite Gespräch führte Bonetti mit Tommy Hopperflap, einem kanadischen Austauschwissenschaftler, der die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf das Wachstum von Braugerste untersuchte. Zur Vorbereitung seines Aufenthalts auf der Raumstation hatte er den hessischen Dialekt erlernt. Er war fast zwei Meter groß und hatte weizenblonde Haare.
„Isch konn Ihne aach ned weidähelfe, Härr Bonetti“, sagte er in breitestem Hessisch mit englischem Akzent. „Als däs bassierd is, hunn isch miä grad in de Kisch wos zu esse gemachd.“ Dann überlegte er einen Augenblick. „Awwä die Fraa, die wo hiä schaffe duud, die hod gesdän Ohmd Schdraid midm Gommandä gehabd. Unn isch sachs Ihne gons ehrlisch: Isch glaab, die hodde was middenanäh.“
Bonetti erging sich in ausschweifenden Züchtigungsphantasien, während er Hopperflap zuhörte. Aus seinen Unterlagen wusste er, dass die Wissenschaftlerin an Bord früher ein Verhältnis mit Commander Luft gehabt hatte. Im vergangenen Jahr hatte er sie verlassen, um eine Beziehung mit ihrer Schwester anzufangen.
Als nächstes wurde Monika Hufnagel-Schreckenberger in Bonettis Kabine gebracht, die für die wissenschaftlichen Versuche an Weinreben unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit zuständig war. Sie hatte kurze dunkelrote Haare, war muskulös und ihre schwarzen Brauen bildeten einen durchgehenden Strich über ihren herausfordernd blickenden Augen. Auch sie hatte nichts bemerkt und war erst von Alois Breitkopf auf das Unglück aufmerksam gemacht worden.
„Ich werde Ihnen natürlich jede erdenkliche Hilfe geben, um diesen schrecklichen Mord aufzuklären“, sagte sie mit kaum verhohlenem Sarkasmus.
Auch dieses Gespräch brachte Bonetti keine neuen Erkenntnisse. Als er wieder alleine war, sog er nachdenklich an einer Plastikröhre und war enttäuscht. Auf einer Raumstation hatte er leider keine Möglichkeit, den hochdekorierten Spätburgunder atmen zu lassen. Er holte eine Tube aus seinem Gepäck und drückte mit geschlossenen Augen die Paste in seinen Mund. Jägerschnitzel mit Pommes frites. Sein Kammerdiener Johann war auf der Erde zurück geblieben, aber er hatte Bonettis Leibspeisen in Tubenform gebracht und seinem Herrn mit auf die Reise gegeben. Bonetti war bereit, vieles im Namen der Gerechtigkeit hinzunehmen, aber das ging zu weit. Jägerschnitzel aus der Tube. Er musste diesen Fall schleunigst abschließen, um dessen Klärung ihn die hessische Weltraumbehörde gebeten hatte.
Er untersuchte zunächst die Kabine von Frau Hufnagel-Schreckenberger. Er fand in ihrem Spind diverse Peitschen und eine Ledermaske mit Augenlöchern und Reißverschluss. Interessant, dachte er. Aber wie funktionierte Flagellantismus in der Schwerelosigkeit? In der Kabine von Herrn Breitkopf fand er unter der Matratze ein Dutzend Urkunden von Bundesjugendspielen, bei denen Breitkopf immer den zweiten Platz belegt hatte. Außerdem ein Notizbuch voller Zeichnungen, auf denen zu sehen war, wie Commander Luft auf unterschiedliche Weisen umgebracht wurde. Bonetti nahm das Buch an sich. Dann begab er sich in die Kabine des kanadischen Wissenschaftlers.
Bonetti sah sich genau um, aber er konnte nichts Verdächtiges finden. Plötzlich drang ein schwacher Geruch in seine feine Nase. War das Käse? Konnte das sein? Vor ihm war nur das Gitter eines Lüftungsschachts. Er suchte weiter, aber er fand die Quelle des Geruchs nicht. Er schwebte zurück zum Lüftungsschacht und ließ sich von Äugelein einen Schraubenzieher geben. Er entfernte das Gitter und fand einen kreisrunden gelben Gegenstand.
„Äugelein. Bringen Sie mir bitte etwas Kümmel und Äppelwoi aus der Bordküche.“
Äugelein schwebte davon. Handkäs mit Musik, dachte Bonetti. Auch wenn es strenggenommen ein Handkäs ohne Musik war, da die Zwiebeln fehlten. Obwohl es der strengen kulinarischen Tradition seiner hessischen Heimat widersprach – er musste einfach hineinbeißen. Selbst wenn Kümmel und Zwiebeln fehlten und der Apfelwein noch nicht bereitstand. Er näherte den kleinen Käselaib langsam seinen vor freudiger Erwartung feuchten Lippen, da wurde er hart an der Schulter gepackt.
