Montag, 1. September 2014
Eine hessische Affäre
Es war schon später Abend und Bonetti saß vor dem Kamin, dessen Feuer eine wohlige Wärme verbreitete, und las ein wenig Boethius, von dem der kluge Satz stammt: „Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben“. Da hörte er von der Gasse den harten Aufschlag von Pferdehufen. Wer mochte so spät noch unterwegs sein? Wenig später hörte man ein lautes und herrisches Klopfen an der Tür. Wenige Minuten später betrat Johann, der famose Kammerdiener Bonettis, das Kaminzimmer und meldete Besuch.
Bonetti seufzte, nahm die Lesebrille ab und klappte das Buch zu. „Führen Sie ihn herein, Johann. Ich will sehen, was ich für unseren Überraschungsgast tun kann.“
Kurz darauf betrat ein großer Mann das Kaminzimmer, machte eine kurze Verbeugung und gab Bonetti die Hand. „Guten Abend, Mister Bonetti. Bitte verzeihen Sie die späte Störung. Mein Dienstherr, Graf Yoster von Blaustern, schickt mich in einer dringenden Angelegenheit zu Ihnen. Es ist eine äußerst delikate Affäre und es ist von großer Bedeutung, dass Sie alles mit äußerster Diskretion behandeln. Die gekrönten Häupter Hessens könnten kompromittiert werden und es droht ein Skandal, der den Wetterau-Kreis bis weit über seine Grenzen für immer lächerlich machen könnte. Ich darf doch annehmen, dass Sie ein Mann von Ehre und Verschwiegenheit sind?“
„Aber sicher doch, Euer Durchlaucht“, antwortete Bonetti ruhig und fügte mit einem gutmütigen Lächeln hinzu: „Nehmen Sie doch der Einfachheit halber die Maske ab und setzen Sie sich zu mir an den Kamin. Offensichtlich ist Ihnen kalt.“
„Wie haben Sie das alles so schnell erkannt?“ fragte der Besucher verblüfft.
„Ganz einfach, Euer Hochwohlgeboren“, antwortete Bonetti, „der Schnurrbart ist offensichtlich falsch, denn er entspricht nicht der Farbe ihrer Koteletten und Augenbrauen, in der Brille ist kein Glas und die große rote Nase macht die Verkleidung vollends unglaubwürdig. Vermutlich haben Sie dieses Arrangement in ‚McTiffany’s Wunderbare Welt der Scherzartikel‘ in der Bond Street in Lower Ingleham gekauft. Sie tragen sündhaft teure Bekleidung aus dem Hause Noblewood, offensichtlich maßgeschneidert. Ihr Umhang aus Leopardenfell ist innen mit flammendroter Seide gefüttert und ihre nagelneuen Stiefel sind aus Schlangenleder. Zudem verströmen Sie den Duft von ‚Jet Set‘ von Calvin Little. Keiner Ihrer Bediensteten könnte sich einen solchen Aufwand leisten, für den wiederum Graf Yoster von Blaustern in der ganzen Grafschaft berühmt ist. Ihre Hände sind eiskalt und haben eine ungesunde blaurote Farbe, was mich auf eine lange Fahrt in einer ungeheizten Kutsche vom Schloss bis zu mir schließen lässt.“
„Ich wusste, dass Sie der beste Mann für diesen Fall sind“, sagte der Graf hocherfreut und nahm die Maske ab. Er setzte sich in einen der bequemen Ledersessel zu Bonetti und nahm ein Glas Single Malt Whisky vom Tablett, das Johann ihm entgegenhielt. „Lassen Sie mich gleich zur Sache kommen. Ich bin inkognito zu Ihnen gekommen, weil ich in großen Schwierigkeiten bin. Im nächsten Monat möchte ich die Gräfin von Murmelbach zum Traualtar führen. In der nächsten Woche werde ich die Presse informieren. Dummerweise hatte ich mit einer Bürgerlichen vor einigen Jahren eine Affäre und diese Frau hat mir für den Fall, dass ich eine andere heiraten würde, mit der Veröffentlichung meiner Liebesbriefe und eines Fotos, das uns zusammen zeigt, gedroht. Diese Hochzeit ist aus politischen Gründen von äußerster Wichtigkeit, der gesamte deutsche Hochadel ist zu den Feierlichkeiten eingeladen."
Bonetti kannte die „politischen Gründe“, der Graf war bankrott, aber er schwieg zu diesem Aspekt des Falls. „Nun, die Briefe könnten eine Fälschung sein und ein Foto muss Sie nicht unbedingt kompromittieren.“
„Es zeigt uns Arm in Arm – und wir sitzen splitternackt in der Sauna.“
„Das verändert die Lage natürlich“, sagte Bonetti. „Haben Sie versucht, das Foto zu kaufen?“
„Sie will es nicht verkaufen. Zu keinem Preis. Ich habe sogar schon einen Einbrecher in ihr Haus geschickt, er hat alles durchwühlt, aber nichts gefunden“, antwortete der Graf niedergeschlagen und nahm einen großen Schluck aus seinem Glas.
