Mittwoch, 8. Oktober 2014
Bonetti auf der Buchmesse
“I have always wanted to write a book that ended with the word ‘mayonnaise’.”
(Richard Brautigan)
Es war ein verhängnisvoller Fehler, den ich in meinem Leben schon allzu oft gemacht habe, ganz speziell auf der Frankfurter Buchmesse, aber auch bei anderen Gelegenheiten wie Volksfesten oder Fußballspielen. Ich hatte mich von meiner dunklen Leidenschaft für Würste aller Art dazu hinreißen lassen, drei Hotdogs mit gerösteten Zwiebeln, Ketchup, Senf und Mayonnaise zu verspeisen. Nachdem ich dieses durch nichts zu entschuldigende Bedürfnis befriedigt hatte, überkamen mich Scham und Sodbrennen. Wie lange hatten die Brühwürste schon in heißem Wasser gelegen? Was wusste ich über ihre Herkunft? Auch die schrecklich weichen und bleichen Brötchen, in welche die Würste gebettet gewesen waren, ekelten mich plötzlich an. Was hatte mich dazu geritten, diesen fettreichen und nährstoffarmen Sündenfall mit Produkten aus dem kulinarischen Babylon namens Amerika zu begehen? Setzte ich nicht meine Gesundheit und zugleich meine Reputation als Kulturschaffender aufs Spiel? War ich denn ein Tier, dass es mir so schwer fiel, zwischen der Wertschätzung meines hochverehrten Publikums und dem schändlichen Nachgeben billigster Gelüste, oder besser noch: zwischen meinem Selbstwertgefühl und einem widerlichen Heißhunger auf ordinäre Würste mit klarem Verstand abzuwägen, und selbstverständlich bei unvermittelt auftretendem Appetit auf die von meinem treuen Famulus Johann in einem Weidenkorb mitgebrachten Butterbrote und ein Stückchen Gruyère zurückzugreifen?
Zum Glück hatte mich am Würstchenstand niemand erkannt. Halle 7, juristische und betriebswirtschaftliche Fachliteratur. Jetzt war mir schlecht und mit jedem kleinen Rülpser, der sich beim raschen Gehen zur Halle 3, Belletristik, durch meine schmerzhaft brennende Kehle hinaufwand, schmeckte ich die ekelerregende Mischung aus Wurst und Soßen auf Zunge und Gaumen. Vor allem die fettige Mayonnaise, die womöglich schon ranzig gewesen war, spielte sich mit impertinenter Penetranz in den Vordergrund. Ich trank hastig eine Tasse Kaffee, aber der Geschmack ging einfach nicht weg. Ich ließ mir von Johann ein Sahnebonbon reichen, aber es half nichts. Mit jedem Rülpser war der Geschmack wieder da. Und in einer Viertelstunde musste ich auf dem Podium vor der versammelten Weltpresse sitzen und den Journalisten Rede und Antworten stehen. Am Stand des Knödelbach-Verlags begrüßte mich der Verleger Johann Buckelschreck, ein älterer Herr mit Menjou-Bärtchen und kariertem Sakko, mit einem nasskalten Händedruck, der auf seine gewohnte Nervosität in solchen Situationen hinwies. Die beiden Buchreihen in Augenhöhe waren mit meinem neuen Werk „Ende des Zaubers – Literatur als Handwerk“, einem Ratgeber für den schriftstellerischen Nachwuchs, geschmückt. Darüber und darunter waren die Werke von Gesine Apfelkern („Fisch ohne Gnade“) und von Amos Beutelfeger („Eine kleine Geschichte des Kaugummiautomaten“) drapiert. Mit der Kollegin und dem Kollegen sollte ich gleich vor die Presse treten. Frau Apfelkern überschminkte gerade die Warze an ihrem Doppelkinn, Herr Beutelfeger war noch auf der Toilette.