„Des konnsde abhage unnä U wie Uffschnid“, sagte eine Stimme hinter ihm. „Loss des Ding in Ruh!“
Bonetti wirbelte mit einem Purzelbaum herum und stieß Hopperflap mit beiden Beinen davon. Der Kanadier schwebte zur gegenüberliegenden Wand. Bonetti drückte geistesgegenwärtig den Alarmknopf an seinem Raumanzug, während sein Angreifer ein Messer zog.
„Des daff niemand gabuddmache. Des habbe mir von de Außerirdische.“
„Den Käse?“ fragte Bonetti.
„Des is kahn Käs, des is’n Geräd. Des hod de Gommander vunn drauße midgebrung. Dodemit kammä Gondagt mid onnere Zivilisatzione uffnehme. Des könne mir in Kanada gud gebrauche“, rief Hopperflap und stieß sich von der Wand ab. Mit einem irrsinnigen Funkeln in den Augen schwebte er auf Bonetti zu.
Bonetti stieß sich ebenfalls von der Wand ab und schwebte zur Decke. Der Angriff ging ins Leere. Dann kamen Breitkopf und Äugelein herein und entwaffneten Hopperflap. Es war vorbei. Offensichtlich hatte der irrsinnige Kanadier den Commander ermordet, weil er dessen Käsespezialität für ein extraterrestrisches Artefakt gehalten hatte.
Bonetti und Äugelein schwebten im Shuttle „Manfred Kanther“ zur Erde zurück. Unter ihnen war schon die hessische Weltraumbehörde in Wiesbaden zu erkennen, die in einem monströsen Betonfurunkel am Rande der Stadt untergebracht war. Das letzte Abendrot verglomm unter einer Ascheschicht von flachen Wolken.
„Ist es nicht verrückt, mein lieber Äugelein“, sagte Bonetti. „Nur der Wahnsinnige ist in unserer heutigen Zeit wirklich frei. Hopperflap hat einen Mord begangen, aber niemand kann ihn zur Verantwortung ziehen. Er ist nicht schuldfähig, das Gericht wird ihn freisprechen.“ Er lächelte. „Ein unschuldiger Mörder. Welche Ironie. Schade, dass wir keinen Champagner an Bord haben. Man müsste auf den Irrsinn dieser Welt anstoßen.“
David Bowie – Life On Mars? http://www.youtube.com/watch?v=ueUOTImKp0k
P.S.: Heute Nacht habe ich geträumt, ich sei Redakteur eines Wein-Magazins. Die Texte mussten Buchstabe für Buchstabe in weiße Autoreifen geschnitzt werden. Die von mir verfasste kritische Würdigung des jüngsten Jahrgangs wurde abgelehnt, da sie nicht die erforderliche Mindestprofiltiefe von zehn Millimetern aufwies. Es fehlte ein Millimeter.
Zuviel Schätzing gelesen ?
AntwortenLöschenOder einfach nur provoziert worden ?
Glückwunsch, Kiezschreiber. Dein erster eigener Troll :)
AntwortenLöschenWo fängt Troll an ?
AntwortenLöschenHabe den Autor unlängst angemacht wegen Dynamit, das in einem Ofen zur Explosion kam. ( moderne Dynamitsorten kann man gefahrlos in der Pfeife rauchen, die gehen so nicht hoch ) Habe ihn scherzhaft auf Schätzing angesprochen, weil der doch immer alles so toll wissenschaftlich untermauert.
Vielleicht war der werte Autor ja dadurch inspiriert. Stil und Thema dieses Textes erinnert mich stark an " Limit".
Und ja, man kann auch mal Schätzing lesen, für Dostojewski bin ich zu doof.
Vielleicht kann ich ja etwas zur Aufklärung beitragen: Ich lese Schätzing nicht. Er hat als Krimi-Autor beim Emons Verlag angefangen, wo ich auch zwei Krimis veröffentlicht habe. Ich kenne seine damalige Lektorin und wir haben bei der gemeinsamen Arbeit viel über seine "wissenschaftliche Methode" gelacht. Aber er trifft den Geschmack der Massen, das muss man ihm lassen.
AntwortenLöschenDostojewski kann ich nur empfehlen, Bonettis Freund Pralinski ist die Hauptfigur in dessen witziger Erzählung "Eine dumme Geschichte".