„Ein entzückendes kleines Problem. Ich nehme an, Sie möchten, dass ich Ihnen das Bild beschaffe.“
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir in dieser Angelegenheit behilflich sein könnten, Mister Bonetti. Die besagte Dame heißt Miss Fisher und wohnt in einem kleinen Haus in den Weinbergen von Upper Ingleham, unweit der alten Kapelle.“ Nach diesen Worten zog der Graf eine schwere Brieftasche aus schwarzem Chamoisleder aus seiner Weste und legte die beeindruckende Summe von tausend Pfund in druckfrischen Scheinen auf den winzigen Tisch, der zwischen ihnen stand. Zur damaligen Zeit hat ein Dienstmädchen, bei freier Kost und Logis (damit sind die Essensreste der Herrschaften und eine Matratze in der Küche oder einem Flur gemeint), etwa zwanzig Pfund im Jahr verdient.
Am folgenden Morgen begab sich Bonetti, der sich mit einer schwarzen Soutane, einem ebenso schwarzen Hut und einem milden Lächeln in einen Priester verwandelt hatte, zum Haus von Miss Fisher und klopfte an die Haustür.
Miss Fisher, eine aparte junge Dame mit kastanienbraunen Locken, öffnete die Tür.
„Guten Morgen, mein Name ist Reverend Rosebud. Ich bin neu in der Gemeinde und möchte mich kurz vorstellen.“
„Aber kommen Sie doch herein, Hochwürden“, sagte Miss Fisher und führte ihn in ihr Wohnzimmer. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
„Ein Glas Wasser, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, antwortete Bonetti.
„Keineswegs“, sagte die junge Dame und verließ das Wohnzimmer.
Bonetti holte eine Rauchpatrone hervor und öffnete sie. Augenblicklich füllte sich das Zimmer mit dichtem Qualm. „Feuer“, rief er laut, „Feuer!“
Miss Fisher kam herbeigeeilt, sah den Rauch und lief zum Kamin, über dem ein gerahmtes Bild hing, das einen Dreimaster in stürmischer See zeigte. Sie nahm das Bild und rannte schreiend zur Tür hinaus.
Bonetti schlich sich durch die Hintertür davon und ging zum nächsten Telegrafenamt, um dem Grafen ein Telegramm zu schicken. Wenig später saßen sie in der prächtigen Kutsche des Grafen und Bonetti erstattete ihm Bericht. „Ich habe der Dame ein Feuer vorgegaukelt. Wenn es brennt, nehmen die Menschen immer die Dinge mit, die ihnen am wichtigsten erscheinen, Wertsachen, Urkunden und Erinnerungsstücke. Miss Fisher schnappte sich einen wertlosen Druck im Wohnzimmer, sonst nichts. Vermutlich befinden sich die Briefe und das Foto im Rahmen hinter dem Bild. Ich werde Ihnen das Bild noch heute besorgen, Euer Durchlaucht.“
Wenig später klopfte Bonetti, diesmal als Polizist verkleidet und mit einem äußerst amtlichen Gesichtsausdruck, erneut an die Tür von Miss Fisher.
Sie öffnete die Tür und lächelte ihn an.
„Ich nehme an, Sie sind Miss Fisher. Mir ist zu Ohren gekommen, dass es hier gebrannt hat. Mein Name ist Sergeant Honeybunch. Darf ich kurz hereinkommen?“
„Aber kommen Sie doch herein, Sergeant“, sagte Miss Fisher und führte ihn in ihr Wohnzimmer. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
„Ein Glas Wasser, wenn es Ihnen nichts ausmacht“, antwortete Bonetti.
„Keineswegs“, sagte die junge Dame und verließ das Wohnzimmer.
Bonetti nahm das Bild, das wieder über dem Kamin hing, von der Wand und flüchtete durch die Hintertür ins Freie.
Am Abend saß er wieder mit Graf Yoster von Blaustern vor seinem Kamin und überreichte ihm das Bild. Voller Freude löste der Graf die Metallspangen auf der Rückseite des Rahmens – und tatsächlich hielt er alsbald die Briefe und das kompromittierende Bild in seinen Händen. Es war jedoch ein weiterer Brief im Bilderrahmen, den Miss Fisher an den Grafen geschrieben hatte:
„Lieber Yossi-Bär, hier sind Deine Briefe und das Foto. Wenn Dir die ganze Angelegenheit so wichtig erscheint, dass Du aus einem Gentleman wie Mister Bonetti einen gewöhnlichen Dieb machst, muss es Dir mit dieser Gräfin ja wirklich ernst sein. Ich will Deinem Glück nicht im Wege stehen. Seit einem halben Jahr bin ich selbst frisch verliebt und werde vermutlich auch bald heiraten. Die Erinnerungsstücke an unsere Beziehung brauche ich dann sicher nicht mehr. Ich erwarte von Dir keinen Dank und keine Einladung zu Deiner Hochzeit. Aber richte doch bitte Mister Bonetti meine herzlichsten Grüße aus. Ich habe seine schauspielerische Darbietung sehr genossen. Hochachtungsvoll, Mary Fisher.“
Von so viel Großmut waren beide Männer beschämt. Wir haben keine Kultur. Wir bezahlen nur ein paar Leute, die für uns Kultur machen.
Ideal - Aşk mark ve ölüm. http://www.youtube.com/watch?v=YuG0-20fGRg. Deutsche Übersetzung des Titels: Liebe, D-Mark und Tod. „Die D-Mark ist eine falsche Liebe“, heißt es im Text.
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