Nach einigen einführenden Worten des Verlegers betraten wir nacheinander die Bühne. Die Blitzlichter der Fotografen zuckten durch die Halle und Herr Beutelfeger, ein junger, ganz in schwarz gekleideter und offenbar noch recht unerfahrener Autor, beging den Fehler, in die Kameras zu schauen und taumelte geblendet zu seinem Stuhl. Ich nahm in der Mitte Platz. Beim Setzen rülpste ich einen kleinen Schwall Magensäure in meinen Mund und musste husten, was aber in der allgemeinen Hektik zu Beginn nicht weiter auffiel. Die erste Frage ging an mich. Was ich von der Literatur des diesjährigen Gastlands Finnland hielte, fragte eine junge Frau von der FAZ. Nun, antwortete ich gelassen, die finnische Literatur sei der norwegischen bei weitem vorzuziehen, womit ich die Lacher natürlich auf meiner Seite hatte. Niemand kannte die finnische Literatur, am wenigsten die Journalisten vor mir auf den stapelbaren Konferenzstühlen. Schließlich war ich hier, um über mein neues Buch zu reden, und nicht über Menschen mit unverständlichen Namen und einer merkwürdigen Sprache, die man noch nicht einmal in Schweden beherrschte.
Dann sprachen wir endlich von „Ende des Zaubers“, für den der ambitionierte Verlag aus Pirmasens werbetechnisch ziemlich dick aufgetragen hatte. „Der beste Bonetti aller Zeiten“ mochte ja noch angehen, aber „Bonetti leuchtet“ nach dem alten Thomas-Mann-Diktum oder „Bonetti unchained“ in Tarantino-Manier waren doch reichlich unpassend. Schließlich wurde hier Literatur verkauft und keine RTL-Show oder – und bei dem Gedanken musste ich wieder aufstoßen – Wurst. Die unvermeidliche Frage nach der Zukunft der Literatur von der Süddeutschen Zeitung parierte ich elegant mit dem Verweis auf die stabilen Verkaufszahlen des Buchhandels und indem ich ein wenig zum Leseverhalten der Smartphone-Generation extemporierte. Gefragt sei angesichts der aktuellen Entwicklung der literarische Kurztext, der geistreich und unterhaltend zugleich sein müsse. Der Textumfang müsse sich dabei am reduzierten Aufmerksamkeitshorizont der Leserschaft orientieren. „Aufmerksamkeitshorizont“ war gut, das war mir einfach ganz spontan eingefallen und ich nahm mir vor, den Ausdruck nach Abschluss der heutigen Pressearbeit zu notieren, um ihn später einmal in einem Essay zu verwenden. Mutig trank ich einen Schluck des vor mir platzierten Mineralwassers und bereute es sogleich. Es war, als würde mir die Kohlensäure im Halse stecken bleiben. In meinem Magen begann es zu brodeln und nun machte sich zu allem Überfluss auch noch ein garstiger Harndrang bemerkbar.
Dann war der ZEIT-Journalist an der Reihe. Der als Frage getarnte Monolog eines ehemaligen Germanistikstudenten aus Osnabrück, der alle möglichen angelesenen und halbverdauten Sottisen zum aktuellen Literaturbetrieb enthielt, nahm kein Ende. Wo bleibt der große deutsche Gegenwartsroman? Das war die Quintessenz seiner Suada und ich verwies in meiner Antwort großzügig auf einige hoffnungsvolle Kollegen und die unendlichen Weiten der Blogosphäre, in der heute schon die Texte vorhanden wären, die von klugen Verlegern nur noch geborgen werden müssten. In Wirklichkeit gab es keine großen Romane mehr, weil man als deutscher Autor mit Romanen kein Geld verdienen konnte. Es gibt in Deutschland etwa so viele professionelle Romanautoren wie professionelle Volleyballspieler. Ich selbst verdiente inzwischen an den Filmrechten meiner Romane, die ich mit schöner Regelmäßigkeit an die ARD Degeto in Frankfurt verhökerte, mehr Geld als an der verkauften Auflage. Die nächste Frage ging an Frau Apfelmann oder wie auch immer sie heißen mochte und betraf die allegorische Bedeutung ihres Protagonisten, der auf den schönen Namen „Prokop der Geschorene“ hörte. Ich musste rülpsen und da war er wieder: dieser grässliche Geschmack von ewig unverdaut bleibender Mayonnaise.
Gary Numan – Down In The Park. http://www.youtube.com/watch?v=7ci7lssNMRI
P.S.: Diesen Text widme ich all den tapferen Buchhändlern da draußen, die in ihrer Existenz nicht von amerikanischen Internetimperien, sondern von der Lesefaulheit im Allgemeinen und der Bequemlichkeit der Kundschaft im Besonderen bedroht sind. Gehen Sie in die nächste Buchhandlung, solange es sie noch gibt! Wenden Sie sich vertrauensvoll ans Fachpersonal und fragen Sie nach dem neuesten Werk von Andy Bonetti!
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